Journalistinnen der 1920er

Gewissenhafter als Joseph Roth und Egon Erwin Kisch

06:56 Minuten
Frau auf Schwarz-Weiß-Foto steht in mitten von Zeichnungen in einer Zeitungsredaktion.
Nicht nur in Europa, auch in den USA wurden in den 1920ern in den Redaktionen die Frauenrechte vorangetrieben. Hier: bei der Wochenzeitung "The Suffragist". © imago / Everett Collection
Von Sabina Zollner |
Audio herunterladen
In der Weimarer Republik machte die emanzipatorische Entwicklung auch vor den zahlreichen Zeitungsredaktionen Berlins keinen Halt. Autorinnen wie Maria Leitner und Gabriele Tergit arbeiteten sorgfältiger als manche der berühmten männlichen Kollegen.
Berlin in den 1920er-Jahren: In keiner anderen deutschen Stadt wird so viel gedruckt, geschrieben und gelesen wie in Berlin. 1928 erscheinen hier 2633 Zeitungen und Zeitschriften, von Männern gemacht, überwiegend, aber nicht nur.
“Die Chancen für Frauen, im Journalismus zu arbeiten, waren schlagartig besser nach 1918. Durch die nominelle Demokratisierung gab es einen Riesen-Boom an Medien. Jede Partei hat ihre eigene Zeitung“, sagt der Literaturwissenschaftler Erhard Schütz, der sich viel mit Journalistinnen in der Weimarer Republik auseinandergesetzt hat.

Berlin bietet Freiraum

Berlin habe Frauen Freiraum geboten, fernab von traditionellen familiären Strukturen. “Wenn man als Frau freier sein will, dann geht man dahin, wo auch viele andere freier sein wollen, ob das jetzt um sexuelle Freiheit geht oder um politische Freiheit“, so Schütz. „Man ist unter Gleichgesinnten und unterstützt sich, und natürlich war die Stadt damals wirklich aufregend.”

Es weht durch die ganze Historie
Ein Zug der Emanzipation
Vom Menschen bis zur Infusorie
Überall will das Weib auf den Thron

Sängerin Claire Waldoff

In der Weimarer Republik entsteht die “Neue Frau”: ein Rollenbild, das die emanzipatorischen Entwicklungen der 20er-Jahre repräsentiert. Die neuen, selbstbewussten Frauen sind auch in den Zeitungsredaktionen gefragt. Für die Medienhäuser geht es darum, sich als modern und progressiv zu verkaufen. Denn die Medien seien Seismografen von Entwicklungen, so Schütz. „Wenn ein Medium sieht: Da ist was Interessantes, die leisten sich einen Sozialisten, dann leisten wir uns jetzt auch mal einen Sozialisten. Die leisten sich eine schicke junge Frau, die etwas exzentrisch ist, das müssen wir dann auch mal haben. Dieses auch haben wollen, das geht dann aber leider so, dass man sich ab 1930 mal einen Nazi leisten will.”

Die Männer haben alle Berufe
Sind Schutzmann und sind Philosoph
Sie klettern von Stufe zu Stufe
In der Küche stehen wir und sind doof

Sängerin Claire Waldoff

Frauen arbeiten in den Jahren der Weimarer Republik vermehrt als Journalistinnen. Aber sie haben mit Vorurteilen in den Redaktionen zu kämpfen und verdienen viel weniger als ihre männlichen Kollegen, und sie sind begrenzt in ihrer Themenauswahl. Die meisten Frauen seien im Bereich Mode und Haushalt angesiedelt, sagt Schütz. Alle Frauen, die als Journalistinnen bekannt geworden sind und über die Zeit hinaus auch bekannt geblieben sind, oder wiederentdeckt worden sind, seien dagegen Reisejournalistinnen. „Die haben alle Reisereportagen geschrieben, Reisefeuilletons oder Reiseberichte.”

Mode, Haushalt, Reisereportagen

Dass Frauen in den 1920er-Jahren vor allem Reisereportagen schreiben, hat einen Grund, „ein bisschen eine Art Sexismus“, meint Schütz. „Das ist ja toll, wenn Frauen unterwegs sind in so exotischen Ländern.“ In Afghanistan, in Persien oder in Afrika. Eine Art „Exotismus“ sei dabei.
Eine der Reisejournalistinnen ist Maria Leitner. Sie wird vor allem durch ihre Reportagen aus den USA bekannt. Die Jüdin lebte mit ihrer Familie in Budapest, bevor sie 1918 nach Berlin gezogen ist. Sie ist kommunistisch engagiert und schreibt als Autorin für die Kommunistische Jugendinternationale in Berlin, aber auch für andere Tageszeitungen. Eine kluge, gebildete Frau, für die Sozialismus einfach zum Menschsein dazugehört, so beschreibt sie Schütz. „Aber sie weiß auch ganz genau, mit programmatischen, deklaratorischen Geschichten erreicht man niemanden. Sie beobachtet die Leute, sie ist zum Teil dann auch undercover unterwegs gewesen. Das ist eigentlich auch, was sie interessiert hat.”

Undercover-Reportagen

Maria Leitners Reportagen zeichnen sich durch ihre Nähe zu ihren Protagonistinnen aus. Ihre Undercover-Geschichten handeln zum Beispiel von Frauen, die illegal eine Abtreibung machen. „Nichts wäre schlimmer, wollte man gegen diese falschen und echten Hebammen vorgehen“, schreibt sie in einer ihrer Reportagen. „Das wäre ein Griff in ein Wespennest. Solange dieser Paragraph bleibt, sind sie ein notwendiges und unausrottbares Übel. Sie sind nur Symptom einer Krankheit. Nur wenn man die Krankheit selbst heilt, nämlich den Paragraphen streicht, würden auch diese unwürdigen Nebenerscheinungen verschwinden.“
Schon damals war der Paragraph 218 umstritten. Für Frauen war es strafbar, eine Abtreibung zu machen. Lediglich eine Abtreibung aus medizinischen Gründen war ab 1927 erlaubt.

Reportagen aus dem Gerichtssaal

Eine weitere Journalistin, die sich damit auseinandersetzt, ist Gabriele Tergit. Während Leitner undercover unterwegs ist, berichtet Gabriele Tergit aus dem Gerichtssaal. Das ist relativ ungewöhnlich für eine Frau. Ihre Erfahrung im Gerichtssaal beschreibt sie in einer ihrer Reportagen. „Moabit ist ein Ort der Männer. Als Subjekt und Objekt spielen Frauen eine sehr geringe Rolle“, heißt es darin. „Sie sind weder Betrüger noch Einbrecher noch Hehler. Weder bestechen sie, noch vergehen sie sich im Amt, sie widerstehen nicht der Staatsgewalt, noch treiben sie Landesverrat.“
Mit ihren Feuilletons und Reportagen wird Gabriele Tergit berühmt. Mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung Ende der 20er-Jahre berichtet sie auch vermehrt über politische Prozesse. Meist geht es um die Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten, um Straßenkämpfe und Morde.
Sie flunkerten nicht wie Roth und Kisch
Auch Tergit ist Jüdin, aber das spielt für ihre Arbeit als Journalistin keine Rolle. “Zur Jüdin wird sie erst 1933, dadurch, dass sie ins Exil getrieben wird“, sagt Schütz. „Sie ist vorher einfach eine Demokratin, und das ist auch das Interessante an ihr, dass sie aus so einer Perspektive schreibt, dass sie die Demokratie ernst nimmt. Die Demokratie gibt den Frauen formal die Gleichstellung. Sie sieht, was mit den Frauen passiert, was mit den Armen passiert.” Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, müssen Tergit und Leitner aus Deutschland fliehen. Tergit geht ins Exil nach Palästina. Leitner wandert nach Frankreich aus, wo sie 1942 stirbt.
Beide hinterlassen Reportagen, die Einblicke geben in den Alltag der Weimarer Republik. Für den Literaturwissenschaftler Erhard Schütz haben sie eine besondere Qualität: “Ich glaube, dass man den meisten Reportagen der Frauen, was den Wahrheitsgehalt und Wirklichkeitsgehalt angeht, eher vertrauen kann als den Männern damals“, meint Schütz. „Joseph Roth und Kisch, die haben drauflos geflunkert, einfach um eine gute Geschichte abzuliefern. Bei den Frauen war eher eine Art der Gewissenhaftigkeit der Realität da.”

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema