Vorwurf des DDR-Relativismus

Ex-Lektor verteidigt Schriftsteller Christoph Hein

Der Schriftsteller Christoph Hein
Christoph Hein wurde mit seiner Novelle "Der fremde Freund" bekannt, die 1982 in der DDR veröffentlicht wurde und 1983 in der BRD unter dem Titel "Drachenblut" erschien. © imago/epd
Thorsten Ahrend im Gespräch mit Frank Meyer  · 30.01.2019
Weil er den Film "Das Leben der Anderen" ein Gruselmärchen nannte, wirft die "FAZ" Christoph Hein vor, die DDR zu relativieren. Sein ehemaliger Lektor Thorsten Ahrend verteidigt ihn und sagt, Hein sei sicher kein Staatsautor gewesen.
Frank Meyer: Der Schriftsteller Christoph Hein, der rede die Verfolgung von kritischen Autoren in der DDR klein. Christoph Hein nähme eine relativierende Pose gegenüber der DDR ein. Das hat ihm gestern Andreas Platthaus vorgeworfen, ein renommierter Kulturredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", und das ist interessant auch, weil Christoph Hein selbst einer der wichtigsten kritischen Intellektuellen in der DDR war, unter anderem mit seinem öffentlichen Protest gegen die Zensur in dem Land im Jahr 1987. Die Vorwürfe von Andreas Platthaus, die beziehen sich auf einen Auszug aus dem neuen Buch von Christoph Hein, und dort erzählt Hein, wie ihn der Filmregisseur Florian Henckel von Donnersmarck zu seinem Leben befragt hat, als er seinen mit dem Oscar geehrten Film "Das Leben der Anderen" vorbereitet hat. Über diesen Text und die Vorwürfe gegen Christoph Hein reden wir jetzt mit Thorsten Arend, der leitet heute das Literaturhaus Leipzig. Bis 2004 war er der Lektor von Christoph Hein im Suhrkamp-Verlag. Guten Tag, Herr Arend!
Thorsten Arend: Guten Tag!
Meyer: Wenn wir erst mal auf den Text von Christoph Hein schauen, der wurde vor Kurzem in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht. Was kritisiert er denn da an dem Film "Das Leben der Anderen", und was hat das überhaupt mit ihm zu tun?
Arend: Christoph Hein kritisiert an dem Film, dass eigentlich Henckel von Donnersmarck eine Haltung einnimmt, die stark melodramatisch operiert. Und er reklamiert dagegen die Erinnerungen und die genauen Vorgänge in den 80er-Jahren und sagt da zum Beispiel, dass Autoren nicht mehr mit dem Leben bedroht waren und abgehört wurden, um sie irgendwie physisch zu beseitigen und dass es auch eher ein bisschen albern ist, so zu tun, als müsste man eine Schreibmaschine unter der Türschwelle verstecken. Das sagt ja gar nicht, dass der Staat irgendwie wunderbar nett zu den Autoren war und sich freundlich zu Kritikern verhalten hat, aber die Art von Repression war anders. Der Staat musste einfach sich pragmatisch verhalten, hat er auch. Er musste darauf reagieren, dass viele Autoren das Land verlassen haben, und er musste sich mit denen, die da waren, irgendwie halbwegs arrangieren. Wenn man das so melodramatisiert wie Donnersmarck es getan hat, ist es für Hein fragwürdig, und das kann ich auch sehr gut nachvollziehen.

"Untergang der DDR schon 17 Mal beschrieben"

Meyer: Er bringt das ja auf den Begriff Gruselmärchen. Christoph Hein schreibt, dieser Film "Das Leben der Anderen" sei ein Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens "Mittelerde". Wenn Christoph Hein diesen Film ein Gruselmärchen nennt, also gruseliger als in Wirklichkeit, damit würde Hein jetzt die realen Schrecken in der DDR relativieren. Das wirft ihm Andreas Platthaus vor. Ist denn dieser Vorwurf aus Ihrer Sicht berechtigt?
Arend: Christoph Hein selbst hat ja gesagt, vor 1989, er habe den Untergang der DDR schon 17 Mal beschrieben in seinen Werken, bevor sie untergegangen ist. Also gerade ihm vorzuwerfen, dass er da etwas verniedlicht und beschönigt, finde ich falsch und gerade auf Christoph Hein überhaupt nicht zutreffend.

Muss ein fiktiver Film sich an der Realität messen?

Meyer: Und ein weiterer Vorwurf von Andreas Platthaus, am Ende seines Artikels schreibt er, der Schriftsteller Christoph Hein zeige ein Fiktionsverständnis, das als Offenbarungseid gewertet werden muss, wenn er einen Spielfilm wie "Das Leben der Anderen" eben an der historischen Wahrheit, an dem, wie es war in der DDR, misst. Ist das auch für Sie völlig abwegig, so einen Film, der in der DDR spielt, an den realen Verhältnissen in der DDR zu messen?
Arend: Das ist überhaupt nicht abwegig. Ein bisschen zielt der Vorwurf vielleicht von Andreas Platthaus darauf, dass Christoph Hein ein bisschen den Eindruck vermittelt, der Film müsste auch sein Leben und das, was er selbst ihm, dem Donnersmarck, erzählt hat, so wiedergeben. Dazu ist natürlich Donnersmarck nicht verpflichtet. Aber man kann natürlich einen Film auratisch erhöhen durch die Berufung auf einen berühmten Menschen, dessen Geschichte nacherzählt wird. Das erleben wir ja gerade bei dem neuen Film über Gerhard Richter. Offenbar war es so, dass Donnersmarck erst einmal sich auf Hein zu berufen versucht hat, der dagegen opponiert hat, und dann scheinbar hat Donnersmarck dann Biermanns Schicksal angeführt, was insofern ein bisschen albern ist, als Biermann ’76 aus der DDR hinausgeworfen wurde, aber natürlich hat ein Autor eines Romans oder auch ein Filmregisseur die Möglichkeit, fiktional zu arbeiten, und das muss er auch, geht gar nicht anders. Aber wenn dann es sehr melodramatisch aufgepeppt wird – das erleben wir ja gerade in der Debatte auch um Takis Würger – dann ist das schon fragwürdig, und das ist das eigentlich umgekehrt, das ist eine Verniedlichung, weil es sich zu einfach gemacht wird.

"Ein Ost-West-Problem"

Meyer: Wenn wir uns das Ganze noch mal grundsätzlicher anschauen: Im vergangenen Jahr wurde ja viel geredet über die Ostdeutschen, auch über die Anerkennung von ostdeutschen Biografien und Lebenserfahrungen. Geht es darum im Prinzip auch hier, also wenn wir uns den Vorgang grundsätzlich anschauen, ein ostdeutscher Christoph Hein erinnert sich an sein Leben in der DDR, er spricht über einen Film, der sich mit dieser Zeit, seiner Lebenszeit, beschäftigt, und dann haben wir einen westdeutschen Journalisten, eben Andreas Platthaus, der erklärt Christoph Hein, du erinnerst dich falsch, und dass du dich falsch erinnerst, das macht dich politisch verdächtig. Geht es darum im Prinzip, würden Sie das sagen?
Arend: Ein bisschen scheint es mir so, wobei im Falle Christoph Hein es ja nun wirklich ganz und gar unzutreffend ist. Da trifft es einen, der nun weiß Gott nicht ein Staatsautor der DDR war und der unbescholten war, wenn man jetzt dieses ein bisschen verbrauchte Wort nehmen will. Es muss natürlich möglich sein, auf seinen Erfahrungen zu beharren und sie ernstgenommen zu sehen. Wenn dann gleich der Vorwurf kommt, na ja, wir wissen es besser, und deine Erinnerungen sind falsch, dann tut man sie so beiseite, wie das eigentlich überhaupt nicht sein dürfte. Das scheint mir schon ein Ost-West-Problem zu sein, ja.
Meyer: Vorwürfe gegen den Schriftsteller Christoph Hein in der "FAZ" geäußert von dem Redakteur Andreas Platthaus. Darüber haben wir gesprochen mit Thorsten Arend, Leiter des Literaturhauses Leipzig. Herr Arend, vielen Dank für das Gespräch!
Arend: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema