Die Kampagne der britischen Europa-Skeptiker

Mit EM-Wettspiel zum Brexit

Boris Johnson auf der "Vote Leave" Tour am 26.05.2016 in London. Im Zuge eines Spazierganges in Winchester und Hampshire trifft er zudem auf Befürworter der Kampagne zum Referendum am 23. Juni 2016.
Der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson auf Wahlkampftour für einen EU-Austritt Großbritanniens. © imago / i Images
Von Korbinian Frenzel · 13.06.2016
Der Count-Down läuft: In wenigen Tagen stimmen die Briten ab, ob sie in der Europäischen Union bleiben wollen oder nicht. Die Meinungsumfragen sagen ein sehr knappes Ergebnis voraus. Mit EM-Wettspiel, Wahlkampf-Bus und schrillen Wahlreden kämpfen die Brexit-Befürworter um Stimmen.
Ein sonniger Tag, Ende Mai in Dudley, einer Kleinstadt in den Midlands von England: Ein lilafarbener Bus mit offenen Dach fährt langsam durch das Zentrum. "Macht den 23. Juni zu unserem Unabhängigkeitstag" steht in großen Lettern darauf. Applaus für den Mann am Mikrofon.
"Ihr, die ihr für ein unabhängiges Großbritannien seid, ihr seid die Volksbewegung, geht raus, überzeugt die Leute, drängt sie, bringt eure Freunde und Familien dazu, dass sie abstimmen werden, damit wir unser Land zurückkriegen."
Der Mann ist kein Unbekannter in seinem Land: Nigel Farage, der Chef der UKIP, der United Kingdom Independent Party. Ohne ihn würde es das Referendum wahrscheinlich gar nicht geben. Seine Partei, die in den letzten Jahren einen Erfolg nach dem nächsten erzielte, hat die etablierten Parteien vor sich hergetrieben - allen voran die Tories, David Camerons konservative Partei.

EU-Gegner stellen sich als Graswurzel-Bewegung dar

"Vote Leave" - so nennt sich das Bündnis all derer, die ein Ende der EU-Mitgliedschaft wollen. Rot ist ihre Farbe - und die UKIP mittlerweile nur noch ein Teil dieser Bewegung, der radikale. Die prägenden Gesichter, die die Fernsehnachrichten bestimmen, kommen aus der politischen Mitte.
"Auch wenn sich die EU-Gegner selbst gerne als Graswurzel-Bewegung darstellen, es sind de facto die etablierten politischen Strukturen, die dahinter stecken",
sagt Susi Bennett vom "European Council on Foreign Relations".
"Boris Johnson, der ehemalige Bürgermeister von London, ist ohne Frage die wichtigste Stimme der Leave-Kampagne."

Einwanderung als Wahlkampfthema

Ein Konservativer, der die Themenklaviatur, die einst UKIP exklusiv bespielte, bestens bedient: Thema Einwanderung.
Abendnachrichten in der BBC, die jüngsten Einwanderungszahlen: 300.000 Menschen sind im letzten Jahr nach Großbritannien gekommen - für Boris Johnson und die eave-Kampagnen eine Steilvorlage. Wir haben keine Kontrolle über unsere Grenzen, wegen der EU.
Nein sagen am 23. Juni ist die einzige Chance, sagt Boris Johnson, die Kontrolle zurückzubekommen aus den Händen der EU.
"Einwanderung und EU in einen Topf zu schmeißen war ein sehr geschickter Schritt der Leave-Kampagne",
analysiert Susi Dennison. Auch wenn die direkten Zusammenhänge so einfach nicht seien.
"Die große Zahl der Immigranten ist Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner."

"Der beste Lobbyist in Westminster"

Siebente Etage, ein anonymer Bürobau aus den 80ern, direkt an der Themse, keine 500 Meter Luftlinie - schräg gegenüber ist Westminster, das eindrucksvolle Zuhause des britischen Parlaments: der Ort, der wieder die volle Kontrolle über das Land bekommen soll - dafür arbeiten sie hier, in der Zentrale der Leave-Kampagne. Etwa 80 Aktivisten haben sich getroffen, Mut machen für die letzten Meter vor dem Referendum. Der Generalsekretär steht auf einer kleinen Bühne, Matthew Elliott. "Der beste Lobbyist in Westminster" - diesen Titel hat ihm die BBC einst verliehen, eingekauft von Johnson und Co.. Elliot präsentiert den nächsten PR-Coup.
Tippe alle Spiele der Fußball-EM richtig und gewinnen 50 Millionen Pfund. Politik als Wettspiel, die Brexit-Befürworter wollen damit erneut in die offensive kommen. 50 Millionen, das Preisgeld, kein zufällig gewählter Betrag. 50 Millionen, das ist die Summe, die Großbritannien täglich an die EU überweist, so rechnet zumindest die Leave-Kampagne: eine umstrittene, hochoffiziell vom Statistikamt gerügte Zahl, bewusst gesetzt von "Vote Leave".
Schwarmintelligenz, darauf setzt Generalsekretär Elliot. Die Briten würden instinktiv das Richtige machen am 23. Juni. Die Instinkte wachrufen, sein Job - zum Beispiel mit Ängsten über die Zukunft der Gesundheitsversorgung, des NHS.

Vorwurf: Debatte fehlt es an "Ernsthaftigkeit"

350 Millionen Pfund, jede Woche an Brüssel, verschwendetes Geld, mit dem man neue Krankenhäusern bauen könnte, heißt es in dem Video, das die Brexit-Kampagne über Twitter und Facebook verbreitet. Eine Kampagne, die viele Beobachter für nicht angemessen halten. Susi Dennison, die Analystin vom "European Council on Foreign Relations”.
Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht mit der Entscheidung, fehle der Debatte häufig die nötige Ernsthaftigkeit, sagt sie.
Auftritt Chris Grayling, einer der namhaften Tories aus dem Kabinett von David Cameron, die für den Brexit sind: Ihre Kampagne habe Rückenwind, sagt er vor den Aktivisten. Keine Ängste will er verbreiten, sondern Sicherheit vermitteln.

"Wir glauben nicht, dass man diese EU reformieren kann"

"Wir werden nicht in einer bösen unfreundlichen Welt landen, wenn wir die EU verlassen. Wir werden ein starkes und unabhängiges Land sein - ein guter Freund und Nachbar für unsere europäischen Nachbarn. Aber wir sind einfach nicht Teil dieser Reise, die der Kontinent begonnen hat, hin zu einer politischen Union. Ich hoffe, sie werden es akzeptieren können, dass wir auch so gut zusammenarbeiten können."
Es sind vor allem Tories, konservative Politiker wie Chris Grayling, die die Brexit-Kampagne im Endspurt bestimmen, vor den schrillen Tönen der UKIP - und auch vor dem dritten Strang der Kampagne - den Brexit-Befürwortern von links.
Nur sieben von 222 Labour-Abgeordneten wollen den Brexit - Kate Hoey etwa aus Belfast:
"Wir glauben nicht, dass man diese EU reformieren kann. Selbst mit einer radikalen Labour-Regierung wird uns das nicht gelingen - und da kann es nur eine Konsequenz geben: Lasst uns die Kontrolle über uns Land zurückholen, für eine wunderbare Zukunft als freies und unabhängiges Land."
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