Wiederentdeckung

Das Tier in mir

Deutsches Theater Berlin: "Der Löwe im Winter" von James Goldman. Almut Zilcher als Eleanor und Michael Schweighöfer als Heinrich II.
Almut Zilcher (Eleanor) und Michael Schweighöfer (Heinrich II.) in Sebastian Hartmanns Inszenierung von "Der Löwe im Winter". © picture alliance / ZB / Claudia Esch-Kenkel
Von Michael Laages |
In eine Familienhölle führt uns Regisseur Sebastian Hartmann in diesem Königsdrama um Heinrich II. Er macht klar: Der Mensch trägt keinen Frieden in sich. Gespielt wird so expressiv wie möglich - und doch mangelt es an Intensität.
Das ist kaum vorstellbar: James Goldmans Stück um eine königliche Zimmerschlacht aus dem sehr finstren Mittelalter feierte Uraufführung Mitte der 60er-Jahre am Broadway. Katherine Hepburn und Peter O’Toole waren die zentralen Protagonisten im mörderischen Familien-Spiel "Der Löwe im Winter“. Wer allerdings genau hinhört, wird auch hier und heute noch den knappen Dialog-Stil entdecken, wie immer in einem "well-made play“ nach amerikanischer Bauart.
Das allerdings hat den Regisseur bei der Wiederentdeckung des Textes am Deutschen Theater in Berlin eher weniger interessiert. Sebastian Hartmann, im vorigen Sommer durchaus unfriedlich geschieden von der Intendanz am Leipziger Schauspiel, beschwört "grand guignol“ und Groteske in einer Art Historien-Panorama zerrissener, sich und einander zerreißender Persönlichkeiten.
James Goldman, Bruder von William, dem Autor des legendären Romans um "Die Brautprinzessin“, pflegte verstärktes Interesse für das englische Mittelalter. Henry II, also Heinrich der Zweite, steht samt Gattin Eleanor (zuvor Königin von Frankreich und dem Ex-Herrscher dort durch den Konkurrenten Henry abspenstig gemacht) im Mittelpunkt und "ist“ dieser 'Löwe im Winter’.
Emotional geführtes Gemetzel
Zum Weihnachtsfest versammelt er die drei Söhne um sich, weil er (ähnlich Shakespeares "Lear“) nach dem Tod des ältesten Kindes die Nachfolge für sich selber regeln muss. Selbst Königin Eleanor holt er dazu aus dem Verließ, wo sie zuvor zehn Jahre eingekerkert war, und deren französische Tochter, das eigene Stiefkind also, ist seit geraumer Zeit schon die Geliebte des Königs. Der aktuelle König von Frankreich, auch ein Sohn von Eleanor aus erster Ehe, kommt gleichfalls zu Besuch – und hat offenbar eine zart erotische Beziehung zum nunmehr ältesten Sohn von Heinrich, der aber Henrys Geliebte heiraten soll … Familienbande überall.
Am Ende des extrem emotional geführten Gemetzels wird Heinrich alle und sich selber töten. Und Hartmann hat in diesem zutiefst abgründigen Stoff vor allem die Passagen und Motive forciert, in denen vom mörderischen Tier in uns allen geraunt und gebrüllt wird. Keinerlei Aussicht auf Frieden trägt der Mensch in sich, sagt Goldman, nie und nimmer kann er Ausgleich stiften zwischen widerstrebenden Interessen: das Tier in mir wird immer stärker sein.
Warum sie einander nicht einfach auffressen, keifen Königin und König einander einmal zu, 'erst dann wär’ Ruh. Aber nur, wenn sie die Kinder mit verspeisen und niemand nach ihnen übrig bleibt – dem war bekanntlich nicht so. Und so muss die Welt wohl an sich selbst zu Grunde gehen.
Hartmann nutzt diese abgründig-fatalistische Fabel für ein Spiel mit Formen, wie es eher in die Volksbühne passen würde, wo Hartmanns Karriere ja begann. Auf selbstentworfener Bühne kreist unentwegt ein monströser Kranz aus Burgzinnen, während im Nebel dahinter zwei Live-Musiker Klänge kreieren. Auf der Vorbühne im Deutschen Theater fährt derweil eine ebenfalls zinnenbewehrte Burgmauer-Konstruktion horizontal auf und ab. Meist wird auf und manchmal in ihr gespielt, so expressiv wie möglich – nur von Andreas Döhler als französischem Gast nicht. Aber diese Rolle ist generell als (kaum weniger schmerzhafte) Gegenentwurf zu den polternden Engländern gedacht und gespielt.
Kein stimmiges Tempo
Praktisch jede Szene kommt in unterschiedlicher Spielweise daher, speziell zu Beginn – erst rammeln Königin und Geliebte lustvoll und lautstark im Finstern (auch die Notbeleuchtung ist kurzfristig ausgeschaltet), dann setzt der mittlere Sohn zu einer forcierten Clownsnummer an und brabbelt englisch und französisch so unverständlich (und komisch) wie irgend möglich. Dann werden nacheinander die Profile des Personals durchbuchstabiert – so bekommt der Abend zwar viele verschiedene Gesichter, aber kein wirklich stimmiges Tempo. Viel scheint Hartmann versucht zu haben, und kaum ein Ziel hat er bis zu Ende verfolgt.
So wirkt der Abend länger als er ist. Und er hätte auch auf eine kleinere Bühne gepasst, ja dort vielleicht sogar an Intensität hinzu gewonnen. So ist mit und bei Almut Zilcher und Michael Schweighöfer, Felix Goeser, Peter Moltzen und Benjamin Lillie, Andreas Döhler und Natalia Belitski zuweilen staunenswerte Einzel-Klasse zu bestaunen, und alle fügen sich samt Musik und erdig-schlammigen Video-Projektionen zu starken Bildern auf Hartmanns Bühne – aber in den zwingenden, zwanghaften Schmerzens- und Schreckens-Fluss gelangt der Abend letztlich nie.
Vielleicht stand ja einem Weltuntergangsmenetekel ganz und gar von heute das gute alte Broadway-Stück im Wege. Nicht langweilig, aber überaus anstrengend driftet Hartmanns erste Arbeit nach dem Abschied von Leipzig tief hinein in Nebel, Nichts und Nirgendwo. Schade.
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