Wenn's richtig groovt

Von Marén Balkow · 30.07.2010
Seit 2003 existiert der Bonner Jazzchor - 30 ambitionierte Freizeitsänger, die unter der Leitung der gebürtigen Amerikanerin Sascha Cohn den optimalen Swing gefunden haben.
"Wer zu Lebzeit gut auf Erden, wird nach dem Tod ein Engel werden" - als Till Lindemann diese Zeilen für einen neuen Song schrieb, dachte der Rammstein-Sänger sicher nicht an ein Arrangement für Chor. Und martialischer Mannesgesang, wie ihn die deutsche Brachial-Rock-Band pflegt, ist auch ganz und gar nicht die Sache von Sascha Cohn, Chorleiterin des Bonner Jazzchors. Nun war das Rammstein-Lied aber Pflichtstück beim letzten Deutschen Chorwettbewerb und Cohn dachte:

"Oh Gott nein, nicht so was! Ich bin kein großer Fan von Heavy Metal Musik."

Vorlieben hin oder her: Als neue Chorleiterin musste sie sich der Aufgabe stellen, das Stück mit dem Bonner Jazzchor zu interpretieren:

"Ich hab' erst gedacht, wie soll das denn funktionieren? Rammstein? Wer hat sich das denn ausgedacht? Und ich musste natürlich Contenance bewahren. Ich konnte ja nicht vor den Chor treten und sagen: Furchtbar, guckt mal, was wir hier machen müssen. Weil wir ja dran arbeiten müssen. Das heißt, ich musste mich professionell geben. Und ich muss sagen, es hat sich dann total verändert, als wir dann dran gearbeitet haben - weil, wenn man sich mit was beschäftigt, dann lernt man’s kennen. Man denkt, ah okay, das war der Hintergedanke. Der Oliver Gies, das ist der Arrangeur des Stücks, der hat da tolle Arbeit geleistet. Unglaublich, dass man das mit Chor abbilden kann, was eine Heavy Metal Band macht! Es hat am Ende richtig Spaß gemacht! Und dann hat der Bass halt die Melodie richtig reingerotzt, richtig laut und mit harter Klangfarbe versehen."

Kontrastprogramm fürs Publikum – das ist Cohns Erfolgsrezept. Der Bonner Jazzchor fuhr dann auch mit Bronze nach Hause. Eine Feuertaufe für Sascha Cohn, die die 30-köpfige Formation erst im letzten Herbst übernommen hat.

Eine Ehre sei es für sie, diesen Chor zu leiten - den es seit 2003 gibt und der sich bereits drei Jahre nach seiner Gründung den seltenen Titel "Meisterchor" erworben hat. Dabei sind alle Laiensänger - um die 20 Frauen und zehn Männer mit Full-Time-Jobs, die immer mittwochs nach Feierabend für drei Stunden Probe zusammenkommen. Und zwar nicht, um hier beim Singen zu relaxen, sondern um etwas zu erreichen:

"Das ist ein musikalischer Ehrgeiz, der sich langsam entwickelt hat","

sagt Carsten Friedland, gebürtiger Südafrikaner und Informatiker:

""Die durchschnittliche Mitgliedschaft im Chor ist viereinhalb Jahre. Weil ein Chor nicht so schnell entsteht. Da entsteht ein Klang und plötzlich groovt's - das war bei uns vor zwei, drei Jahren. Das ist uns allen viel wert, dass wir in einem Umfeld hier sind - es gibt hier viele, die hätten auch Musik studieren können, und das hilft für die Weiterentwicklung. Es ist zwar ein sehr strenger Aufnahmeprozess, aber dann ist man dabei."

"Jeden Mittwoch erfahre ich meine gesanglichen Grenzen","

pflichtet ihm Eva Kuß bei, Personalerin bei einem großen Telekommunikationsunternehmen,

""und seit Sascha da ist, hat der Chor gesanglich noch einmal so einen Sprung gemacht. Und dass die Sascha, obwohl wir fast 30 Leute sind, jeden Einzelnen raushört, ob er sich jetzt grade durchmogelt."

Dabei ist Sascha Cohn erst ganz frisch in der Szene. Nach einer zweijährigen Fortbildung zur Chorleiterin in Wolfenbüttel wurde der Berufssängerin dieser fertige Klangkörper quasi auf dem Silbertablett serviert. Cohn spürt, der Chor stellt hohe Erwartungen an sie. Also nimmt sie die Sänger besonders hart ran, wie sie sagt, - gerade, was Gesangstechnik angeht. Höchste Priorität aber hat der Groove:

"It don’t mean a thing if it ain’t got that swing! Das gilt einfach für mich für jede Art von Musik. So, es muss grooven, es muss einrasten!"

Ohne den authentischen Groove ist ein Jazzchor auch nur Mittelklasse. In den Reihen des Bonner Jazzchors fand die gebürtige US-Amerikanerin, die mit Swing groß wurde, auch andere Leute mit nicht-deutschen Wurzeln. Deborah Rosanwo zum Beispiel, seit 1984 in Deutschland, gebürtig im südamerikanischen Guayana:

"Ich war immer in klassischen Chören und ich fand das sehr, sehr interessant, dass es einen Jazzchor geben sollte. Ich wusste gar nicht, was ich mir da vorstellen sollte. Und es waren dann Klänge, die ich von zu Hause kenne. Das war für mich wunderbar. Wir singen eine Breitband von Sachen: Von Gospel bis hin zu Latingrooves, richtigen Jazz und sogar Balladen, die an bekannte Pop-Tunes angelehnt sind."

Den Bonnern gelingt der Spagat, musikalische Ambition mit einer Fröhlichkeit zu paaren, die fasziniert, weil sie weder verkrampft noch aufgesetzt wirkt:

"Ja, ja, das ist die halbe Miete. Oder noch viel mehr - 80 Prozent. Um gut zu singen, muss man ein gutes Gefühl haben, man muss positiv eingestellt sein, um die richtige Körperspannung zu haben, damit die Atemstütze funktioniert. Und natürlich von der Energie her, man muss sich gut fühlen und dann flutscht das so von alleine."

Dann macht dem Jazzchor auch deutsches Liedgut richtig Spaß. Ob Rammsteins "Engel" oder das hundert Jahre alte Volkslied "Kein schöner Land" neu arrangiert - wenn’s richtig groovt, macht’s für diese Rheinländer eigentlich keinen Unterschied.

Link zum Bonner Jazzchor

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
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