Waffenverbotszone in Leipzig

Der Verdacht soll untersucht werden

10:14 Minuten
Ein gelbes Schild mit der Aufschrift "Waffen verboten" und der Darstellung von, mit roten Kreuzen markierten, Piktogrammen einer Schusswaffe, eines Klappmessers, eines Schlägers und eines Pfeffersprays.
Waffenverbotszone in der Gegend der Eisenbahnstaße in Leipzig. © imago images / picture point
Von Marius Elfering · 26.02.2020
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Im Leipziger Osten darf die Polizei Menschen ohne konkreten Verdacht kontrollieren. Möglich ist das durch die dortige Waffenverbotszone. Das schüre Misstrauen gegen Migranten, sagen Kritiker. Nun soll der Erfolg der Maßnahme erforscht werden.
Ein gelbes Schild an einer viel befahrenen Straße. In dicken schwarzen Buchstaben steht "Waffen verboten" darauf geschrieben. Dahinter reihen sich Cafés an Spielhallen und Altbauten. Einige heruntergekommen, andere frisch modernisiert. Die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten rückte in den vergangenen Jahren wegen teils schwerer Straftaten, die hier begangen wurden, immer wieder in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. So wurden beispielsweise im vergangenen Jahr vier Mitglieder eines Rockerclubs zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie 2016 das Mitglied eines rivalisierenden Clubs auf der Eisenbahnstraße erschossen hatten.

Polizei zieht Messer, Reizgas und Pistolen ein

Seit November 2018 darf die Polizei im Quartier rund um die Eisenbahnstraße Personenkontrollen durchführen, ohne dass ein konkreter Verdacht besteht, und nach Waffen suchen. Finden die Beamten verbotene Gegenstände wie Messer, Reizgas oder Pistolen, dann drohen Bußgelder von bis zu 10.000 Euro.
Henry Hufenreuter saß bis zum vergangenen Jahr für die CDU im Beirat des Stadtbezirks Ost in Leipzig. Im Büro des Bürgervereins Neustadt-Neuschönefeld erinnert er sich an die Diskussionen rund um die Einführung der Waffenverbotszone. Für ihn war damals sofort klar, welche Position er vertritt:
"Also, ich selbst bin fast 20 Jahre in führender Position im Bürgerverein, hier in Neustadt-Neuschönefeld, gewesen und habe mich als solcher sehr für eine Verbesserung der Sicherheit hier im Gebiet eingesetzt. Aus dieser Funktion heraus war ich natürlich immer ein Befürworter der Waffenverbotszone."

Verstärkt die Zone rassistische Vorurteile?

An einem trüben Nachmittag läuft Lisa Loewe mit einem Mitstreiter durch die Nebenstraßen des Viertels. Sie ist Teil der Initiative CopWatch Leipzig, welche die Abschaffung der Waffenverbotszone fordert.
"Als wir erfahren haben, dass es eine Waffenverbotszone geben wird und dass es auch einfach durch Verordnung vom Innenministerium, also ohne große öffentliche Diskussion, entschieden wurde, waren wir relativ schockiert. Ws war irgendwie klar: Okay, das lassen wir nicht so unwidersprochen stehen. Weil es zum einen auf rassistischen oder auch klassistischen Narrativen der Eisenbahnstraße beruht. Dass es eben hier besonders gefährlich sei; eben vor allem Schwarze oder arme Menschen besonders gefährlich seien. Und deswegen hier die Polizei jetzt richtig hart durchgreifen muss, damit alle wieder sicher sind. Deswegen haben wir Proteste initiiert."
Symbolisch sägen Demonstranten mit ihren, aus Pappe gebastelten, Bomben und Sägen an dem neu aufgestellten Schild mit der Aufschrift "Waffen verboten".
Ein Viertel unter Generalverdacht? Protest gegen die Einrichtung der Waffenverbotszone.© imago images / Tim Wagner
Hufenreuter konnte die Aufregung damals nicht verstehen:
"Es gab das Argument, dass wenn Mütter ihre Kinder an so einem Schild vorbei zum Kindergarten bringen, dass das Kind seelischen Schaden nimmt. Ich habe das nie begriffen. Ich habe nie begriffen, wie ein Kind mehr seelischen Schaden von einer Wandtafel nehmen kann, als etwa von einer Schießerei auf der Straße, die damit unter anderem unterbunden werden soll."

Junge Männer unter Verdacht

Dass von den sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen, wie es im Polizeijargon heißt, vor allen Dingen Menschen mit Migrationshintergrund betroffen sein könnten, das ist Hufenreuter klar. Er verteidigt dieses Vorgehen:
"Wenn Sie sich das anschauen, werden Sie natürlich darauf kommen, dass der größte Teil krimineller Handlungen von jungen, männlichen Bewohnern mit ausländischen Wurzeln, politisch korrekt ausgedrückt, begangen wird. So, wenn dann vorrangig diese Leute kontrolliert werden, dann könnte man sagen: Das ist Racial Profiling. Man könnte aber auch sagen: Das ist eine Verdachtsgruppe. Warum soll ich die 80-jährige Oma, warum soll ich die kontrollieren?"
Mehr als 2.600 Personen durchsuchte die Polizei allein im ersten Jahr des Bestehens der Zone und fand dabei mehr als 100 Messer.

Anwohner beklagen Stigmatisierung des Viertels

Über einem Supermarkt, direkt an der Eisenbahnstraße gelegen, findet man das Ost-Passage Theater. In einem kleinen Raum, hinter der Bühne, sitzt Daniel Schade. In dem Theater ist er verantwortlich für die künstlerische Leitung. Er sieht die Gefahr, dass die Zone einen Rückschritt für die Entwicklung des Viertels darstellt.
"Wir haben hier viele Akteure, wir selber als Theater auch, die sich darum bemühen, das Viertel auch im Image, im Ruf aufzuwerten; die Vielfalt, die positiven Seiten des Viertels auch in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit solch einer Stigmatisierung, also mit so einer Maßnahme, mit so einer Sonderzone, hat man unsere Arbeit auch einfach konterkariert."
Schades Forderungen an die Politik sind deutlich: Die Schilder müssen weg.
"Wir möchten diesen Mythos auflösen, dass die Eisenbahnstraße ein gefährlicher Ort ist. Vor allen Dingen deshalb gefährlich ist, weil hier so viele Leute mit Migrationshintergrund leben. Das möchten wir alles weg haben. Dafür werden wir auch kämpfen und arbeiten, diskutieren, Kunst schaffen, Leute zusammenbringen. Das ist unser Ansatz und die Schilder sind einfach nur hinderlich."

Die Wirkung der Zone wird erforscht

Mit der Einführung der Waffenverbotszone vereinbarte man gleichzeitig auch eine Evaluierung nach circa einem Jahr. Marcel Schöne, Professor für Kriminologie der Fachhochschule der Sächsischen Polizei, leitet die Evaluierung. In einer Außenstelle der Polizei Leipzig sitzt der Wissenschaftler vor einem Computer. Auf den Ergebnissen seiner Forschung ruhen viele Hoffnungen – sowohl die der Gegner der Zone, als auch die der Befürworter.
"Ein Hauptziel wäre zu klären: Haben wir bezüglich des Kriminalitätsaufkommens eine Senkung durch Maßnahmen der Repression und Prävention", sagt Schöne. "Das zweite wäre, und das würde dann die Bürgerinnen und Bürger betreffen und die Meinungsbilder, die wir versuchen abzuholen: Wie verhält es sich eigentlich mit dem Sicherheitsempfinden der Wohnbevölkerung?"
Informationsflyer mit der eingezeichneten Waffenverbotszone in Leipzig.
Informationsflyer der sächsischen Polizei mit der eingezeichneten Waffenverbotszone in Leipzig.© imago images / Tim Wagner
In den kommenden Monaten sollen verschiedene Daten aus der Kriminalitätsstatistik ausgewertet werden. Außerdem werden 3.000 zufällig ausgewählte Personen, die im Bereich der Eisenbahnstraße leben, mit einem Fragenkatalog zu ihren Erfahrungen befragt. Auf Deutsch, Arabisch, Türkisch und Russisch.

Vertraut die Bevölkerung der Polizei?

"Da fragen wir ganz verschiedene Dinge ab", erläutert Schöne. "Beispielsweise: Gibt es von Seiten der Befragten eine direkte oder indirekte Viktimisierungserfahrung? Sind sie also Opfer von bestimmten Straftaten im Quartier geworden? Dann fragen wir ab: Gibt es von Seiten dieser Personen eine Anzeigebereitschaft? Ist es im Dunkelfeld der Kriminalität gelandet? Also können wir das gar nicht über unsere Statistiken abbilden? Dann gibt es eine Frage: Wie nehmen Sie Polizeiarbeit im Quartier wahr? Hat sich für Sie diese Polizeiarbeit verändert in der Wahrnehmung? Vertrauen Sie der Polizei?"
Obwohl auch in anderen Städten, wie Bremen oder Hamburg, Waffenverbotszonen eingeführt wurden, gibt es bisher keine Forschung zu deren tatsächlicher Wirkung.
"Ich bin sehr dankbar", sagt Schöne, "im Namen der Wissenschaft dankbar, dass das Land Sachsen die Relevanz von Forschung erkannt hat und sagt: Polizeiliche Maßnahmen, auch Maßnahmen des Ordnungsamtes der Stadt, wollen wir checken, ob die eigentlich sinnvoll sind, weil sie letztlich in Bürgerrechte eingreifen."

Einschränkung von Bürgerrechten muss gut begründet sein

Dabei ist nicht eindeutig, ab wann ein Verstoß vorliegt. Während in den Außenbereichen von Restaurants Speisemesser genutzt werden dürfen, ist es Anwohnern nur erlaubt, Waffen und gefährliche Gegenstände mit sich zu führen, sofern diese "nicht zugriffsbereit transportiert werden". Also in einem verschlossenen Behältnis.
"Das heißt: Sie schränken Grundrechte ein", sagt Schöne, "die Sensibilität besteht darin, zu sagen: Wenn ich schon eine Grundrechtseinschränkung in einem bestimmten Quartier mache, dann muss ich belegen können, dass das sinnvoll ist. Sonst muss ich irgendwann sagen: Okay, das muss ich lassen. "
Dass ihm und seiner Forschung einige Gegner der Waffenverbotszone kritisch gegenüberstehen, das weiß auch Schöne:
"Ich bin Forschungsleiter von der Hochschule der Sächsischen Polizei, die mit der Evaluation beauftragt ist. Aber wir geben das ab, weil wir natürlich wissen, dass der Vorwurf im Raum steht, nicht objektiv zu sein. Nicht valide arbeiten zu können, wenn also ein Akteur, der selbst beteiligt ist, sich selbst evaluiert. Das ist nicht ganz so, weil ich als Wissenschaftler kein Polizeibeamter bin und die Wissenschaftsfreiheit genieße. Dennoch: Um gesellschaftlicher Diskussion aus dem Weg zu gehen, schreiben wir das gerade aus und vergeben das dann an einen externen Akteur."

Antigewalttraining statt Polizeikontrollen?

Ausgeschrieben wird die Datenerhebung. Die spätere Auswertung nimmt sowohl die Fachhochschule der Sächsischen Polizei vor als auch das externe Institut. Durch den Vergleich dieser Auswertungen soll eine höhere Objektivität erreicht werden.
Die Polizei selbst wollte sich in der aktuellen Situation nicht zu ihren Erfahrungen mit der Waffenverbotszone äußern. Ein Sprecher verwies auf Marcel Schöne. Mit den Ergebnissen ist laut ihm im Herbst zu rechnen.
Die Entwicklung des anstehenden Forschungsprojekts verfolgt auch Juliane Nagel mit Spannung. Für die Linke sitzt sie im sächsischen Landtag. Nagel ist eine der schärfsten Kritikerinnen der Waffenverbotszone:
"Es gibt zum Beispiel ein Projekt, das heißt Heroes, das versucht mit jungen Männern mit Migrationshintergrund, die vielleicht noch problematische Geschlechterbilder haben oder Gewalt, auch mit Waffen, für sich bejahen, mit denen zu arbeiten, dass sie für sich auch andere Konfliktlösungsmechanismen akzeptieren. Ich glaube, solche Projekte sollte man eher zum Einsatz bringen als so ein rabiates Instrument."

Die Fronten bleiben verhärtet

Wie auch immer die Ergebnisse letztlich ausfallen: Die Fronten werden wohl erst einmal verhärtet bleiben. Doch vielleicht verbindet sie alle hier, die Gegner und Befürworter der Waffenverbotszone, ein gemeinsames Ziel. Hufenreuter, der für die CDU im Stadtbezirksbeirat saß und für den Erhalt der Zone ist, formuliert seine Wünsche für die Straße so:
"Also, was ich mir wünschen würde, wäre, dass sie ihre positiven Eigenschaften ausprägen kann, dass sie sozial und kulturell noch ein bisschen wächst. Dass sie ein bisschen sauberer und ein bisschen weniger arm und ein bisschen attraktiver wird. Das hat sie verdient."
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