Wenn Verse locken (3)

Vom Reiz des Rezitierens

Eine Frau steht mit leicht geöffneten Lippen vor einem Mikrofon.
Schlau zitieren kann erotisch sein. © FRANCOIS GUILLOT / AFP
Von Anton G. Leitner |
Für die Lesart-Reihe "Originalton" spürt der Lyriker und Verleger Anton G. Leitner dem Verführungspotential der Poesie nach. Auf seiner dritten Station in Bielefeld und Icking spricht er mit Dichtern über die Anziehungskraft des Rezitierens.
Ort: Stadtbibliothek Bielefeld (MA, FR), 12.2.2015 und Icking, Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen (JB), 21.2.2015
Anton G. Leitner (AGL):
Ménage à trois: Als unsportlicher 17-Jähriger gelang es mir, meine erste Lesung im Kinderzimmer des schönsten Mädchens im Dorf abzuhalten. Verstärkt vom noch jüngeren Dichter Helmut Krausser aus dem Nachbarort brachten wir die Räucherstäbchen zum Glühen.
Michael Augustin (MA):
Kann ich sofort spontan ja sagen. Als ich noch Schüler war, hab ich gelegentlich Gedichte in der lokalen Zeitung veröffentlicht, und die hatten draußen so einen Aushängekasten, wo die Kulturseite auch abgebildet war, und da bin ich dann ganz unauffällig von der Tanzstunde mit dem einen oder anderen Mädchen dran vorbeigegangen an diesem Schaukasten und hab dann gesagt: "Ach, guck mal! Da ist ja zufällig ein Gedicht von mir!" Das hat sie damals natürlich sehr beeindruckt.
AGL:
Wer die Natur liebt, kommt als "Stiller Genießer" auch auf seine Kosten: "Hirsch / besteigt Kuh. / Baum Schaut / durch Ast // Loch / zu."
Franziska Röchter (FR):
Ja, ich find zum Beispiel schon, wenn man so zusammen auf dem Sofa sitzt und kommt mit so ein paar coolen Versen rüber, wo denn auch ein kleiner Schuss Humor drin ist, das kann auch erotisch sein. So was wie: Mach doch nicht so’n Tam-Tam, / dir schwillt ja schon der Kamm! (Da könnt man bisschen den Bart kraulen, ne?) / Komm, leg dich schon mal nieder, / ich zimbel deine Glieder. ‚Om Mani Padme Hum’. / Wirf nicht die Schalen um! / Genieß den Oberton / und auch die Vibration. Ich bin jetzt deine Geisha / und bring dich mal auf Alpha. / So manche Resonanz / geht auch bis in den / ... Firlefanz! - Super …
AGL:
Manchmal muss man für die Liebe ein Opfer bringen und eine Kerze aufstellen, wie
z. B. für J.: "Meine Gebete / flackern. // Herr, lass sie / schmelzen."
Wir reden über die Liebe in Versen und deren praktische Anwendung (nicht der Liebe sondern der Verse).
Josef Brustmann (JB):
Tja, also mir fällt jetzt spontan eine Geschichte ein, da bin ich am Starnberger See in Ambach gehockt, oben, oberhalb vom Bierbichler mit einer schönen, blonden Frau im Gras. Und wir lagen mitten im Löwenzahn, und ich hab ihr ein Gedicht zitiert von Peter Huchel: Fliegend im Juni auf weißer Bahn / flimmernde Monde vom Löwenzahn / liegst du versunken im Wiesenschaum (und so weiter) / löschend der Monde flockenden Flaum. // […]
Und ich bin im Jahr drauf mit der Freundin von der auch wieder da oben drinnen im Gras gelegen und hab mir überlegt: "Mensch, jetzt tat i eigentlich …, mit dem Huchel-Gedicht könnt ich jetzt wahrscheinlich wirklich punkten" und kam mir dann aber komisch vor und dachte mir: "Ja, jetzt ein Jahr später einfach schon wieder die gleiche Masche abziehen" und hab’s dann unterlassen und bin dann hinterher mit dem Madl zum Kaffeetrinken gegangen, und sie hat gesagt, sie hat zu Gott gebetet, weil sie die Geschichte von ihrer Freundin wusste, dass ich das Gedicht schon mal zitiert hab. Und sie hat die ganze Zeit gewartet, dass ich das Gedicht aufsage, und sie hat zu Gott gebetet, dass ich's ja nicht tue!
Anton G. Leitner wurde 1961 in München geboren und lebt in Weßling. Seit 1993 gibt er die Jahresschrift "Das Gedicht" heraus, seit 2014 auch deren internationale Ausgabe in englischer Sprache ("Das Gedicht chapbook. German Poetry Now"). Er verantwortet zudem das Online-Portal www.DasGedicht.de mit Blog und Lyrik-TV. Von ihm erschienen bislang neun Gedichtbände: unter anderem "Die Wahrheit über Uncle Spam" (2011). Außerdem veröffentlichte er 36 Anthologien, zuletzt "Gedichte für Reisende" (2015). Er wurde für sein literarisches und editorisches Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderen mit dem "V. O. Stomps-Preis" der Stadt Mainz und dem Kulturpreis "AusLese" der Stiftung Lesen.
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Der Schriftsteller Anton G. Leitner© privat
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