Kommunismus

Ein schillerndes Gespenst

57:51 Minuten
Illustration: Eine Hand schwänkt eine rote Fahne.
Unerfülltes Versprechen: Viele, vor allem junge Menschen sehnten sich nach einem solidarischen und nicht-entfremdeten Leben – etwas, das ihnen im Kapitalismus fehlt. © Getty Images / iStockphoto / Nadia Bormotova
Moderation: Simone Miller · 10.07.2022
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Gesellschaftliche Herausforderungen gibt es viele. Doch Lösungen sind nicht einfach zu finden. Auf der Suche nach Alternativen findet immer wieder ein Begriff Eingang in die Debatte: Kommunismus. Doch was versteckt sich dahinter?
Erderwärmung, Krieg und Armut – es gibt viele Gründe dafür, sich mit gesellschaftlichen Utopien auseinanderzusetzen. Eine davon – der Kommunismus – sorgt immer wieder für Debatten, mitunter in den sozialen Medien sogar für heftige Angriffe. Was sich hinter dem Begriff Kommunismus versteckt, bleibt bei den kurzzeiligen Äußerungen im Netz oft auf der Strecke. Grund genug, sich diesen näher anzusehen.

Was bedeutet der Begriff Kommunismus?

Der Begriff kam im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung in Europa und den politischen Kämpfen der Arbeiterklasse auf und stellte einen Gegenentwurf zum Kapitalismus dar. Vor allem mit den frühen Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, wie zum Beispiel dem „Kommunistischen Manifest“ von Marx wurde die Utopie bekannter – doch bleib sie unbestimmt, denn eine genaue Definition lieferte Marx in seinem Werk nicht. Kommunismus ist deshalb „ein schillernder Begriff“, wie die Verlegerin Sabine Nuss sagt. Der Historiker Gerd Koenen bezeichnet ihn sogar als „leeres Wort“.

Kapitalismus gegen Kommunismus – was ist der Unterschied?

Der Kapitalismus ist eine moderne, auf Privateigentum beruhende Wirtschaftsform, die die ganze Gesellschaft beeinflusst und entlang des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit Klassen hervorbringt. Einerseits sorgt dies für eine dynamische Entwicklung und großen Reichtum. Anderseits ist dieser ungleich verteilt – Armut, aber auch die Zerstörung der Natur und Umwelt sind Folgen.

Über den Kommunismus reden, ist nicht einfach. In unserer Philosophiesendung „Sein und Streit“ haben sich der Historiker Gerd Koenen, die Verlegerin Sabine Nuss und die Publizistin Şeyda Kurt dem Begriff angenähert . Während Koenen, Autor des Buchs „Die Farbe Rot: Ursprünge und Geschichte des Kommunismus“, auf den totalitären Charakter realexistierender kommunistischer Regime hinweist, betont Nuss, die den Karl-Dietz-Verlag in Berlin leitet, den emphatischen Freiheitsbegriff in den Marxschen Bemerkungen zum Kommunismus, wohingegen Kurt („Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist“) den Bewegungscharakter des Kommunismus hervorhebt.

Unter Kommunismus - in Abgrenzung zum Kapitalismus - wird landläufig die Utopie von einer alternativen Gesellschaft verstanden, in der Gleichheit und Solidarität, nicht aber die Profitmaximierung im Mittelpunkt der Gesellschaftsordnung stehen. Die Frage, wie gearbeitet werden soll, ist dabei zentral. Arbeit soll dazu dienen, Bedürfnisse zu befriedigen und möglichst viel Freiheit herzustellen, sie soll aber nicht den Zweck haben, Reichtum für wenige anzuhäufen.

Gibt es einen Kommunismus?

Die Ideen über den Kommunismus sind allerdings vielfältig. Während manche Theorien davon ausgehen, dass bereits in der frühen Menschheitsgeschichte eine Form des sogenannten Urkommunismus bestand, gehen andere davon aus, dass der Kommunismus erst durch die Überwindung des Kapitalismus in Form einer Revolution entstehen wird.
Sabine Nuss sitzt an einem Tisch und spricht gestikulierend mit einer ihr gegenübersitzenden Person.
Sabine Nuss leitet den Karl-Dietz-Verlag in Berlin.© imago images / Willi Schewski
Andere meinen, dass der Prozess des gesellschaftlichen Wandels hin zum Kommunismus selbst bereits durch demokratische und solidarische Lebens- und Arbeitsweisen vorangetrieben werden müsste. Träger dieser Bewegung sind etwa für die Publizistin Şeyda Kurt diejenigen, „die in der Geschichte bisher zu Objekten gemacht wurden“ – also die Klasse der Lohnabhängigen, Besitzlosen, Versklavten und Kolonisierten sowie Frauen, die Zuhause kostenlose Pflegearbeit verrichten.

Wie ist die Geschichte des Kommunismus?

Es gibt zwei Seiten: eine ideengeschichtliche und eine realhistorische. Erste ist zwar von Marx und Engels geprägt worden, aber nicht allein durch sie bestimmt. Der Begriff wurde und wird von verschiedenen Gruppen, Parteien und Staaten angeeignet und den eigenen Interessen entsprechend verwendet - häufig auch mit widersprüchlichen Inhalten.

Das K-Wort sorgt für Aufregung. Anfang Juni wurde #kommunismus sogar auf Twitter zum Trend. Auslöser war ein Interview der Schwarzen Lyrikerin Elisa Aseva , die ihr Verhältnis zum Kommunismus ansprach. Es folgte ein Social-Media-Sturm, bei dem sich ihr die Journalistin und Autorin Şeyda Kurt zur Seite stellte. In ihrem Kommentar „Warum wir alle Kommunisten sein sollten“ sagt Kurt , warum sie sich solidarisierte.

In der Geschichte gab es zudem Gesellschaften, die sich kommunistisch genannt haben. Neben der Sowjetunion und anderer realsozialistischer Staaten gab es aber auch bereits 1871 die Pariser Kommune. Auch heute noch berufen sich Regierungen auf den Kommunismus, etwa in China. Kommunistische Ideen finden sich außerdem unter anderem in dem Selbstverwaltungsprojekt im nordsyrischen Rojava.

Führt der Kommunismus in eine Diktatur?

In den wenigen Stellen seines Werks, in denen Marx sich zum Kommunismus äußerte, hob er ausdrücklich die individuellen Freiheit hervor. Ihm zufolge ist die Freiheit des einzelnen die Bedingung der Freiheit aller. Marx sei es nicht um Gleichmacherei gegangen, sondern um Individualität, betont daher Verlegerin Nuss.
Şeyda Kurt sitzt auf einer Kirchenbank und lacht in die Kamera.
Die Journalistin Şeyda Kurt hat das Buch "Radikale Zärtlichkeit: Warum Liebe politisch ist" geschrieben.© picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt
Dagegen betont der Historiker Gerd Koenen, dass der Kommunismus nicht per se fortschrittlich ist, wenn er nicht die Differenzierung der Gesellschaft aufnimmt und sich als demokratisches Projekt versteht. Daher müssten diejenigen, die sich für den Kommunismus einsetzen, mit den daraus hervorgegangenen Zwangssystemen auseinandersetzen. So war die Herrschaft kommunistischer Parteien im 20. Jahrhundert totalitär.

Welche Ansätze des Kommunismus gibt es noch?

Nach der Oktoberrevolution in Russland stand eine von Lenin beeinflusste Theorie, die sich auf den Marxismus berief, für den Kommunismus: der Marxismus-Leninismus. Doch sowohl vor 1917 als auch danach gab es andere Ideen, die stärker Fragen der Freiheit und Herrschaftslosigkeit in den Mittelpunkt stellten. Außerdem gibt es globale Ansätze, in denen feministische, antikoloniale und umweltpolitische Fragen eine große Rolle spielen.
Der Historiker Gerd Koenen während der TV-Sendung "Die blaue Stunde" am 12.10.2017 auf der Frankfurter Buchmesse.
Gerd Koenen ist der Autor des Buches "Die Farbe Rot: Ursprünge und Geschichte des Kommunismus".© picture alliance / Sven Simon / Elmar Kremser
Zudem gibt es auch in der gegenwärtigen Gesellschaft „widerständige Räume“, so Kurt, in denen kooperativ gelebt werde. Dafür sorge auch, dass sich viele, vor allem junge Menschen nach einem solidarischen und nicht-entfremdeten Leben sehnten – etwas, das ihnen im Kapitalismus versprochen werde, sich aber nicht erfülle.
(rzr)

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