Feminismus

Warum plötzlich so viele Feministen sein wollen

03:55 Minuten
Frauen heben ihre Hände in einer rosa-lila Rauchwolke eingehüllt.
Feminismus ist im Mainstream angekommen. © Pexels/ Trinity Kubassek
Ein Kommentar von Sonja Eismann · 30.12.2019
Audio herunterladen
"Ich bin Feministin." Oder sogar: "Ich bin Feminist." Das geht heute vielen leicht über die Lippen. Doch steht hinter diesem Bekenntnis wirklich der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung? Oder geht es vielen nur um zeitgeistgemäße Selbstdarstellung?
Was hat der Feminismus im letzten Jahrzehnt für eine Karriere hingelegt! Während er in den 1990er-Jahren noch medial für tot erklärt wurde und in den Nuller-Jahren wie sauer Bier mit Versprechungen auf "Knallersex" an den Mann bzw. die Frau gebracht werden musste, ist er nun auf einmal überall. Und zwar nicht mehr als verkniffenes Schreckgespenst mit Haaren auf den Beinen – und Zähnen –, sondern als glamouröse emanzipatorische Bewegung, bei der alle irgendwie dabei sein wollen.
Egal ob es um Lohnungleichheit, Gewalt gegen Frauen oder um Schönheitsnormen geht – spätestens seit den Hashtags #aufschrei und #metoo sind sich alle einig, dass das irgendwie ungerecht ist. Zumal feministischer Aktivismus heute ja auch nicht mehr unbedingt bedeutet, für oder gegen irgendetwas auf die Straße zu gehen, sondern immer nur einen Klick oder ein Like entfernt ist. Wie praktisch, wie bequem.
Wörter wie Sexismus werden ganz selbstverständlich – und nicht mehr wie einst nur ironisch und in Anführungsstrichen – benutzt, um Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu üben. Sogar im Fernsehen hat es sich nach den #metoo-Enthüllungen durchgesetzt, nicht mehr verharmlosend von "Belästigung", sondern von "sexualisierter Gewalt" zu sprechen. Das Recht auf Abtreibung wird lautstark verteidigt, junge Frauen protestieren gegen eine Luxussteuer auf Tampons und weltweit wird mit Performances wie "Un violador en tu camino" gegen eine patriarchale Vergewaltigungskultur demonstriert.

Sogar Ivanka Trump nennt sich Feministin

Alle wollen Teil eines intersektionalen Feminismus sein, der Mehrfachdiskrimierungen oder mangelnde Privilegien mitdenkt – und auch den Umstand, dass es mehr geschlechtliche Identitäten gibt als nur Mann und Frau. Wer soll den tollen neuen Feminismus jetzt noch stoppen, wenn Dior 2016 T-Shirts mit der Aufschrift "We should all be feminists" auf dem Laufsteg präsentierte und sich sogar Ivanka Trump im Jahr darauf beim W20-Treffen in Berlin als Feministin outete?
Ach, Moment mal. Die Tochter des Präsidenten, der sich damit rühmte, Frauen einfach an die Muschi zu greifen und den sie nie öffentlich dafür kritisierte? Vielleicht ist doch nicht alles so glatt gelaufen. Denn was ist noch drin in einem Feminismus, den alle individuell für sich reklamieren können, ohne etwas dafür zu tun, mit dem man teure Kosmetika und Sportartikel verkaufen kann, die Frauen doch wieder dazu bringen, sich für eine nach wie vor männerdominierte Welt zu verschönern?

Nur ein vermeintlicher Siegeszug

Während Feminismus einerseits zu einer Marke geworden ist, mit der sich Images genauso wie Produkte verkaufen lassen, schlägt andererseits der Hass hohe Wellen. Gegen vermeintlich unverständliche Gendersternchen, gegen junge Frauen wie Greta Thunberg, die es wagen, in der Öffentlichkeit zu stehen und dabei nicht so auszusehen, wie ein weiblicher Star heute auszusehen hat, gegen jede als weiblich zu identifizierende Person, die sich traut, ihre Meinung zu sagen – und dafür im Internet sofort mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen überschüttet wird.
Denn während der Feminismus vermeintlich auf seinem Siegeszug ist, träumen immer mehr Menschen heimlich oder ganz unverhohlen von der einen starken männlichen Figur. Die die unverschämten Frauen und alle vom Rand der Gesellschaft, die jetzt aufbegehren, wieder an ihren Platz verweisen soll. Damit alles so wird wie früher. Nur wenn der Feminismus es schafft, diesen Machtfantasien entgegenzutreten, wenn er keine Marke für individuelle Selbstdarstellung ist, sondern völlig unterschiedliche Menschen für eine gerechtere Gesellschaft begeistern kann, dann hat er im nächsten Jahrtausend noch eine realistische Chance.

Sonja Eismann ist Mitbegründerin und -herausgeberin des "Missy Magazine" und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt, referiert und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Zuletzt gab sie im März 2019 gemeinsam mit "Missy"-Chefredakteurin Anna Mayrhauser die Literaturanthologie "Freie Stücke. 15 Geschichten über Selbstbestimmung" heraus.

© Katja Ruge
Mehr zum Thema