Wüste Aussichten für Portugal
In Portugal wird es zunehmend trockener. In heißen Sommern brennen im Norden die Wälder, im Süden herrscht Wasserknappheit. Wissenschaftler erforschen die Auswirkungen des Klimawandels - und machen Fehler in der Landwirtschaft dafür verantwortlich.
Sommer, Sonne und Sirenen. Während Touristen aus aller Welt an Portugals Stränden ihren Urlaub genießen, herrscht auch für die Feuerwehren Hochsaison. Jedes Jahr brennen im Landesinneren die Wälder. Jedes Jahr haben Tausende Feuerwehrmänner alle Hände voll zu tun, versuchen - bis jetzt noch meist erfolgreich - Katastrophen zu verhindern. Das sei gar nicht so leicht, klagt Carlos Cravo, Kommandant der freiwilligen Feuerwehr im mittelportugiesischen Ourém:
"Die Waldbrände werden immer gefährlicher. Sie breiten sich immer schneller aus, immer größere Flächen brennen ab."
Von 2500 im Jahr 1980 ist die Zahl der Waldbrände auf mehr als 25.000 gestiegen; bis zum Jahresschluss werden rund 60.000 Hektar Wald vernichtet worden sein – eine Fläche, die immerhin so groß ist, wie ein Viertel des Saarlandes. Und das, obwohl Portugal inzwischen alle Jahre rund 80 Millionen Euro für die Waldbrandbekämpfung ausgibt.
Mit Löschflugzeugen und Hubschraubern versucht das westlichste Land Europas die Feuer unter Kontrolle zu bringen. Spezielle Brandeinsatzgruppen der Polizei werden so schnell wie möglich zu entstehenden Brandherden geflogen, freiwillige Feuerwehrleute zu Hunderten aus den weniger gefährdeten Städten zeitweise aufs Land verlegt, um die Waldbrände weitflächig zu bekämpfen. Bei Temperaturen, die immer öfter weit über 30 Grad steigen, sei das alles trotzdem eine Sisyphusarbeit, klagt Kommandant Cravo:
"Das Klima hat sich verändert, alles ist anders! In diesem Jahr hat es wieder kaum geregnet, da brennen die Wälder wie Zunder."
Der Klimawandel ist in Portugal längt Realität, darüber sind sich inzwischen die Wissenschaftler einig. Eine Konsequenz sei, dass es in Zukunft noch öfter brennen werde, stellt der Klimaforscher Filipe Duarte Santos fest:
"Die Waldbrände hängen mit der Dürre zusammen. Die Temperaturen steigen und es regnet weniger. Darum steigt die Waldbrandgefahr. Es wird noch mehr Waldbrände in Portugal geben. Mit schwerwiegenden Folgen."
Filipe Duarte Santos weiß, wovon er spricht. Der 73-jährige Universitätsprofessor ist Portugals führender Fachmann in Klimafragen, hat jahrzehntelang zu diesem Thema geforscht. Er ist der Vater des SIAM-Projekts, das seit den 1990er-Jahren Szenarien zur Klimaveränderung in Portugal entwirft:
"Alles hat mit einer Gruppe besorgter Wissenschaftler begonnen, ganz ohne die Regierung. Die hat uns später dann aber doch finanziell unterstützt. Wir haben Modelle entwickelt, die negativen Auswirkungen der Klimaveränderung abzuschwächen. Und heute hat Portugal eine Klimapolitik, für die wir uns keineswegs schämen müssen."
Hier, im vierten Stock der Generaldirektion für Gesundheit, wird ein Kernstück dieser Politik ständig weiterentwickelt – der "Sicherheitsplan für extreme Temperaturen". Paulo Diegues beschreibt, was das ist:
"Wir haben den ersten wissenschaftlichen Index erstellt, mit dem wir die klimabedingten Todesfälle ermitteln können. Extreme Hitze lässt die Todesfälle in gewissen Risikogruppen steigen. Da mittlerweile klar ist, dass es mehr Hitzewellen in Portugal geben wird, müssen wir uns beispielsweise um Senioren und chronisch kranke intensiver kümmern."
Notfallpläne bei Hitzewellen
Also hat das Gesundheitsministerium zusammen mit dem meteorologischen Dienst, den Krankenhäusern, der Polizei und dem Katastrophenschutz Notfallpläne ausgearbeitet. Über das Internet werden zuerst Warnungen vor Hitzewellen ausgegeben. In der zweiten Phase bereiten sich alle beteiligten Organisationen auf den Ernstfall vor. Phase drei ist der rote Alarm:
"Beim roten Alarm wird im Gesundheitsministerium ein Krisenstab gebildet. Notarztwagen und Hubschrauber werden bereitgestellt, Warnungen in Funk und Fernsehen ausgestrahlt, damit die nötigen Schutzmaßnahmen anlaufen können."
Kranke würden dann in klimatisierte Abteilungen der Krankenhäuser verlegt, erklärt Paulo Diegas. Die Polizei würde sich um isoliert lebende Senioren kümmern, gefährdete Personen sogar zu eigens eingerichteten Sammelstellen bringen. Das sei weder übertrieben dramatische Zukunftsmusik, noch Schwarzmalerei, sondern die Realität des Klimawandels:
"Wir mussten schon Leute in manchen Regionen des Landes evakuieren. Sie wurden wegen extremer Hitze in Schutzzonen gebracht."
Doch selbst solch extreme Maßnahmen konnten nicht verhindern, dass der Klimawechsel in Portugal bereits Todesopfer fordert. Carla Selada, eine Mitarbeiterin des Sicherheitsplanentwicklers Diegues, hat die Zahlen:
"2014 gab es 214 Tote mehr wegen zweier Hitzewellen. 2013 waren es 1675 Todesfälle. 2012 gab es keine, 2011 nur 109 Tote, da war es eher kühl. Dem Hitzejahr 2010 dagegen fielen 2111 Menschen zum Opfer."
Höhere Kosten werden auf den staatlichen Gesundheitsdienst zukommen, die Menschen werden ihre Lebensweise wegen des Klimawandels ändern müssen, davon ist Paulo Diegues überzeugt. Immerhin:
"Wir haben schon Pläne, wie Portugal sich an den Klimawandel anpassen muss. Wir wissen, das Land wird stark betroffen sein. Es wird mehr und intensivere Hitzewellen geben. Es wird weniger regnen und keine drei Monate Winter mehr geben. Dafür kurze, heftige Unwetter. Das heißt, wir müssen unsere gesamte Philosophie verändern. Und der Süden Portugals wird schlicht und ergreifend verwüstet."
Der Alentejo südlich der Landeshauptstadt Lissabon taugt schon jetzt nur zur extensiven Landwirtschaft. Kilometerlange trockene, staubige Ebenen, auf denen bestenfalls Stein- oder Korkeichen wachsen. Dazwischen Rinderherden und Schafe, die auf dem ausgedörrten Boden nach Futter suchen. Francisco Ferreira von der Umweltschutzorganisation Quercus sieht schwarz für die Zukunft dieser Region, die rund ein Drittel der Landesfläche Portugals ausmacht:
"Der Alentejo wird bereits jetzt als Gebiet eingestuft, das zur Gefahr läuft, zu einer Wüste zu werden. Und wenn die Durchschnittstemperatur - wie vorhergesagt - bis zum Ende des Jahrhunderts um vier bis sieben Grad ansteigt, wird es schwierig für viele Pflanzenarten zu überleben. Es wird uns extrem schwer fallen, diesen Prozess zu verhindern oder auch nur zu verlangsamen."
Schon gar nicht, wenn eine kurzsichtige Landwirtschaftspolitik die aufkeimenden Probleme ignoriert. Einerseits hat Portugal in der Region zwar einen riesigen Stausee angelegt. Der "Alqueva" ist mit 250 Quadratkilometern das größte künstliche Gewässer Europas, ein Süßwassermeer von 83 Kilometern Länge.
Eigentlich eine kluge Maßnahme zur Vorratshaltung, so der Klimaforscher Filipe Duarte Santos. An den Seeufern ist die Alentejo-Landschaft überraschend grün, in schnurgeraden Reihen gepflanzte Olivenbäume wachsen so weit das Auge reicht. Blühende Landschaften, wo eigentlich bestenfalls Steppe sein sollte. Allerdings werden diese riesigen Olivenhaine künstlich bewässert. Nur um deren Erträge zu steigern, nicht, weil das wirklich nötig sei, klagt Umweltschützer Francisco Ferreira:
"Das entzieht dem Boden obendrein viele Nährstoffe. Viele Fachleute bezweifeln mittlerweile, dass diese künstliche Oase um den Stausee von langer Dauer sein wird. Denn die Erträge werden auch schnell wieder zurückgehen."
Nicht nur im Süden, im ganzen Land werden Portugals Bauern umdenken müssen, sagt der Klimaforscher Filipe Duarte Santos. Irgendwann werde es zum Beispiel den Reben des weltberühmten Portweins zu heiß werden. Die können die Winzer jedoch weiter oben auf den steilen Weinbergen im Norden anbauen. Im Süden und im Flachland sei die Lösung nicht so einfach:
"Mittel- und langfristig müssen die Landwirte andere Kulturen finden, Pflanzen anbauen, die höheren Temperaturen standhalten und weniger Wasser zum Wachsen brauchen."
Die Feuerwehr kommt mit Trinkwasser
Das Wasser ist Portugals Hauptproblem. Nicht mittel- oder langfristig, sondern bereits jetzt. Im nordportugiesischen Dorf Rio Frio kommt im Sommer mindestens zweimal pro Woche die Feuerwehr. Nicht zum Löschen, sondern mit Trinkwasser, das gerade aus dem roten Tanklastzug ins fast leere Wasserreservoir gepumpt wird. Ohne die Hilfe der Feuerwehr säßen mehrere hundert Dorfbewohner zwischen Frühling und Herbst auf dem Trockenen. Ganz im Nordwesten, gleich an der spanischen Grenze, trocknen jedes Jahr die Wasserquellen aus. Dann muss regelmäßig die Feuerwehr ran, berichtet der Kommandant José Fernandes aus der Kreisstadt Bragança:
"Schon seit Anfang Juli müssen wir Orte mit Trinkwasser versorgen. Das ist höchst beunruhigend, denn mehr als zehn Dörfer haben nur noch Wasser, weil wir sie damit versorgen!"
Adriano Ferreira, der Dorfvorsteher von Rio Frio, läuft ständig zwischen dem Feuerwehrauto und seinem Wasserreservoir hin und her. Er will sicher gehen, dass die Männer es auch wirklich ganz auffüllen:
"Ich pass ganz genau auf den Wasserstand auf. Manchmal kann ich nachts nicht schlafen, so große Sorgen mache ich mir. Dann steh ich um vier Uhr auf, schaue nach dem Wasserstand hier im Reservoir. Darum kümmere ich mich immer!"
Vor fast 50 Jahren, in seiner Kindheit, sei das Wasser reichlich geflossen, schließlich heiße der Ort auf Deutsch ja "Kühler Fluss". Dann sei Adriano Ferreira als Gastarbeiter nach Brasilien gegangen. Jetzt, nach seiner Rückkehr, drehe sich alles um den Wassermangel. Ironie des Schicksals:
"Eigentlich ist das ja ein weltweites Problem. Aus 44 Jahren in Brasilien weiß ich, das Wasser dort das große Problem ist. Jetzt hat es damit auch in Portugal angefangen."
Immerhin, das Wasserreservoir von Rio Frio ist wieder voll, die Feuerwehr kann abrücken. Die Tatsache, dass die roten Tanklastzüge, die eigentlich bei Waldbränden eingesetzt werden, mittlerweile immer öfter in Dörfern überall im Land Wasser bringen müssen, gibt Feuerwehrkommandant José Fernandes trotzdem zu denken:
"Den Menschen wird bewusst, dass da ein riesiges Problem auf die nächsten Generationen zukommt. Wir werden es wohl nicht mehr erleben, aber das wird dramatisch. Und noch vor zehn Jahren hätte niemand vorhergesagt, dass das alles so schnell geschehen wird."
Der Klimawandel ist jetzt, nicht irgendwann in der Zukunft, betont auch der Umweltschützer Francisco Ferreira:
"Die Auswirkungen sind bereits jetzt schmerzhaft: Lissabon litt in den vergangenen Monaten mehrmals unter schweren Sturmüberschwemmungen. Minitornados haben Millionenschäden in anderen Städten und auf dem Land verursacht. Die Dürre und Starkregen zur falschen Jahreszeit haben der Landwirtschaft extrem geschadet."
All das wird sich in den nächsten Jahren noch verschlimmern, garantiert der Klimaforscher Filipe Duarte Santos. Der Mittelmeerraum, zu dem auch Portugal gehört, sei ein "hotspot" des Klimawandels. Hier würden die Veränderungen besonders stark sein, ihre Auswirkungen besonders heftig. Denn zur Trockenheit im Landesinneren komme auch noch der steigende Meeresspiegel an der Küste.
Weil die Polarkappen schmelzen, gehen die Wissenschaftler inzwischen von einem Anstieg von einem Meter aus. Da werde es für viele portugiesische Küstenstädte knapp, sehr knapp, fürchtet der Wissenschaftler. Auch für die Hauptstadt Lissabon. Obwohl die dank einer anderen Katastrophe jetzt noch sicher ist:
"Vor dem großen Erdbeben von 1755 lagen die Stadt und ihr Hauptplatz am Flussufer viel tiefer. Die von der Katastrophe hinterlassenen Ruinen wurden vor dem Neuaufbau eingeebnet, darum ist Lissabons 'ground zero' einige Meter über die Meereshöhe hinausgewachsen."
Ein schwacher Trost, aber das nordportugiesische Porto und andere Küstenstädte werden vor Lissabon untergehen, wenn der Meeresspiegel weiter so steigt wie befürchtet. Trotz alledem gibt der 73-jährige Wissenschaftler sich optimistisch: Die Portugiesen seien in Sachen Klimawandel problembewusster geworden, der steigende öffentliche Druck habe die Politiker zum Handeln gezwungen.
Die wollen jetzt immerhin bis 2030 die CO2-Emissionen um bis zu 40 Prozent verringern und fünf Milliarden Euro in eine umweltfreundlichere Wirtschaft investieren. Die Folgen des Klimawandels abzuschwächen werde allerdings nur gelingen, wenn alle Regierungen so schnell wie möglich Maßnahmen ergriffen, betont Filipe Duarte Santos, Portugals ältester Klimaforscher und hartnäckigster Klimaschützer.