Wael B. Hallaq: „Orientalismus als Symptom"

Eine kurze Kritik des gesamten modernen Westens

05:36 Minuten
Auf dem Cover sind gelbe Quadrate auf blauem Hintergrund so angeordnet, dass sie eine Art Tunnelperspektive bilden. Zwischen den einzelnen Streifen sind Buchtitel und Autorenname abgedruckt.
© Matthes & Seitz

Wael B. Hallaq

Aus dem Englischen von Dirk Höfer

Orientalismus als Symptom. Eine Kritik des modernen WissensMatthes & Seitz, Berlin 2022

493 Seiten

38,00 Euro

Von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
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Edward Said gilt mit seinem Buch „Orientalismus“ als Begründer der postkolonialen Wissenschaft. Dem Islamwissenschaftler Wael Hallaq geht Saids Ansatz nicht weit genug: Er wirft ihm vor, den westlichen Säkularismus zu positiv zu bewerten.
Seit der Veröffentlichung von Edward Saids „Orientalismus“ im Jahr 1979 rissen sowohl Lob als auch Kritik für dieses kanonische Werk nicht ab. Nun reiht sich mit „Orientalismus als Symptom. Eine Kritik des modernen Wissens“ auch das Buch des US-amerikanischen Juristen und Islamwissenschaftlers Wael B. Hallaq in die Reihe der Kritiken ein.
Dabei ist Hallaqs Titel eigentlich irreführend, um Orientalismus geht es lediglich am Rande. Laut Hallaq ist die Wissenschaft, die das Bild des Orients im Westen kreierte und festigte, nämlich nur ein kleines Instrument westlicher Hegemonie, weshalb er Saids Kritik auszuweiten versucht.

Said – zu handzahm

Hallaq wirft Said gleich zu Beginn seines Buchs „historische Kurzsichtigkeit“ und „mangelnde geografische und ethnische Differenzierung“ vor. Dass Said in seiner Kritik das Thema der „Rechtsherrschaft“ auslasse, verrate sein Unvermögen, „die wirklich wichtigen Dinge in den Blick zu bekommen“.
Für Hallaq geht Saids „Orientalismus“ also nicht weit genug. In seiner Kritik sei Said systemerhaltend, da er den westlichen Säkularismus und das dazugehörige Wissenschaftssystem nie infrage stelle, im Gegenteil sogar bewundere.
Laut Hallaq ist die westliche Moderne durch den Kolonialismus konstituiert, mit einer Verbesserung des Systems könnten die Mängel, die Said aufzeigt, nie beseitigt werden. Diese Analyse findet sich bereits auf den ersten Seiten, der Rest des Buchs ist eine Abhandlung über „grundlegende moralische Prinzipien und ethische Strukturen, die in einem komplexen Beziehungsverhältnis zur Moderne stehen“ und mit Saids „Orientalismus“ nur noch lose verknüpft sind.

Das Problem ist der Fortschritt

Hallaq baut seine Kritik auf dem Argument auf, dass der moderne Westen – sein Wirtschaftssystem, seine Nationalstaaten und seine Wissenschaften – ohne den Kolonialismus nicht entstanden wären. Immer wieder stellt er die Frage, warum der westliche Kolonialismus eine umfassende destruktive Kraft entfachte, während „Chinesen, Inder, Muslime und viele andere“ ihre Bevölkerungen nicht „systematisch mit physischer oder kultureller oder mentaler Zerstörung“ überzogen.
Schuld an der verheerenden Effektivität des europäischen Kolonialismus sei die „Theologie des Fortschritts“, die als Folge der Aufklärung langsam das Christentum ersetzte.  Said als „unübertreffliche[m] Literaturkritiker“ hätte für diese Erkenntnis jedoch „jedes historische Verständnis“ gefehlt.

Komplex und zu vage

Mit Bandwurmsätzen, die teilweise zwölf Zeilen lang sind, baut Hallaq seine Argumente sehr sorgfältig auf. Der Platz scheint ihm trotz 350 Seiten Text nicht auszureichen, da Hallaq bereits im Vorwort erklärt, dass das vorliegende Buch ohne die Lektüre seiner zuvor erschienenen Werke eigentlich nicht zu verstehen sei.
Hallaq erklärt, dass die von ihm kritisierte Moderne mittlerweile das „Überleben […] der menschlichen Spezies und anderer Lebensformen“ bedrohe. Die Dringlichkeit, die man bei einem so brisanten Thema vermuten würde, spürt man in Hallaqs Zeilen jedoch nicht, das Buch bleibt vage.
Der Autor kennt sich aus, seine Fragen sind allerdings häufig interessanter als seine Antworten, die oft so theoretisch ausfallen, dass man sie gar nicht genau greifen kann. Vielleicht hätte der Autor an einigen Stellen von seinem eigenen Rat an Said profitieren können, dessen Buch laut Hallaq mehr Wirkung gezeigt hätte, „wäre es gestrafft und […] reduziert worden“.
Der europäische Kolonialismus hat die Welt einschneidend und für viele Länder zum schlechteren verändert. Wie genau man diese Schieflage korrigiert, beantwortet auch Hallaq nicht.

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