Zwölf "Ave Marias" für Mariannhill

Von Carolin Pirich · 30.04.2010
Der Mai ist der Jungfrau Maria gewidmet, zumindest an vielen Feiertagen und vor allem in Bayern. Deshalb heißt das neue Konzertprogramm des Würzburger Madrigalchors "Ave Maria". Jeden Montagabend im April proben die etwa 35 Sängerinnen und Sänger, wie viele unterschiedliche Noten auf zwei Worte passen können.
35 Männer und Frauen stehen in einem kühlen Raum des Klosters Mariannhill in Würzburg und schütteln die Wangen, rollen die Augen, heben den rechten Arm über den Kopf, dann den linken. Dann müssen sie auf einem Bein balancieren und währenddessen weiter singen. Das sieht zwar ein bisschen anstrengend aus, ist aber ein kleiner Trick, sich selbst zu überlisten, locker zu bleiben. Tenor Rudi Harrer steht wieder sicher auf zwei Beinen.

"Man konzentriert sich weg von der Stimme und muss sich auf eine Körperbewegung konzentrieren, die für viele gar nicht so einfach ist, und das Singen geht so neben her. Wie von selbst."

Der Probenraum ist ein kleiner Saal mit schmucklosem Gewölbe, der zum Kloster Mariannhill gehört. An einer Wand hängt ein Ölbild, das einen stillen Bergsee zeigt, an der anderen ein dunkles, schweres Kruzifix. Aus den Mauern kriecht eine kühle Feuchtigkeit, die gar nicht richtig wegzubekommen ist, weshalb ein kleiner Elektroofen zwischen Chorleiter Matthias Göttemann und den Sänger steht.

Göttemann: "Das klingt doch schon ganz ähnlich..."

Matthias Göttemann sitzt in Jeans und weißem, gestärkten Hemd auf dem Klavierhocker und sieht zufrieden aus.

"Die agogischen Effekte, die Tempoäderungen, das geht sehr sportlich mit diesem Chor. Da haben größere Chöre per definitionem mehr Schwierigkeiten, weil das alles ein bisschen träger ist."

"Das machen wir gleich noch mal. Das muss so schön aufrüttelnd sein."

(Chor singt noch mal zwei Takte)

Viele Sänger sind direkt von der Arbeit gekommen. Es gibt Lehrer, Schüler, Taxifahrer, Studenten, eine Chemikerin, eine Ingenieurin und einen Rentner. Werner Schmidt hat 1978 den Chor mit gegründet, heute ist er 49 Jahre alt und Bibliothekar.

"Wir waren lange Zeit eigentlich ein Chor von geringem Alter. Aber jetzt muss ich sagen: Wir sind so 35 im Durchschnittsalter. Der Chor hat sich aus einem Schülerchor herausgearbeitet. Das hat sich also weiterentwickelt, keiner hat geglaubt, in 25 Jahren da noch weiterzusingen."

Das älteste Mitglied ist 70 Jahre alt, die jüngste 24, Annika Preißer. Sie studiert Musikwissenschaften und kam erst vor ein paar Monaten dazu.

"Das ist erstaunlich, wie hier vom Blatt gesungen werden kann. Das kann ich auch gar nicht, deshalb übe ich auch. Ich hab kein Klavier und muss deshalb zur Universität gehen. Ab 19 Uhr ist da keiner mehr (lacht)."

35 Mitglieder hat der Würzburger Madrigalchor. So ungefähr, sagt Werner Schmidt. Ganz genau weiß er es auch nicht. Immer mal wieder kommt jemand neues dazu, immer mal wieder geht jemand. Werner Schmidt ist eigentlich Tenor, aber er singt im Bass, weil die zurzeit rar sind im Madrigalchor.
"Sieben Tenöre und fünf Bässe, das ist der Sollzustand. Das ist minimal, wenn wir achtstimmig singen wollen."

Die Männer mögen im Chor nicht in der Überzahl sein, dafür sind sie umso aufmerksamer.

Göttemann: "Jetzt singen wir das erste Stück aus dem Programm, Ave Maria von Arcadelt. Der ist geboren 1410 und gestorben 1567... das stimmt nicht!"
(Chor lacht)
Sänger: "Und es steht drin, dass das Lied gar nicht von ihm ist."

Nicht schlimm, gesungen wird es trotzdem.

In zwei langen Reihen stehen die Chormitglieder, vor jedem auf dem Notenständer ein schwarzer, schlichter Ordner mit den Notenblättern. Der Chor probt sein neues Konzertprogramm: "Ave Marias" von zwölf Komponisten aus fünf Jahrhunderten.

Göttemann: "Wir suchen immer ein Sujet für unser Programm. Wo man sagt, es ist nicht nur eine wahllose Mischung, sondern das Programm hat eine Architektur. Einen Sinn."

Matthias Göttemann leitet in Würzburg zwei Chöre, einen großen Oratorienchor und seit 1994 den kleineren Madrigalchor, der a cappella singt. Er sucht auch die Stücke aus.

"Das 'Ave Maria'-Programm passt gut in den Monat Mai, der auch Marienmonat genannt wird."

Jetzt kommt das schwerste Stück; ein "Ave Maria" von Giuseppe Verdi. Es trägt den Untertitel "Über eine rätselhafte Tonleiter". Sie ist nicht nur rätselhaft, sie ist vor allem ziemlich tückisch.

Göttemann: "Schwere Chromatik, schwierige Harmonien, dauernd gibt es Vorzeichen, vor jedem Ton ein Vorzeichen."

Matthias Göttemann deutet auf das Notenblatt, das vor ihm auf dem elektrischen Klavier liegt. Es sind ziemlich viele Kreuze darauf. Heute wird am Verdi noch eine Weile gearbeitet werden.

Service:
Der Würzburger Madrigalchor gibt ein Konzert am 8. Mai 2010 in Würzburg und am 9. Mai 2010 in der Wallfahrtskirche Maria Limbach.

Informationen zum Chor und Konzerttermine: www.wuerzburger-madrigalchor.de


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