Heidi kaputt, nun Frieden

Von Hartmut Krug |
Sebastian Hartmann beendet seine Intendanz mit viermonatigen "Leipziger Festspielen". Also nicht mit einem Repertoire-Theater, sondern mit vielen kleinen, schnellen und nur wenige Male zu sehenden Inszenierungen. Wie Thomas Thiemes "Top Müller Schlacht."
Als die Darsteller mit der Liedzeile "Deutschland einig Vaterland" aus der DDR-Nationalhymne einmarschierten, war klar: Hier wird Konzepttheater geboten. Gekleidet in Glitzerjacketts, auf den Stirnen Ziffern, Hakenkreuze, SS-Runen oder einen Russenstern, so marschierte das Personal von "Germanys Next Top Model"-Fernsehshow ins leere Rund. Eine ältere Darstellerin verkündete als Heidi Klum den in die Runde der letzten drei gekommenen ihre Urteile, während ihre Assistenten Thomas und Thomas gegen Metrosexualität wetterten und Heidi mit Worthülsen assistierten.

Pures Kabarett war das, anfangs urkomisch, später eher angestrengt. Die drei Kandidatinnen, zwei von ihnen Männer, waren unscheinbar. Auf sie prasselte das Vokabular einer Leistungsideologie nieder, wie sie solche Fernsehwettbewerbe entwickelt haben.

Plötzlich aber fielen Thomas und Thomas über Heidis Kopf hinweg in einen merkwürdigen Dialog zwischen zwei Brüdern über Verrat während des Faschismus. Die Szene "Die Nacht der langen Messer" aus Heiner Müllers "Die Schlacht", dem Großteil des weiterhin komödiantisch bewegten Publikums deutlich nicht bekannt, irritierte dieses noch nicht sonderlich. Doch bald wurde deutlicher: es wird eine tiefere Bedeutungsebene eingezogen.

Arbeiterkampflieder auf Deutsch oder Russisch verwiesen auf eine kommunistische Ideologie, weitere Szenen aus Müllers "Schlacht" auf die faschistische, und alles wurde durchschossen mit Ideologie-Zitaten einer Fernsehleistungsgesellschaft. Thieme setzt den Leistungs-Terror des Privatfernsehens als die heute dominierende Ideologie gegen die beiden politischen Ideologien der Vergangenheit. Wenn der im Gestapokeller Gefolterte seinen Bruder auffordert, ihn zu erschießen, feuert der Bruder den Chor an, von "Spaniens Himmel" zu singen. Und wenn in Müllers Szene "Das Laken" ein Wehrmachtssoldat sich wegen der Russen seine Uniform vom Leibe reißt, wird er wie die drei Topmodels zu Beginn gelobt wegen seines "ultimativen quick change".

So durchmischen sich immer mehr die Zitatebenen. Mal wird gefordert: Mein Führer, sag uns endlich, wer "Germanys Next Top Model" ist. Mal wird behauptet, 18.000 Bewerberinnen hungerten für den Endsieg. Das kurzschlüssige Konzept des Abends ist klar, aber es geht nicht auf. Weder inhaltlich noch theatralisch. Man wird zum Lachen, aber nicht zum Denken angeregt. Zudem werden Müllers sprachlich unbewältigte Texte gestisch verhaspelt. Hier scheitern alle, auch Heidi. Die liegt schließlich am Boden und ruft nach Seal, ihrem Exmann. Worauf es statt wie zuvor bei Müller "Hitler kaputt, jetzt Frieden" nun heißt, "Heidi kaputt, nun Frieden." Nun ja.
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