Comic "Ernst Busch - Der letzte Prolet"

Ein querulantischer Staatskünstler

10:04 Minuten
Ernst Busch
Schauspieler und Sänger Ernst Busch als Matrose in dem Schauspiel 'Die Matrosen von Cattaro' von Friedrich Wolf. © picture alliance / akg-images | akg-images / Horst Maack
Jochen Voit im Gespräch mit Shelly Kupferberg · 09.10.2021
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Der Schauspieler und Sänger Ernst Busch hatte eine lange Karriere auf der Bühne und im Film, zunächst in der Weimarer Republik, dann in der DDR. Ein Comic widmet sich seiner Biografie und erzählt die Geschichte eines unangepassten Künstlers.
Shelly Kupferberg: Er war Sänger, Schauspieler, Rebell, ein durch und durch politischer Geist: Ernst Busch. Er spielte bei Piscator im Arbeitertheater in Stücken von Friedrich Wolf, Bertolt Brecht und Ernst Toller, war in der Verfilmung der "Dreigroschenoper" von Georg Wilhelm Pabst als Moritatensänger zu sehen und in dem Film "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?".
"Ernst Busch: Der letzte Prolet" heißt eine neue Graphic Novel, die an den Interpreten so viele Arbeiterlieder erinnert, Sophia Hirsch hat die Zeichnungen dazu vorgenommen und Jochen Voit den Text geschrieben und die Geschichte entwickelt. Zunächst einmal zum Titel "Der letzte Prolet", was hat es denn damit auf sich?
Jochen Voit: Das hat mich einfach total gereizt, dieses Wort zu benutzen, was ja verbrannt ist in Deutschland, also Arbeiterklasse, Working Class, das sagt ja keiner mehr heute. Man hört’s eigentlich lustigerweise nur im Wahlkampf, wenn die Union oder die FDP versucht, die Gegner zu beschreiben oder die sozialdemokratische Partei, dann ist immer die Selbstbeschreibung "die Bürgerlichen": "Wir sind die Bürgerlichen!" – Da frag ich mich dann immer: Wer sind denn dann die anderen, also wer ist denn dann die SPD oder wer sind die Grünen? Sind es dann die Proletarischen? Natürlich nicht, das gibt’s halt nicht mehr. Da gibt’s ein Milieu "so nicht mehr", und mich hat auch in diesem Sommer dieses Buch von Sahra Wagenknecht echt wütend gemacht, wo es dann hieß, die einzige Arbeiterpartei, die es heute noch gibt, sei die AfD. Und das kann’s ja wohl nicht sein.
Deswegen hab ich mir gedacht: Ich hole diesen Begriff aus der Mottenkiste, mit all seinen schillernden Facetten – auch dieses Negative, auch das Schimpfwort "du Proll", wenn jemand rumproletet, kann er sich nicht benehmen, drückt sich unflätig aus, ist unkorrekt, das alles denken wir ja mit. Du kannst das Wort ja nicht mehr so benutzen. Das fand ich genau passend, denn so war der Busch. Der hat rumkrakelt, der hat gesagt, "leckt mich am Arsch", und das wurde auch hinterher nicht rausgeschnitten, sondern das war dann auch im kollektiven Gedächtnis verankert, dass der die Leute beleidigt hat.

Mit Stimme im Ohr aufgewachsen

Kupferberg: Ein unbequemer, ein total politisierter Mensch – was hat Sie denn beide, Sophia Hirsch und Sie, an dieser Figur Ernst Busch so genau interessiert, und wie haben Sie angefangen, sich mit diesem doch sehr vielseitigen, charismatischen und unglaublich politischen Typen zu beschäftigen?
Voit: Die Sophia und ich, wir sind ja mit der Stimme im Ohr aufgewachsen. Sie hat das durch die Kassetten der Eltern, die so Brecht-Audioaufnahmen zu Hause hatten, mitbekommen, ich hab das durch zwei Schallplatten, die mein Vater im Plattenregal neben James Brown und Santana und Elvis stehen hatte, mitbekommen. Das waren Lieder aus dem spanischen Bürgerkrieg, die ich in den 70ern zum ersten Mal gehört habe, und es hat mich interessiert, diese blecherne, diese metallische Stimme, wo es einem da irgendwie anfängt, körperlich so den Rücken runterzulaufen. Diese Stimme, die einen auch total nerven kann, weil die so unerbittlich ist. Als Kind habe ich mich gefragt: Wo kommt das her? Die Eltern der anderen haben eher so Roland Kaiser gehört, das war schon speziell.
Cover zu "Ernst Busch"
Lupenreine sozialdemokratische Geschichte des Aufsteigens: "Ernst Busch - Der letzte Prolet".© Deutschlandradio / Avant Verlag
Ich bin in einem 68er-Elternhaus aufgewachsen, im Westen, und das war die letzte Generation von Zuhörern und Fans, die sich für den Busch interessiert hat. Die 68er im Westen, davor vielleicht noch mal die Generation nach dem Zweiten Weltkrieg, 1950 rum, in der DDR, als er Aufbausänger war, und ganz früher, 1930 rum, also vor der Machtergreifung der Nazis, natürlich diese Generation der Linken in Deutschland, die halt die "Dreigroschenoper" gut fanden, die diese Lieder gegen Rassismus, gegen Turbokapitalismus und dann gegen die Nazis gehört haben.
Also diese drei Generationen der deutschen Linken hat der Herr Busch beschallt und war so eine Röhre für die, und das fand ich dann als Historiker später, als ich dann studiert habe und auch nach einem Thema auf der Suche war als Autor, war ich dann extrem fasziniert, dass da einer ist, der das alles abbildet, der auch so eine Bilderbuchbiografie hinlegt – vom Arbeiter, vom Werkzeugschlosser an der Germania-Werft in Kiel bis schließlich nach Berlin zum gefeierten Schauspieler und Sänger.

Figur polarisiert noch immer

Kupferberg: Wir folgen Ernst Busch auf seinem Lebensweg, einige Stationen haben Sie schon gerade genannt. Das ist ja wirklich eine Politgeschichte durch die Aufs und Abs des 20. Jahrhunderts. Wer oder was hat ihn eigentlich so politisiert? Er kam schon aus einem sehr politischen Haushalt, muss man dazu sagen.
Voit: Das ist eine ganz lupenreine sozialdemokratische Geschichte des Aufsteigens. Darum ging es, herauszukommen aus dem Milieu, aus der Armut und dann irgendwie diese Aufstiegsversprechen in die Tat umzusetzen. Das Problem ist, dass irgendwann dann ganz viel auf der Strecke geblieben ist. Da war dann zwar noch proletarisches Standesbewusstsein übrig, aber was vielleicht an Demut da war, was vielleicht auch an Einsicht in die eigenen Schwächen da war, ist dann irgendwann verlorengegangen – jedenfalls später in der DDR, als das dann alles Staatsräson war und die Arbeiterklasse zu so einem Marmorbild erstarrt ist. Mich interessieren die Brüche, mich interessiert auch dieses unglaublich Polarisierende dieser Figur, und ich denke, das ist genau das Spannende, dass die Figur immer noch polarisiert. Wer sie nicht kennt, der könnte ja mal sich damit befassen, aber da steht natürlich ganz viel im Weg. Dieses rollende R und diese Filmsequenzen in Schwarzweiß, das ist natürlich aus der Zeit gefallen, und deswegen haben Sophia Hirsch und ich versucht, ihn einfach auch einem jüngeren Publikum näherzubringen.
Kupferberg: Wir begleiten also Ernst Busch dann bei seinen großen Erfolgen, seine Lieder spielen eine Rolle in diesem Comic, diverse Arbeiterlieder, das "Moorsoldaten"-Lied, dann später "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht". Es geht um seine Flucht vor den Nazis, sein Exil in Amsterdam, London und Moskau, die Internierung im französischen Konzentrationslager Gurs, seine Flucht, die Verhaftung und Verurteilung in Nazideutschland und dann sein Verhältnis zur DDR, das ja kein einfaches war. 1980 ist Ernst Busch gestorben. Welche Rolle spielte er denn im Verlauf der DDR-Jahrzehnte?
Voit: Busch ist erst mal der Musikminister der DDR, könnte man sagen. Er ist der Gründer der DDR-Schallplattenfirma, die dann als VEB Deutsche Schallplatten bekannt wird. Er gründet sie aber noch als GmbH "Lied der Zeit", und er gründet aber auch die Sublabels für Popmusik Amiga und für klassische Musik Eterna, er ist also der Vater der DDR-Schallplattenproduktion.
Die Russen setzen ihn ein, also die sowjetische Besatzungsmacht, er ist auch gut befreundet mit sowjetischen Kulturoffizieren, und das ist, glaube ich, der Punkt: Er kommuniziert von Anfang an mit denen, die das Sagen haben. Und wenn dann rangniedrigere SED-Funktionäre ihm was sagen wollen, wie dann so geschehen bei der Parteiüberprüfung Anfang der 50er, als es dann darum ging, die SED zu säubern von allerlei sozialdemokratischen Elementen und so weiter, da flippt er völlig aus, weil er sich von denen überhaupt nichts sagen lassen will. Das ist eine Schlüsselszene sicherlich im Comic, wie er sein Parteibuch zerreißt und dabei unflätig vor sich hin flucht.

Auflagerekorde gebrochen

Kupferberg: Gewidmet ist das Buch Evelyn Lüder, die mit Ernst Busch auftrat 1937 im Kinderchor des Moskauer Gewerkschaftshauses. Konnten Sie überhaupt noch Zeitzeug*innen finden für Ihr Vorhaben?
Voit: Ja, Evelyn Lüder ist eine ganz tolle Frau, die ich noch kennenlernen durfte, die uns von diesem Auftritt erzählt hat und von ihrem eigenen Schicksal auch im Gulag und ihrem Leben dann später in Ostberlin. Da sind so viele Stimmen in meinem Kopf gewesen nach diesen mehr als hundert Interviews, die ich geführt habe mit Zeitzeug*innen, dass es dann auch schwergefallen ist auszuwählen, wessen Geschichte wir erzählen. Mit Eva Busch erinnere ich mich noch an einen grauenhaften Abend in einer Münchner Pizzeria, wo sie mich hat total abblitzen lassen. Ich erinnere mich aber auch an so Sternstunden mit Menschen, die auch zum Teil schon eben verstorben sind, die berichtet haben von einer Aufbruchstimmung, die sich ergeben hat im Ruhrgebiet in Dortmund, wo die Schallplatten von Busch in den 70ern plötzlich Auflagerekorde gebrochen haben. Also es sind ganz verschiedene Menschen in allen Teilen Deutschlands, die ich besuchen durfte, und deswegen ist das auch so ein Konzept von Anfang gewesen, dass wir gesagt haben, wir wollen ihn durch die Augen der anderen erzählen.
Kupferberg: Dass er charismatisch war, dass er widerborstig war, ich glaube, das erschließt sich ganz schnell auch in Ihrer Graphic Novel. Welche Seiten von Ernst Busch konnten Sie noch über die Erzählung der Zeitzeug*innen so kennenlernen?
Voit: Das sind auch schon halbfiktionale Seiten. Ich meine, wem traut man zu, dass er Erich Honecker geohrfeigt hat? Natürlich dem Busch. Da kommt wieder dieses Proletarische, dieser Habitus, dieses Unflätige, dieses Den-Leuten-eine-Ohrfeige-verpassen, wenn einem die Argumente ausgehen, auch eine Hilflosigkeit. Ob er letztendlich dem Honecker wirklich eine runtergehauen hat oder nicht, spielt fast schon keine Rolle mehr, entscheidend ist, das Publikum hatֹ’s ihm zugetraut und niemand anderem. Das sind so Geschichten, mit denen man sicherlich als Historiker vorsichtig umgehen muss, die man aber in einer Graphic Novel gut erzählen kann – haben wir in dem Fall gar nicht mal gemacht, weil es genug andere spannende Geschichten gab. Mich haben vor allem, und Sophia Hirsch auch, die Frauenfiguren sehr interessiert: Maria Osten …
Kupferberg: Seine Geliebten, seine Frauen.
Voit: Ja, und das sind eben nicht so Liebschaften, die man so süffig nebenbei erzählt, sondern das sind einfach gestandene Frauen, die einen Riesenanteil an diesem Werk haben, was ja immerhin ähnlich wie Picassos "Guernica" oder Robert Capas oder Gerda Taros Fotografien den internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg und im Widerstand gegen die Faschisten ein Denkmal gesetzt hat. Diese Songs sind unter tätiger Mithilfe von Maria Osten und Michael Kolzow, die dann im Stalinismus ermordet wurden, entstanden. Und Busch hat sich auch nicht gescheut, das immerhin dann doch in den 60er-Jahren in der DDR noch mal zum Thema zu machen, wenngleich er ansonsten nicht in der DDR durch besonders oppositionelle Bemerkungen aufgefallen ist – das kann man nun wirklich nicht sagen. Ich würde sogar sagen, er war ein Staatskünstler, aber eben ein querulantischer.

Jochen Voit/Sophia Hirsch: "Ernst Busch - Der letzte Prolet"
Avant Verlag 2021
248 Seiten, 26 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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