Ich meine, dass Frauen gut genug sind, um am Fließband die Arbeit zu verrichten, die Männer auch tun, und das zum Teil sogar für weniger Geld. Und wenn man sich richtig überlegt, überlassen wir ihnen doch in Schule und Elternhaus die Erziehung unserer Kinder. Und um ein anderes Beispiel zu nennen: In den Krankenhäusern und Altersheimen verrichten sie schwerste Arbeit. Und da soll die Moderation einer Sportsendung, etwas so Empörendes oder gar Sensationelles sein?
Frauen im Sportjournalismus
Carmen Thomas erlebte als erste Moderatorin im ZDF-Sportstudio einen Shitstorm, bevor es überhaupt ein Wort dafür gab. © picture-alliance / dpa / Horst Ossinger
Carmen Thomas entert vor 50 Jahren eine Männerdomäne
06:31 Minuten
Premiere vor 50 Jahren: Eine Frau führt durch eine Sportsendung im Fernsehen. Das war so ungewöhnlich, dass die Moderatorin Carmen Thomas erst mal eine Erklärung vorlesen musste. Dann konnte sie als Pionierin für viele Sportjournalistinnen loslegen.
3. Februar 1973. Ein Sportsamstag fast wie jeder andere auch. Der Jingle läuft, das Publikum sitzt auf seinen Plätzen, die Kamera fährt die Szene ab, hält auf die große Bahnhofsuhr, die Scheinwerfer sind gerichtet, ihre Lichter fallen auf eine Litfaßsäule und daneben – auf Carmen Thomas.
Die 26-jährige Journalistin moderiert das aktuelle Sportstudio an.
„Also ich stand da direkt neben der Litfaßsäule, wo das Programm drauf war“, erinnert sie sich. „Dann haben sie mich ja genötigt, dass ich einen Vorspruch mache, weil es nicht selbstverständlich war, dass ich da als Frau gestanden habe, und das habe ich dann auch brav getan.“
In der Bundesrepublik von 1973 eine Sensation
Es war ja erklärungsbedürftig, was da geschah: „Na dass ich was dazu sagen muss, dass ich wage, als Frau da zu stehen“, beschreibt die Journalistin die Situation von damals.
Carmen Thomas wagte es und machte in ihrer ersten Anmoderation auf die Arbeit von Frauen in vielen Bereichen aufmerksam.
Ja das war es. Denn als Frau überhaupt einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, das ging 1973 nur, wenn es – Zitat – mit ihren „Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbar ist.
Carmen Thomas erlebte einen Shitstorm, bevor es überhaupt ein Wort dafür gab. Weil sie als Frau in eine klassische Männerdomäne eindrang, bekam sie eine volle Breitseite, auch von ihrer eigenen Profession.
Die „Bild“-Zeitung gegen sich
Zu ihrer zweiten Sendung hatte die „Bild“-Zeitung bereits einen Verriss geschrieben, obwohl die Liveübertragung noch gar nicht stattgefunden hatte. Doch die Zeitung vom nächsten Tag gab es am Vorabend schon zu kaufen. Und Thomas brachte sie in die Sendung mit.
„Wer trotzdem heute zu einer Veranstaltung gehen möchte und keine Zeit hat, uns zuzusehen, der kann sich bereits jetzt vor der Sendung eine große deutsche Sonntagszeitung kaufen. In der können Sie dann auch nachlesen, wie ich heute Abend sein werde“, erzählte sie dem TV-Publikum.
Und weiter: „Der Autor hat also geschrieben, dass ich unsicher wirkte und dass auch meine sportlichen journalistischen Fähigkeiten wohl nicht ganz ausreichten. Wissen Sie, ich habe irgendwo Verständnis dafür. Denn wahrscheinlich wollte der Kollege gerne heute Abend in der rauschenden Faschingsstadt Hamburg gern auch mal richtig auf die Tube drücken. Und wahrscheinlich hat er deshalb schon am Dienstag diesen Artikel verfasst. Sehr interessant.“
„Schalke 05“ wird zum Markenzeichen
Die gleiche Zeitung machte aus einem inhaltlichen Fehler von ihr Wochen später eine Kampagne gegen sie. Anlass war das berühmte „Schalke 05“. Im Nachhinein habe ihr der Fehler eher geholfen, sagt Carmen Thomas heute. An ihrer Moderationsakademie lehrt sie den Umgang mit kleinen und großen Fehlern.
Aus Schalke 05 wurde „Carmen Thomas Reloaded, fünf Punkt null“, erklärt die Journalistin. „Das ist eine enorme Erweiterung, in der ich mein erworbenes privilegierendes Wissen und meine Erfahrungen anderen Menschen als Elder Stateswoman zur Verfügung stell. Ich finde total wichtig, dass Leute einfach verstehen, dass Kommunikation so erlernbar ist wie ein Sport, wie ein Musikinstrument, ein Chor, ein Orchester oder wie eine Fußballmannschaft.“
Für Carmen Thomas war der Weg steinig: Als einzige Frau unter Männern in den 70ern wurde sie extrakritisch beobachtet und in jeder Hinsicht bewertet. Die „Welt am Sonntag“ schrieb am Tag nach ihrer ersten Sendung: „Die 26-jährige Carmen Thomas aus Düsseldorf, blond, wohlproportioniert, charmant, riskierte den Sprung in die fest gefügte Phalanx ihrer männlichen Kollegen.“
Die Pionierin kämpft sich durch
Was heute klar sexistisch ist, war damals Tagesordnung. Carmen Thomas , biss sich durch durch. Ihr erging es wie vielen Frauen und dauerte eine Weile, bis sie das bemerkte.
„Am Anfang habe ich überhaupt nicht begriffen, weil ich nicht fand, ich war benachteiligt. Ich machte ja lauter tolle Sachen, bis es mir dann wie Schuppen aus den Haaren fiel. Wie blöd bin ich gewesen, dass ich nicht erkannt habe, dass das eben alles Schmuck am Hemd war“, sagt sie heute.
Schmuck am Hemd, das wollte Carmen Thomas nicht mehr sein. Sie nutzte das aktuelle Sportstudio als Sprungbrett für ihre jahrzehntelange Karriere. Zwei Jahre später wurde ihr ihre eigene Radiosendung angeboten „Hallo Ü-Wagen“. Die Sendung wurde ein absoluter Klassiker. 20 Jahre lang moderierte sie jede Woche drei Stunden live über ein Thema, das das Publikum vorschlug. Ein Format, das es vorher so nicht gab.
„Dadurch musste ich mich nie mehr irgendwo bewerben. Ich bin immer gefragt worden und ich konnte immer Ja oder Nein sagen. Das war ein großes Privileg, was mir da eröffnet wurde, und durch das Sportstudio ist es noch verschärft worden.
Ich habe einfach ein unglaublich privilegiertes Leben dadurch geführt, weil ich so viel spannende Dinge machen durfte und dauernd wachsen konnte und genauso viel gelernt habe, wie ich geleistet habe. Das heißt, diese Lernhaltung hat mich schon ganz früh begeistert und erfüllt, und das ist sozusagen mein Lebenselixier.
Viele prominente Nachfolgerinnen
Wie sieht es nun 50 Jahre später aus? Heute sind Frauen als Sportjournalistinnen auf dem Bildschirm eigentlich selbstverständlich. Dunja Hayali, Katrin Müller-Hohenstein, Claudia Neumann, Jessy Wellmer, um nur einige zu nennen. Die Liste ist lang. Im ZDF-Sportstudio gibt es mittlerweile genauso viele Moderatorinnen wie Moderatoren.
Das ist wichtig, damit eine einzige Frau nicht immer aufs Frausein reduziert wird, sondern dass in einer diversen Gruppe die individuellen Unterschiede geschätzt werden können. Im Sportjournalismus insgesamt sieht es noch oft anders aus. Bei der letzten Erhebung vom Verband Deutscher Sportjournalisten 2019 lag der Frauenanteil in den Sportredaktionen bei 10 bis 11 Prozent.