Wiedervereinigung

Die SPD und die Einheit

"We want the Wall back" ("Wir wollen die Mauer zurück"), haben Unbekannte an der East Side Gallery auf ein Wandbild gesprüht.
"We want the Wall back" haben Unbekannte an der East Side Gallery auf ein Wandbild gesprüht. © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Stephan Hilsberg · 15.11.2014
Die SPD sei zu lange für eine Zwei-Staaten-Lösung eingetreten und habe sich im Einigungsprozess widersprüchlich verhalten, so ein gängiger Vorwurf. Diesen wollen die drei SPD-Größen Vogel, Eppler und Thierse mit "Was zusammengehört" ausräumen.
Groß müssen die Sorgen sein, die sich Hans-Jochen Vogel um das Bild macht, das die SPD während des Einigungsprozesses abgegeben hat.
"Ich will dazu beitragen, dass meiner Partei ... künftig Gerechtigkeit widerfährt."
In der Tat ist viel Schaden entstanden, was auch der CDU und ihrem damaligen Bundeskanzler zu verdanken sei.
"Kohl ließ sich leider auch zu zugespitzter parteipolitischer Polemik gegen uns hinreißen. So warf er uns vor, wir seien mit den alten Kräften der DDR 'verbrüdert' gewesen ..."
Schaden durch Lafontaine und Schröder
Zielgenau traf der Christdemokrat die wunde Stelle der Sozialdemokraten, die viel zu spät erkannten, dass der Kalte Krieg zu Ende gegangen war, und sich mit ihm die Logik der Sicherheitspartnerschaft überlebt hatte, ganz zu schweigen vom Glauben an die Reformierbarkeit der SED.
Schaden richteten auch jene Sozialdemokraten an, die wie Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die DDR für einen normalen Staat hielten, für die das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bürger gar nicht mehr existierte. Diese Einstellung fiel der SPD im Herbst 1989 auf die Füße:
"Ja – ich bestreite nicht: Die SPD hat in den 16 Monaten, von denen hier die Rede ist, in der Öffentlichkeit immer wieder ein widersprüchliches, ja mitunter ein zerrissenes Bild geboten."
An Hans-Jochen Vogel hat das nicht gelegen. Ihm und Willy Brandt, aber auch der Neugründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR, ist es zu verdanken, dass sich die Befürworter einer deutschen Einheit durchsetzten, dass die SPD Einfluss auf die deutsch-deutschen Staatsverträge nehmen konnte. Die Wirtschafts- und Währungsunion war nur eine ihrer vielen Ideen.
Vogel kritisiert Kanzlerkandidatur Lafontaines
Trotzdem konnte Lafontaine seinen Widerwillen gegen die Deutsche Einheit nur schwer verbergen, gegen dessen Kanzlerkandidatur 1990 erhebliches Murren hörbar wurde. Auch Vogel bemerkt dazu:

"Eine gute Entscheidung war es jedenfalls nicht."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover: "Was zusammengehört: Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90" © Herder Verlag
Sein Mitautor Erhard Eppler zeichnet als Vorsitzender der Grundwertekommission für das umstrittene SED/SPD-Papier verantwortlich und verteidigt es bis heute, hält an dessen Topos fest, …

"… am Streit der Ideologien und der gemeinsamen Sicherheit."

Doch welche sozialdemokratische Ideologie meint er - und woher nimmt er gar, was er der SED zubilligt?

"Schließlich beruhte ihre Macht auf dem Wahrheitsmonopol".

Offenbar verwechselt er ideologische Ansprüche mit der Wirklichkeit. Deswegen verfolgt ihn bis in unsere Tage hinein der Fehler, geglaubt zu haben, die Staatspartei im Osten sei reformierbar gewesen.
Thierse gibt Einblicke in das ostdeutsche Leben
Präzise beschreibt dagegen Wolfgang Thierse als dritter, als ostdeutscher Autor das Leben in der Diktatur und zitiert dazu Rainer Maria Rilke:

"Wer spricht von Siegen – Überstehen ist alles."

Dann aber überrascht auch er:

"Die Helden von Leipzig, die Montagsdemonstranten, waren Helden aus Verzweiflung, aus Hoffnungslosigkeit. An dieser Hoffnungslosigkeit hat die SED vier Jahrzehnte gearbeitet."

Richtig, die SED hat ihre Bürger entmündigt. Verzweiflungstaten aber waren die Montagsdemonstrationen nicht. Doch der frühere Präsident des Deutschen Bundestages schreibt noch Erstaunlicheres:

"Es gab in der DDR keinen Hunger, sondern mehr als genug zu essen und zu trinken; es gab ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und keine materielle Zukunftsangst."

Warum entstand dann eine Fluchtbewegung gen Westen? Wer die DDR so verharmlost, muss sich nicht wundern, wenn die "Alternative für Deutschland" deren innere Sicherheit lobt.

Die drei Granden bemühen sich, die SPD der Jahre vor und nach 1989 in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Sie wollen der altehrwürdigen Partei Gerechtigkeit im Urteil der Geschichte zukommen lassen. Ihrem Buch ist dies anders als gemeint gelungen. Es ist ein Spiegel ihrer Brüche geworden.

Hans Jochen Vogel, Erhard Eppler, Wolfgang Thierse: Was zusammengehört. Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90
Herder Verlag Freiburg, September 2014
288 Seiten, 19,99 Euro

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