William Basinski über "Lamentations"

"Vierzig Jahre trauriges Seufzen"

06:58 Minuten
William Basinski
William Basinski © Seth Tisue
Von Christoph Möller · 10.11.2020
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Ambient-Musik klingt oft ruhig und entspannt. Doch im Gespräch über sein neues Album "Lamentations" wird Ambient-Produzent William Basinski so aufbrausend, dass man es auch mit einem Punk-Musiker zu tun haben könnte. Warum? Er ist wütend.
William Basinski lebt in Los Angeles und gilt als wichtiger Produzent der Ambient-Musik. Als "Sound of Decay", als Klang des Verfalls hat das Magazin "New Yorker" seine Musik mal beschrieben. Basinskis Schlüsselwerk sind die "Disintegration Loops" – ein fünfstündiges, instrumentales Epos aus Tonband-Loops, die wieder und wieder abgespielt werden und sich im Laufe des Abspielens selbst auflösen.

William Basinski ist sauer

Am 13. November veröffentlicht Basinski sein neues Album "Lamentations", das wieder alte Tonbänder als Grundlage hat. Und es geht wieder um Verfall: Den Verfall der Welt, wie wir sie kennen. Deutliche Emotionen, die er in der Musik eher versteckt, zeigt er umso stärker im Gespräch.
"I mean what ... the literal fuck?", fragt der oberkörperfreie William Basinski. Oberkörperfrei sitzt er vor zwei großen Malereien in seiner Wohnung in Los Angeles und schimpft auf die Welt. Er trinkt "Corona"-Bier und Rotwein. Und antwortet wütend auf die Frage, ob "Lamentations", politisch sei:
"Ja! Es geht nicht nur um jetzt gerade. Es geht um Jahrhunderte weißen, patriarchalen Bullshit. Plünderungen, Vergewaltigungen! Alles wird zu Profit gemacht. Wofür? Jetzt haben diese Arschlöcher so viel Geld, dass sie nicht mehr wissen, was sie damit anfangen sollen. Das Geld spielt mit sich selbst auf einem beschissenen Bankkonto. In einem Postfach auf dem Cayman Islands."

Beim Hören sollte man sich Notizen machen

Erstaunlich, dass dieser wütende Mann kein Punk-Musiker ist, sondern zerbrechliche Ambient-Musik produziert. Die Titel der Stücke solle man lesen, empfiehlt Basinski. Und man solle sich Notizen machen – dann würde man schon verstehen, was er zu sagen hat.
Man möchte dem 62-Jährigen nicht Unrecht tun, aber ein bisschen klingt er wie ein Verschwörungsmystiker. Denn was soll man mit Titeln wie "Please, This Shit Has Got To Stop" oder "Transfiguration" anfangen?
"Ich schreibe über die Zeit, in der ich lebe. Das mache ich. Das ist mein Angebot. Die Leute können ihr eigenes Urteil fällen. Ich werde das nicht erklären."

Selbst Basinski findet die neue Platte anstrengend

Kunst für die Kunst. Komisch, dass das Album dann so bedeutsam angekündigt wird, wenn alles nur Interpretationssache ist: "Vierzig Jahre trauriges Seufzen" will Basinski hier versammelt haben. So steht es im Pressetext.
Doch nach weiteren Fragen an Basinski, der immer unruhiger wird, merkt man: Es ist ihm selbst unangenehm, ein so düsteres Album in die Welt zu setzen. Ja, setzen zu müssen.
"Ich erwarte nicht, dass jemand das mehr als einmal anhören möchte. Es ist einfach mein Statement dieses Jahr. Hoffentlich kann ich nächstes Jahr wieder etwas Schönes machen, zu dem wir – falls wir dann noch da sind – entspannen können. Denn das mag ich. Dieses Album ist hart. Es ist düster. Aber es gibt darin auch Schönheit."

Das Album basiert auf alten Radioaufnahmen

Schönheit, die man in den eher trägen Stücken zwar etwas länger suchen muss. Die dann aber umso heller aufscheint, wenn etwa menschliche Stimmen den nebligen Klang auflockern.
Alte Tonband-Loops sind die Grundlage für "Lamentations". Analoge Radioprogramme, die Basinski in den 70er- und 80er-Jahren in Brooklyn aufgenommen und letzten Sommer wieder rausgekramt hat. Das längste Stück ist elf Minuten lang – extrem kurz für Basinski, dessen Stücke gerne mal eine Stunde dauern. "Lamentations" ist Basinskis ungeduldigstes Album. Er scheint es mit Greta Thunberg zu nehmen: "We have no time", wir haben keine Zeit mehr.

Hoffnungsvoll bleiben, auch wenn es nicht leicht ist

"Lamentations" ist kein zugängliches Album und kann mit Basinskis epischen "Disintegration Loops" nicht mithalten. Aber es ist passende Musik für ängstliche Zeiten. Mit jahrzehntealten Tonbandaufnahmen verarbeitet Basinski seinen Unmut über die Gegenwart. Er zeigt seine Hilflosigkeit. Und sorgt für einige kathartische Momente.
Deshalb hilft das Album, mit der Last der Gegenwart klarzukommen. Basinski appelliert an die Zuhörenden, dass sie hoffnungsvoll bleiben sollen, auch wenn es nicht leicht ist. Das vorletzte Stück des Albums, fängt diese Stimmung am besten ein. Es trägt den Titel "Please, This Shit Has Got To Stop".
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