Wenn Verse locken (2)

Kann man mit Gedichten jemanden aufreißen?

Symbolbild Lesen, Buch, Literatur
Wie betörend kann Lyrik sein? © imago/Westend61
Von Anton G. Leitner |
Ob Gedichte eine erotische Ausstrahlung haben können, dieser Frage geht Anton G. Leitner in seinem "Originalton" nach. Im Gasthof-Gespräch mit zwei Dichtern und einer Dichterin fragt er nach alltagstauglichen Zauberversen.
Ort: Gasthof Schuster (Weßling, Ortsteil Hochstadt), 31.1.2015
Anton G. Leitner (AGL):
Ein gutes Gedicht bringt die Sache auf den Punkt, ein gutes Liebesgedicht bringt sie auf den Höhepunkt.
Georg Eggers, ich muss grad mal stören, ich muss dich jetzt einfach mal überraschen. Ich wollte dich fragen: Haben für dich Gedichte eine in gewisser Weise erotische Ausstrahlung oder hast du schon mal jemanden aufgerissen mit einem Gedicht?
Georg "Grög!" Eggers (GE):
GE: Also, das Aufreißen gehört ganz klar nicht zu meiner Kernkompetenz. Das habe ich sehr früh schon lernen müssen. Und ich glaube, das richtige Aufreißen dann, also der physische Vorgang, der läuft auch am – ich sag mal – intensivsten ab, wenn in dessen Verlauf möglichst wenig gesprochen wird, also zumindest nichts klar Verbalisiertes. Insofern gibt’s, glaube ich, auch keine guten Aufreißersprüche.
AGL: Wirklich wahr. Ich hatte ja gehofft, dass du mir jetzt erzählst, dass du einfach einen Zaubervers auf Lager hast, der da besonders geeignet wäre oder der Poesie dann auch einfach alltagstauglich macht. Aber du hast keinen auf Lager.
GE: Ja, das wär’ ja auch schwierig. Also, ich bin ja persönlich ein ganz großer Verfechter der These, dass glückliche Liebe kulturell wertlos ist, und damit wär’ natürlich ein erfolgreicher Aufreißspruch, also, ja, ich sag mal, vom kulturellen Wert her das letzte, was man sich vorstellen könnte.
GE: Die Protagonisten in meinen Geschichten, die versuchen das ja immer, sich gegenseitig rumzukriegen, und einigen gelingt es auch, aber eigentlich fast alle sterben dabei. Insofern ist es ein ganz heikles Thema, denk ich.
AGL:
So ist das Leben: Der Tod lauert in jeder Liebe und eh wir uns versehen, geht es uns wie einem Schneemann im Tauwetter: "Das Erleben von heute / ist die Erinnerung von morgen. Morgen / fällt Schnee. Über morgen schmilzt / er. In ihren // Armen."
Katja John (KJ):
J: Mein Freund, als es begonnen hat, sag ich jetzt mal, bei unserem allerallerersten Treffen hat er mir so einen kleinen Ringelnatzband geschenkt, den ich dann auch ganz lang mit mir in der Handtasche rumgetragen habe, immer wieder reingeschaut habe. Das fand ich sehr schön.
AGL:
Meine Frau Felizitas habe ich auf einer Burg am Main während einer Literaturtagung kennengelernt. Das Thema lautete "Eros in der deutschen Gegenwartsliteratur: Trauma oder Traum". Ich war damals zuständig fürs Trauma, hat uns aber in der Ehe nicht geschadet.
Bei mir sitzt jetzt Andrej Peters. Er ist gerade von Erich Jooß, Birgit Müller-Wieland und Ludwig Steinherr mit dem Jurypreis "Hochstadter Stier 2015" ausgerüstet worden: eine Bronzeskulptur des Münchner Bildhauers Josef Henselmann, von mir gestiftet.
Hast du schon mal jemanden mit einem Gedicht gewonnen?
Andreas "Andrej" Peters (AP):
AP: Auf jeden Fall. Bei meinen ersten Versuchen habe ich ein Gedicht geschrieben unter dem Titel "Kreuzspinne", musste aber im Nachhinein feststellen, das war ein Schock für die Dame meines Herzens. Und es hat länger gebraucht, um sie rumzukriegen. Aber es war der Start, und ich glaube, das Ergebnis war okay.
Anton G. Leitner wurde 1961 in München geboren und lebt in Weßling. Seit 1993 gibt er die Jahresschrift "Das Gedicht" heraus, seit 2014 auch deren internationale Ausgabe in englischer Sprache ("Das Gedicht chapbook. German Poetry Now"). Er verantwortet zudem das Online-Portal www.DasGedicht.de mit Blog und Lyrik-TV. Von ihm erschienen bislang neun Gedichtbände: unter anderem "Die Wahrheit über Uncle Spam" (2011). Außerdem veröffentlichte er 36 Anthologien, zuletzt "Gedichte für Reisende" (2015). Er wurde für sein literarisches und editorisches Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderen mit dem "V. O. Stomps-Preis" der Stadt Mainz und dem Kulturpreis "AusLese" der Stiftung Lesen.
Der Schriftsteller Anton G. Leitner
Der Schriftsteller Anton G. Leitner© privat
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