Weinstein-Verfahren

Ein Prozess, der alle beschädigte

04:32 Minuten
auf einen Rollator gestützt verlässt Harvey Weinstein mit seinen Anwälten und ein paar Sicherheitsbeamten das Gerichtsgebäude in Manhattan.
Er kam mit Rollator und ging in Handschellen: Die Schriftstellerin Eva Sichelschmidt begrüßt das Urteil gegen Filmmogul Harvey Weinstein. © imago / ZUMA Press / Kristin Callahan
Ein Kommentar von Eva Sichelschmidt |
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Das Wahrheitsfindung im Prozess gegen Harvey Weinstein war kompliziert, ist aber am Ende gelungen, meint die Schriftstellerin Eva Sichelschmidt. Auch wenn das Verfahren inbesondere für die Opfer des Sexualstraftäters eine Qual war.
Es überrascht nicht, dass die gebotene Unschuldsvermutung im Fall Harvey Weinstein von Anfang an auf der Kippe stand. Der Prozess gegen den prominenten Filmmogul beeindruckte durch eine Fülle an Vorverurteilungen auf beiden Seiten, gegen ihn wie auch gegen die Zeuginnen. Über achtzig Frauen hatten den Prozess gegen den Mann angestrebt, der "raubtierhafter sexueller Übergriffe" beschuldigt wurde. Allein die Zahl schien gegen ihn zusprechen, auch wenn letztlich nur zwei Fälle vor Gericht verhandelt wurden.
Doch "niemand zeugt für den Zeugen", hat Paul Celan einmal geschrieben. So war eine der wichtigsten Fragen in diesem Prozess: Mit welchen Mitteln lässt sich die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen feststellen? Oder aus der Sicht von Weinsteins Verteidigung: Wie lässt sie sich am gründlichsten pulverisieren?
Der Angeklagte schweigt. Den Klägerinnen blieb diese Wahl nicht, sie mussten aussagen. Doch der Wahrheit kam man nicht näher, indem man sie vor der ganzen Welt die sexuellen Praktiken, hygienischen Defizite und körperlichen Unappetitlichkeiten des Angeklagten schildern ließ. Was Wunder, dass nicht eine der prominenten Hollywood-Schauspielerinnen vor Gericht erschien.

Warum sollte eine Verteidigerin einfühlsamer sein?

Es war ein einzigartiger Prozess der Scham. Beschämend, Scham erzeugend und die Scham vorführend zugleich. Am Ende waren alle Beteiligten beschädigt.
Die Frauen waren mit dem potenziellen Vergewaltiger befreundet. Das machte die Beweisführung ähnlich kompliziert wie bei einer Vergewaltigung in der Ehe. Die Strategie der Verteidigung war es, die Klägerinnen bloßzustellen und ihre Wahrhaftigkeit in Zweifel zu ziehen.
Im Kreuzverhör war Donna Rotunno nicht feiner mit den Klägerinnen umgesprungen als ihre männlichen Kollegen, was als ein Zeichen der Gleichberechtigung gelten kann: eine logische Konsequenz der MeToo-Bewegung.
Warum sollte eine Verteidigerin einfühlsamer sein als ihre männlichen Kollegen? Weil sie eine Frau ist? Pah!
Jede Geste der Opfer wurde ausgewertet, ihr Kleidungsstil bis ins Kleinste analysiert. Konnte etwas an ihrem äußeren Erscheinungsbild oder ihr lockerer Lebenswandel das Raubtier in Mr. Weinstein geweckt haben? Sollten sich die Klägerinnen in diesem Prozess nicht als Opfer gesehen haben, sondern als Geschädigte – was einen maßgeblichen Unterschied in der Selbstwahrnehmung wie in der Außenwirkung bedeutet – im Zeugenstand wurden sie schließlich noch einmal zu Opfern gemacht.

Das "Zeugengrillen" kam bei den Geschworenen schlecht an

Man fühlte sich in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts versetzt: Da war er wieder, der Minirock als nonverbale Aufforderung zum Geschlechtsverkehr.
Die Geschworenen wurden gefragt, wie seriös eine junge Frau ist, die sich von einem älteren Mann Urlaubsflüge bezahlen lässt. Und warum hatten sie den Kontakt nach der erlittenen Gewalttat nicht abgebrochen? Wieso unterschrieben sie noch Jahre danach ihre Mails mit "lots of love"?
Man war sich einig: Eine Frau, die mit so einem Kerl ins Bett ging, um sich so einen beruflichen Vorteil zu verschaffen, muss sich nicht wundern, wenn sie ihr blaues Wunder erlebte.
Die gute Nachricht: Es gelang der Verteidigung nicht, die Gewalt des Sexualtäters mit der Aufarbeitung des moralischen Fehlverhaltens seiner Opfer zu relativieren. Das publikumswirksame "Zeugengrillen" ist bei den Geschworenen gar nicht gut angekommen. Staatsanwältin Joan Illuzzi veranschaulichte, was nicht leicht zu beweisen war: Dass Weinstein den Frauen sehr unterschiedliche Formen von Gewalt angetan hatte. Was auch dann ein Verbrechen ist, wenn sie es darauf angelegt hatten, mit ihm zu schlafen, bevor es zum Schlimmsten kam und sie ihre Meinung änderten.

Der Geschädigte muss kein moralisch besserer Mensch sein

Ganz gleich, welchen Eindruck die sogenannten Opfer beim Publikum hinterließen, es bleibt bei dem Grundsatz: Der Geschädigte muss kein moralisch überlegener, kein besserer Mensch sein als der Täter.
Jede Gewalttat gehört als solche bestraft.
Und so ist es gekommen. Harvey Weinstein hatte den Saal als Angeklagter auf seinen Rollator gestützt betreten, und er verließ die Bühne in Handschellen als verurteilter Täter.

Eva Sichelschmidt, geboren 1970, ist Schriftstellerin. Sie wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Gesellenprüfung zur Damenschneiderin zog sie 1989 nach Berlin und machte sich mit einem Maßatelier für Braut- und Abendmoden selbstständig. Mit ihrem Ehemann Durs Grünbein und ihren drei Töchtern lebt sie in Rom und Berlin. Ihr zweiter Roman "Bis wieder einer weint" erscheint im Frühjahr 2020 im Rowohlt Verlag.

© Juergen Bauer
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