Elektro-Label Brainfeeder

Jazz für Leute, die keinen Jazz hören

Der Rapper Kendrick Lamar steht auf einer Bühne
Kendrick Lamar arbeitete mit Brainfeeder-Musikern zusammen © Patrick Fallon/Imago
Von Laf Überland · 15.11.2018
Zum zehnten Geburtstag der Plattenfirma Brainfeeder veröffentlicht deren Chef Flying Lotus eine Sammlung mit bekannten und unbekannten Tracks. Die zeigen, wie aus einem experimentellen Projekt ein prägende Quelle afroamerikanischer Musik wurde.
Flying Lotus, seine Fans nennen ihn FlyLo, seine Freunde nennen ihn Steve. Vor ein paar Jahren galt der Mann als Messias der elektronischen Tanzmusik. Selbst, als man dazu nicht mehr tanzen konnte. Er war ein Beat-Bastler: Das sind die, die für Rapper die eigentliche Musik basteln - Beats genannt. Und Flying Lotus gehörte zu denen, die daraus eine eigene Kunstform entwickelten: Beats ohne Rap darüber, aber als Tracks voll von eigenem Leben und Platz für anspruchsvolle Klangarchitektur.

Am Anfang war Brainfeeder alles: Rap-Beat und Ambient-Folk

Obwohl Computerfrickler, wollte dieser Steven Ellison immer gern mit anderen Musikern arbeiten, Deshalb hatte er auch 2008 das Label Brainfeeder aufgemacht und darauf erstmal jeden aus seinem Umfeld veröffentlicht, der mit interessanter Musik um die Ecke kam: einen Plattenladenbesitzer, der nebenbei an Beats bastelte (Ras G hieß der), oder einen Ambient-Folk Musiker, den FlyLo mal für ein eigenes Stück gesampelt hatte, oder eine Harfenistin, die ihm einfach gefiel: So fing's an.
Als dann aber diese große Verführung, mit steigender Prozessorleistung immer noch verschachteltere Beats zu programmieren, ihre Sinnlichkeit verlor, da endlich entdeckte dieser durch und durch spirituelle Mann, dass lebendige Mitmusiker doch viel mehr Seele im Maschinenpark ermöglichten!

Seine Mitmusiker fand Flying Lotus an einer High School

Die suchte er sich im West Coast Get Down Kollektiv: Das waren junge Musiker, die auf der High School in Süd-LA bereits zusammen Jazz gespielt hatten, inzwischen als Tourneemusiker für internationale Stars ihre Brötchen verdienten, aber bei jeder Gelegenheit zuhause dann mit jedem, der sich zu ihnen gesellte, in ihrem Stammclub spielten – Jazz und Funk vor allen Dingen. Und weil die natürlich alle auch gern mal ihre eigene Musik auf Platte aufnehmen wollten, bot FlyLo ihnen an, das doch auf seinem Label zu tun: Er werde ihnen auch nicht reinreden, es müsse nur voller Seele ein.
Ein Glücksfall war dann allerdings, daß der Rapgroßmeister Kendrick Lamarr, als er das Meilenstein-Album To Pimp A Butterfly aufnahm, sich Musiker holte, die er auf Brainfeeder gehört hatte – und plötzlich überall die Kritiker wissen wollten: Wer zum Teufel hat denn diese Musik für Kendrick gemacht?
Und als dann ein paar Monate später einer der Kendrick-Helfer, nämlich der Saxophonist Kamasi Washington, mit The Epic die Ungeheuerlichkeit eines Debutalbums in Form von drei LPs rausbrachte - mit einer fast dreistündigen Suite mit zehnköpfiger Jazzband, 32-köpfigem Orchester und 20-köpfigem Chor - und als er damit, unter weltweitem Kritikerapplaus, den Jazz wieder zurück vor die akademischen Schranken der Jazzrezeption brachte, da hieß es allenthalben überrascht: Wow! Ein Elektro-Label aus LA bringt Jazz an Leute, die keinen Jazz hören!
"Mich ziehen Künstler an, die nach dem Sinn des Lebens gucken, Leute, die durch ihre Arbeit das Universum begreifen wollen", sagt Flying Lotus. Trotzdem oder gerade deshalb gilt sein Brainfeeder-Label inzwischen als geschmacksprägende Quelle afroamerikanischer Musik. Aber die Basis des Erfolgs dürfte wohl sein, dass jeder Musiker mit Seele, Können und Bewußtsein genau das Album aufnehmen darf, das er will – ob Jazz, Elektro oder Soul: Und das bietet die gewinnorientierte Plattenindustrie eher nicht!
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