Jüdischer Einfluss in Comics

Jiddeln in Sprechblasen?

15:54 Minuten
Der Comiczeichner Will Eisner schaut in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Zeichnung zu sehen.
Will Eisner, der Erfinder der Graphic Novel. Er habe einfach eine vollständige Geschichte erzählen wollen, sagte er einmal. © Imago / Marcello Mencarini / Leemage
Von Arkadiusz Luba · 03.09.2021
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Superman oder Snoopy – in Comics lässt sich garantiert etwas Jüdisches finden. Angesichts des Festivals „Comic Invasion“ schauen wir auf den jüdischen Einfluss auf die Branche und welche jüdische Themen in Comics überhaupt dargestellt werden.
Nicht alle Comic-Superhelden sind zwar jüdisch, aber immerhin wurden sehr viele von jüdischen Immigranten in den USA geschaffen. Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte dort das Medium Comic seine erste große Popularität. Sie wurden als Strips in Zeitungen und Sonntagsbeilagen gedruckt.
Da brauchte man billige Arbeitskräfte, sagt Johann Ulrich vom Avant-Verlag, der seit 15 Jahren die Serie "Die Katze des Rabbiners" von Joann Sfar verlegt und gerade am vierten Band der Gesamtausgabe arbeitet:
"Es hatte einfach mit den marginalisierten Produktionsbedingungen zu tun, dass ein höherer Anteil an jüdischen Kreativen in dieser Branche tätig war, weil es einfach eine schlecht angesehene Branche war. Sofern war es für Immigranten eine Möglichkeit, Fuß zu fassen. Daher kommt der hohe Anteil jüdischer Autoren."
Aufgrund des weitverbreiteten Antisemitismus und Rassismus in den USA hielten die jüdischen Autoren ihr Jüdischsein geheim und versteckten es oft aktiv, indem sie ihre Namen änderten. So heißt beispielsweise der 2018 verstorbene Marvel-Chef Stan Lee eigentlich Stanley Martin Lieber und Jack Kirby, der Schöpfer von "Captain America", wurde als Jacob Kurtzberg geboren.

Biblische Vorbilder

Die Vorbilder für die Superhelden kamen häufig aus der Bibel, wo es ebenfalls Menschen mit besonderen Fähigkeiten gibt: Angefangen mit Moses, der mithilfe Gottes das Meer spaltet und dadurch sein Volk aus Ägypten führt, über den starken Samson, der dank seiner Haarpracht für die Philister unbesiegbar bleibt und ihren Tempel stürzt, bis hin zum weisen König Salomo, der für jeden einen klugen Rat hat.
Doch so wie die Comic-Superhelden haben auch die biblischen Heroen ihre Schwächen. Moses stottert. Samson verliert ohne seine Haare auch seine Kräfte. Und König Salomo ist durch seinen Frauenharem moralisch gesehen kein Vorbild.
Zu Stärken gehören unausweichlich auch Schwächen, unterstreicht Frederek Musall. Er ist Juniorprofessor für Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg:
"Mit großer Kraft kommt große Verantwortung. Das heißt, man hat nicht einfach die Kräfte, um zu tun, was man will, sondern man muss sich auch einer bestimmten moralischen Verantwortung im Umgang mit diesen Kräften stellen; weil sonst können die Kräfte natürlich auch für etwas Schlechtes verwendet werden. Ich glaube, diese beiden Aspekte fließen durchaus immer wieder auch in diese Überlegung von Superhelden mit ein."

Die Erfindung der Graphic Novel

Weniger ideologisch ist Will Eisners künstlerisches Werk. Der New Yorker hat in seiner knapp 70-jährigen Karriere den Comic immer wieder grundsätzlich erneuert. In dem 1978 erschienenen "Der Vertrag mit Gott" befreite er als erster den gezeichneten Inhalt vom Rahmen und setzte frei stehende Szenen ein.
Ihm gelang es, den Comic in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Er ließ zudem soziale Themen, Gesellschaftskritik und politische Aufklärung in das Medium einfließen. Sein ganzes berufliches Leben porträtierte er den jüdischen Alltag in New York. Außerdem entwickelte er Lehr- und Sachcomics für US-amerikanische Unternehmen und für das US-Militär. Im freien Sender VPRO aus dem niederländischen Hilversum sprach Eisner einst über den Begriff, den er prägte:
"Mit meiner ersten Graphic Novel wollte ich einfach eine vollständige Geschichte erzählen. Das ist, was Graphic Novels im Wesentlichen auch tun. Sie erzählen eine vollständige Geschichte, meist in der Struktur eines normalen Romans."
Eisner nannte sich selbst einen Schriftsteller mit Bildern. So sind Graphic Novels auch visuell wahrnehmbar. Der Sinneseindruck entsteht aus der Information im Bild und dem dazugehörenden Text.

Auseinandersetzung mit deutschem Faschismus

Der Comickünstler Jason Lutes wählt einen anderen Weg, um mit der Reduzierung des Mediums umzugehen. In seinem Comic "Berlin" schafft er auf über 600 Seiten einen Kosmos der Weimarer Republik. Ähnlich wie bei James Sturm wird hier die Veränderung der Gesellschaft gezeigt und was das mit den einzelnen Menschen macht, nicht zuletzt, wie schnell eine Demokratie enden kann.
Der junge Jude David Schwartz wird symbolisch zum Ziel des grassierenden Antisemitismus. Das ruhige Tempo Lutes‘ grafischen Erzählens beginnt bereits in der Einstiegssequenz. In einem Zugabteil schläft ein junger SA-Mann. Bald öffnen sich seine Augen und bringen das Unheil der Gegenwartsgeschichte in die Welt.
Lutes zeichnet detailreich und realistisch. Seine kontrastreichen, schwarz-weißen Panels arbeitet er mit klaren Konturen genau aus. Er hat ein Auge für kantige Gesichter der Nazis, die er eher den milden Zügen der Kommunisten in Leninmützen gegenüber stellt. Ein knappes Vierteljahrhundert porträtierte er Menschen aus allen Lebensbereichen der spannenden Jahre 1928 bis 1933.
Mit Blick auf die antidemokratischen Entwicklungen in Europa und der Welt, mit Hanau, Halle, Ulm und der "Alternative für Deutschland" sieht er Ähnlichkeiten zu der Zeit in seinem Comic.
"Ich glaube, dass vieles, was damals geschehen ist, auch heute wieder passiert. Ich glaube, es sind ähnliche Kräfte am Werk. Damals gab es dieses Gefühl, dass die Welt menschlicher wird und voller Möglichkeiten steckt. Dem gegenüber stehen die rückwärtsgewandten Elemente, die versuchen, die Gesellschaft in eine sehr konservative Haltung zurückzubringen. Ich glaube, dass es diese Spannungen auch heute gibt."

Behandlung des Holocaust

Von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus ist es nicht weit und auch in Comics wurde das Thema Holocaust oft bearbeitet. Von Art Spiegelmans "Maus" von 1980 über Eric Heuvels "Die Entdeckung" von 2004 bis hin zu "Zweite Generation: was ich meinem Vater nie gesagt habe" von Michel Kichka von vor zehn Jahren.
Der Sohn eines polnischen Überlebenden zeigt mit cartoonhaften Figuren das Trauma der zweiten Generation, die sich mit der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern auseinandersetzen musste. Als erzählerisches Mittel vermischt Kichka Ernsthaftigkeit mit Humor.
In der medialen Darstellung sind jüdische Comics und jüdische Protagonisten unterrepräsentiert. Vorbilder seien aber gerade für jüdische Jugendliche und junge jüdische Erwachsene wichtig, meint der Professor für jüdische Philosophie, Frederek Musall:
"Man sucht auch nach solchen Identifikationsfiguren, die einem und einer auch Mut machen können; dass man auch als normal sterblicher Mensch sich mit all seinen Kräften und all sein Vermögen für eine gerechte Sache einsetzen kann. Und dass das Judentum auch beiläufig sein kann; eben das Jüdische als ein interessantes Detail stehenlassen zu können; und das dann nicht gleich zu essentialisieren und exotisieren. Weil darin besteht auch eine Gefahr einer neuen Form von Stereotypenbildung."
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