Wiedergelesen: "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert"

Hubert Schleichert über Versuche und Grenzen der Diskussion

05:31 Minuten
Buchcover von Hubert Schleicher: "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren", C.H. Beck.
© C.H. Beck / Deutschlandradio
Von Sieglinde Geisel · 30.01.2021
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Der Philosoph Hubert Schleichert analysiert in seinem 1997 erschienenen Essay Argumentationsmuster von Anti-Aufklärern der frühen Neuzeit. Daraus lässt sich auch für den Umgang mit Fundamentalisten von heute einiges lernen.
Der Essay "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren" des 2020 verstorbenen Philosophen Hubert Schleichert ist ein Longseller. Das 1997 erstmals erschienene Buch hat mittlerweile die zehnte Auflage erreicht. Vielleicht gerade, weil es sich nicht den aktuellen Debatten widmet, sondern grundsätzliche Strukturen aufzeigt.
Man erkenne allgemeine Grundsätze besser an einem Gegenstand, der nicht mehr "brennt", so Hubert Schleichert in seinem elegant geschriebenen philosophischen Essay. Er analysiert deshalb die Argumentationsmuster von Ideologen und Fanatikern anhand historischer Auseinandersetzungen auf dem Feld der Religion. Die Kritik der Aufklärer in der frühen Neuzeit an den kirchlichen Fundamentalisten dient ihm dabei als Beispiel für allgemeingültige Erkenntnisse beim Versuch, mit Fanatikern zu reden.
Grundsätzlich unterscheidet Schleichert zwischen Überzeugen (für den Normallfall) und Überreden (für den "Fundamentalfall").

Fakten contra Glaubenssätze

Im ersten Teil des Buchs geht es ums Überzeugen: Wenn man auf der gleichen faktischen Grundlage diskutiert, dann greifen die klassischen Argumentationsmuster, wie sie in Rhetorik und Philosophie gelehrt werden.
Bei Fundamentalisten und anderen Ideologen dagegen geht es nicht um beweisbare Fakten, sondern um Glaubenssätze, deshalb fehlt hier die gemeinsame Basis. Schleichert bringt das Beispiel der Inquisition: Mit jemandem, der an Hexen glaubt, kann man nicht diskutieren. "Wenn dieses Übel einmal um sich gegriffen hat, soll man die Flucht ergreifen", so Voltaire. Denn Ideologien lassen sich nicht widerlegen.
Schleichert dokumentiert Argumentationsmuster der Anti-Aufklärer der frühen Neuzeit, die sich heute auch bei Vertretern der Neuen Rechten und Verschwörungstheoretikern finden, seien es Strohmann-Argumente (man unterstellt dem Gegner eine These, die dieser gar nicht vertritt) oder die unehrliche Distanzierung von "Exzessen" (gegen die man dann doch nichts unternimmt).

Subversive Attacke statt frontaler Konfrontation

Das Buch trägt den Untertitel: "Eine Anleitung zum subversiven Denken". Statt einem frontalen Angriff mit Argumenten empfiehlt Schleichert dann auch die subversive Attacke. Es habe keinen Sinn, Fanatiker zu widerlegen, stattdessen solle man versuchen, sie zu verunsichern, ihren Blick zu erweitern, "psychische Verspannungen zu lockern".
Schleichert verweist dabei wieder auf Voltaire und dessen Bibellektüren: Scheinbar affirmativ nimmt Voltaire den Bibeltext ernst, Wort für Wort – nur um sich dann ausgiebig zu wundern über das, was er da findet. Statt zu sagen: "Was du glaubst, ist falsch", empfiehlt Schleichert den indirekten Weg: "Ich zeige dir, an was du eigentlich glaubst."
Schleichert bietet keine Patentlösungen an. Er wolle "den kritischen Blick schärfen und – leider – einige Illusionen über die Macht der Argumentationen zerstören".

Grenzen des Diskutierens

Der Ratgeber-Touch im Titel ist irreführend, denn ob man tatsächlich mit Fundamentalisten reden kann, ohne den Verstand zu verlieren, bleibt für Schleichert zweifelhaft. Harte Fanatiker müsse man sich selbst überlassen, man könne nur die Gefahr verringern, die von ihnen ausgeht. Deshalb seien die eigentlichen Adressaten einer geschärften Argumentation diejenigen, die noch zugänglich sind, die man "noch erreichen" kann, wie man heute sagt.
Schleichert schließt daher mit einer Warnung: Man müsse die Fanatiker ernst nehmen, indem man ihre extremsten Seiten ernst nimmt. Wer an Hexen glaubt, wird sie irgendwann auch verbrennen wollen.
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