Vor dem Brexit-Referendum

Hamsterkäufe in Berlin

"Broken English" - der Spezialitäten-Laden von Dale Carr in Berlin
"Broken English" - der Spezialitäten-Laden von Dale Carr in Berlin © Deutschlandradio Kultur / Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 20.06.2016
Wenn die Briten am Donnerstag über den Brexit entscheiden, dürfen über eine Million "Expats" nicht mitwählen, weil sie schon zu lange im Ausland leben. Zu ihnen gehört auch Dale Carr, die in Berlin einen Laden mit britischen Spezialitäten betreibt.
Dale Carr begrüßt erst den Kunden. Dann den Hund. Das Herrchen darf im ganzen Laden stöbern, das Tier muss vorne warten. Denn hinten lagern Lebensmittel: Scones, Haggis, Pies und Pasties. Der Hund legt sich neben das Regal mit dem Union-Jack-Regenschirm, den Teddybären. Und den Keksdosen zum 90-sten Geburtstag der Queen.
"I am searching for a nice big cup for tee: Well here are big mugs and down there are big cups, the big henley.”
Eine große Teetasse sucht der Mittdreißiger. Für die Arbeit. Dale Carre zeigt nach links, da ragt ein Regal bis zur Decke. Voll mit Mugs und Cups. Im hinteren Bereich, steht auch noch eins. Der Kunde staunt. Kannen gibt’s übrigens auch, sagt die Besitzerin.
"Da wurde ich auch ausgeschimpft vor ein paar Jahren, weil ich keine Teekannen hätte: Was ist das für ein Laden ohne Teekannen? Ich musste Teekannen besorgen, so ist der Laden langsam entstanden, wegen der Kundschaft."
So geht das seit 20 Jahren. Im Broken English. Eigentlich wollte ich einen britischen Geschenkeladen aufmachen, erzählt Dale Carr. Doch dann meldeten die Kunden Extrawünsche an.
"Colemans Mustard Powder. Ich weiß absolut, weil ich habe nie in meinem Leben das benutzt. Ich habe selber nicht gewusst, was das war. So dann musste ich denken: Colemans Mustard Powder. Was war denn das?"
Das Senf-Puder zum Selbstanrühren steht bis heute im Regal. Neben Gläsern und Tuben. Tee, Tassen, Kannen, Keksen – best of Britain auf 70 Quadratmetern.

Im "Broken English" ist alles "very british"

"We love British - Great British Produce" steht auf einem alten Karton.
"We love British - Great British Produce" steht auf einem alten Karton.© dpa/ picture-alliance/ Lukas Schulze
Ein Kunde: "I would prefer something less decorative.”
Carr: "You are in the wrong shop!" (lacht)
Blumenornamente, Figuren, hier gibt es nur britischen Geschmack. Mit Zierde. Kein blankes Porzellan.
Carr: "Werden mal sehen, was ist nach dem Brexit." (lacht)
Da witzelt sie, very british. Obwohl ihr eigentlich gar nicht zum Lachen zumute ist.
"Das ist das heiße Topic im Laden, auch für meine deutsche Kundschaft, ich habe das auch nicht erwartet."
Ein Kunde: "Ich finde, das ist sehr schwer, sich eine konkrete Meinung zu bilden, weil, was das für Folgen hätte für uns, für Europa, für Großbritannien. Ich habe da Gefühl, da wird ein bisschen mit dem Feuer gespielt."

Dale Carr ärgert sich über die Behandlung der Auslandsbriten

Kunde und Hund gehen, Dale Carr ordnet die Tassen im Regal. Der nahende Abstimmungstermin über den EU-Austritt macht sie nervös. Und ärgerlich. Weil sie nicht mitmachen darf.
"Wir haben kein Wahlrecht, weil wir sind alle mehr als 15 Jahren weg aus Großbritannien. Und das ist wirklich ein bisschen bitter, dass wir dieses Recht verloren haben."
Zwischen Mustard- und Ale-Regal redet sich Dale Carr in Rage. Einige Kunden, den Brexit vor Augen, kaufen schon auf Vorrat. Nein, es geht ihr nicht nur ums Geschäft, auch wenn das schwieriger werden könnte. Mehrwertsteuer, Importbeschränkungen. Nein, die Entmündigung der Auslandsbriten ist das, was sie vor allem aufregt:
"Diese europäische Leben und wir haben das wahrgenommen, wir haben das erfolgreich gemeistert, dass man plötzlich auf der anderen Seite ist, man bestraft dafür - warum, wieso? Wir wissen mehr über Europa, als die in einem Dorf wohnen, in Großbritannien, zum Beispiel, wir leben das echte Leben in Europa, wie das wirklich ist, nicht wie die das alle jammern, for und against..."
"Guten Tag!"
Ein neuer Kunde. Auf der Suche nach Tee:
"English Breakfast Tea, der ist so ein bisschen rot gefärbt, der ist sehr schön, deshalb komme ich immer wieder her, und meine Frau isst so gerne diese Orangenmarmelade."
Carr: "Die bittere."
Kunde: "Ja, ja!"
Ja, ja die bittere Marmelade, witzelt Dale Carr. Das ist typisch deutsch. Niemand würde in Großbritannien auf die Idee kommen, eine Orangenmarmelade bitter zu nennen. Und dann schießt sich auch der neue Kunde aufs Thema Nummer 1 ein:
"Wäre ja schade, wenn Großbritannien da aussteigen wollte. Ich möchte mal wissen, wer ein Interesse in GB an so einem Austritt hätte, ich wüsste nicht wer. Wer ist das, welche Interessen sind das?"

Auf dem Weg zum Bürgeramt - und zu einem deutschen Pass

Dale Carr zuckt mit den Schultern. Sie hat keine Ahnung. Wirklich nicht. Ihr einziger Bekannter, der für den Brexit stimmen will, tut dies, weil dann angeblich nicht mehr so viele unerwünschte Ausländer nach Großbritannien kommen würden. Sie kann es nicht verstehen.
"Weil das wunderschöne Recht was wir haben, dass wir überall arbeiten können und wohnen können innerhalb Europas, ich finde das alleine ist es Wert, drin zu bleiben, diese Freiheit. Und das werden wir dann verlieren, natürlich."
Der Kunde nickt betroffen. Für ihn ist das unvorstellbar. Für Dale Carr und ihre Familie nicht. Sie haben sich schon Termine beim Bürgeramt besorgt.
"Glücklicherweise wir haben immer noch die Möglichkeit, den deutschen Pass zu beantragen, und ich muss das meinen Kindern sehr streng empfehlen."
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