Retro-Trend
Wurde wieder populär durch den Film "Guardians of the Galaxy": der Sony Walkman TPS-L2. © IMAGO / YAY Images / IMAGO / sudiptabhowmick
Der Walkman ist zurück! ... Oder?

Digital Detoxing liegt im Trend: Junge Menschen wünschen sich "Dumbphones", die nichts können außer Telefonie und SMS. Und seit einigen Jahren kehrt die Kassette zurück. Doch der Walkman ist das Nonplusultra, findet unser junger Kollege Jan Borree.
Ich bin zwar 1997 geboren, aber trotzdem kenne ich Kassetten noch. Ich bin sogar mit ihnen aufgewachsen. Zum Einschlafen lief bei mir „Benjamin Blümchen“, beim Lego bauen „Fünf Freunde“ und beim Malen „Die Drei ???“. Alles auf Kassette im Abspielgerät. Dass es auch Musikkassetten gab – für mich als Kind eher uninteressant. Und Walkmans? Waren für mich als Kind auch nicht wirklich wichtig.
Auch bei mir ersetzten erst CDs Kassetten, dann kamen die ersten MP3-Player und irgendwann natürlich Smartphone und Co. Ich habe zwar noch sehr schöne Erinnerungen an meine Hörspiel-Kassettensammlung, aber so richtig hatte ich Tapes danach eigentlich nicht mehr auf dem Schirm.
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Popkultur sei Dank
So wie mir ging es vermutlich einigen. Bis Marvel 2014 den Film „Guardians of the Galaxy“ in die Kinos brachte. Darin in der Anfangssequenz populär zu sehen: ein alter Sony Walkman, mit dem der Protagonist „Starlord“ durch die Szenerie hüpft.
Genauer gesagt, ein Sony Walkman TPS-L2. 1979 kostete er zur Markteinführung stolze 498 D-Mark. Kostenpunkt heute: 500 Euro aufwärts, gebraucht. Popkultur sei Dank. Nicht für die horrenden Preise, sondern für die Öffentlichkeit, die Hollywood diesem Relikt aus der Vergangenheit wieder geboten hat.
Drei Jahre später dann der nächste Griff in die Wühlkiste der 80er-Jahre. In der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ spricht die Protagonistin ihre Geschichte auf mehrere Kassetten ein, die nach ihrem Tod dann von jemand anderem mit einem Walkman abgespielt werden.
Und Netflix schien Gefallen an der alten Technik gefunden zu haben. Auch in der Serie „Stranger Things“ bekam der Walkman eine besondere Rolle und Kate Bushs‘ Song „Running up that hill“ dadurch noch einen unfassbaren Hype. Den Soundtrack zu der Serie gab es dann – wie soll es anders sein – als Mixtape auf Kassette zu kaufen.
Wie ironisch, in einer Zeit zu leben, in der man die Serie selbst gar nicht mehr physisch kaufen, geschweige denn abspielen kann, den Soundtrack dann aber auf einem eigentlich veralteten Medium kaufen kann.
Aber was soll ich sagen? Die Mischung aus Marketing, Nostalgie und Konsumgier hat mich gepackt. Ich wollte dieses „Stranger-Things“-Mixtape haben und mich wie die Personen in der Serie fühlen. Und dazu brauchte ich natürlich auch noch einen Walkman.
Neue Walkmans, alte Technik
Das Problem war nur: Gute Retro-Walkmans sind teuer und ich als Laie hatte natürlich keine Idee, welcher kostengünstige Walkman denn jetzt überhaupt noch gut und halbwegs zuverlässig funktionieren könnte. Diese Marktlücke haben aber auch schon zwei Unternehmen entdeckt. Die chinesische Firma „FiiO“ und das französische Start-up „We are rewind“. Von letzteren habe ich den Walkman dann ausprobiert.
Erstes Gefühl: krass, eine Mischung aus Retro und Zukunft. Zweites Gefühl: ganz schön klobig. Aber immerhin ein Walkman, der es direkt erlaubt, eigene Mixtapes zu erstellen. Das konnten die meisten Geräte früher nicht. Ich ertappe mich dabei, mit welcher Liebe zum Detail ich auf einmal ein Mixtape kuratiere. Keine Spotify-Playlist dieser Welt wurde je von mir mit so einer Detailversessenheit erstellt.
149 Euro für das Gerät sind mir dann aber doch zu teuer. Und nach ein paar Stunden fing das Gerät dann auch noch nervig zu brummen an. Simpler Grund: Die Technik, die in neuen Walkmans steckt, ist nicht mehr auf demselben Niveau wie bei den Walkmans von früher.
Schlicht und einfach deswegen, weil es kaum noch Unternehmen gibt, die die technischen Komponenten wie Tonkopf, Tonachse und Andruckrolle herstellen. Die Technik, die im „We are Rewind“-Walkman steckt, ist im Prinzip dieselbe, die man auch bei günstigen 20-Euro-Amazon-Walkmans findet. Und die kann schnell anfangen zu haken. Ich schickte das Gerät zurück.
Hintergrund: Rückkehr des Walkmans?
Obwohl Firmen wie „We are Rewind“ und „FiiO“ neue Walkmans auf den Markt bringen und auch etablierte Künstler wie Taylor Swift und The Weeknd ihre Alben wieder auf Kassette rausbringen, der Markt für Walkmans und Kassetten ist immer noch klein. 2004 wurden so noch etwa 18 Millionen Kassetten verkauft, 2022 nur noch rund 100.000. Unter Musikliebhabern wird aufgrund der Tonqualität eher die Schallplatte vorgezogen. Die ganz große Rückkehr der Walkmans und Kassetten bleibt dementsprechend zwar aus, die Sichtbarkeit und popkulturelle Relevanz hat in den letzten Jahren jedoch wieder zugenommen.
Neue Stars, alte Walkmans
Jetzt hatte ich also keinen Walkman mehr, habe mir in der Zwischenzeit aber bereits das neue Album von The Weeknd auf Kassette bestellt. Musik wieder physisch in den Händen liegen zu haben, ist dann doch noch mal etwas anderes, als sie nur zu streamen. Es fühlt sich „richtiger“ an, echter.
The Weeknd ist nicht der einzige Künstler, der heutzutage sein Album auch auf Kassette rausbringt. Olivia Rodrigo, Taylor Swift – you name it. Von großen Künstlern und Künstlerinnen gibt es eigentlich kaum noch jemanden, der sein Album nicht auch auf Kassette rausbringt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Marketing, Nostalgie, Retro-Charme, Sammlerstücke, Profitgier. Mich bekommt man mit sowas.
Ich machte mich also auf die Suche nach alten Walkmans, mit denen ich meine gerade neu ergatterte Musik abspielen konnte. Dabei stieß ich auf Mike Herzberg, der seit einigen Jahren Walkmans restauriert und mir seine Werkstatt zeigte. Er empfahl mir einen Walkman der Marke AIWA. Toll sah er aus, keine Frage. Und er konnte die Kassette per Knopfdruck von beiden Seiten abspielen, ohne dass ich die Kassette drehen musste. Kurzerhand kaufte ich ihm im Nostalgierausch den Walkman ab.
Die Sache mit der Nostalgie
Apropos Nostalgie. Ja, ich bin mit Kassetten aufgewachsen, aber doch nicht mit Walkmans. Trotzdem bekomme ich ganz sentimentale Gefühle, als ich mich ins Bett lege und meine neue Kassette mit der alten Technik abspielen. Es klingt paradox, aber ich fühle mich wie ein Teenie in den 1980er-Jahren.
Dieses Gefühl der Nostalgie ist es wohl auch, den andere mit Walkmans verbinden. Eine Sehnsucht nach vergangenen, nach einfacheren Zeiten. In denen ein Gerät wirklich nur eine Sache konnte und das Hörerlebnis nicht durch ständig aufkommende Pop-up-Benachrichtigungen gestört wurde. Nostalgie funktioniert anscheinend auch für Dinge und Momente, die man selbst nur aus Erzählungen kennt.
Aber nostalgische Momente werden oft auch verklärt. Zur Wahrheit gehört zu meinem Walkman-Erleben nämlich auch: Das Gerät ist recht filigran, das Abspielband hakt öfter. Wenn ich mit dem Gerät laufe, dann können schon kleinere Erschütterungen dazu führen, dass sich The Weeknd mehr nach einem Monster in Slowmotion anhört als nach einer klaren, feinen Singstimme.
Mein Walkman und ich
Und dann ist da ja noch mein Wunsch nach Entschleunigung: Kassette an, Welt aus. Aber Entschleunigung ist anstrengend. Entschleunigung fordert Fokus und Muße, also eine gezielte Auseinandersetzung mit den Dingen, die man gerade in diesem Moment tut. Und das habe ich anscheinend verlernt. In meinem Alltag läuft vieles eher nebenbei. Das Radio beim Duschen, Podcasts unterwegs und beim Musikhören suche ich eigentlich immer schon den nächsten Track.
Bin ich jetzt also auf einen Walkman zum Musikhören umgestiegen? Nein, aber alleine seine Anwesenheit in meinem Regal gibt mir immer wieder einen Hinweis darauf, dass mir Entschleunigung guttun würde.
Und wenn mein Lieblingskünstler wieder ein neues Album auf Kassette rausbringt, kann ich mir stolz ein neues Tape für meine Sammlung zulegen. Und das Album beim ersten Hören einmal ganz nostalgisch-entschleunigt auf meinem Walkman anhören. Immerhin.