Vom Reaktionär zum Vernunftrepublikaner

Moderation: Holger Hettinger · 12.08.2005
Politisch ist Thomas Mann vor allem durch seine scharfe Kritik am NS-Regime in Erscheinung getreten. Mann habe sich vom Reaktionär zum Vernunftrepublikaner entwickelt, erklärte Manfred Görtemaker, Autor des Buches "Thomas Mann und die Politik", im Deutschlandradio Kultur.
Hettinger: Heute vor 50 Jahren ist der Schriftsteller Thomas Mann gestorben. Dass sowohl die Person als auch das literarische Werk heute noch aktuell und brisant sind, das sieht man allein schon an der Tatsache, dass sehr viele Bücher auf den Markt gekommen sind im Umfeld dieses Jubiläums, Bücher, die das Phänomen Thomas Mann aus den unterschiedlichsten Winkeln ausleuchten. Wir möchten uns zunächst auf eine Frage konzentrieren, über die nach wie vor besonders leidenschaftlich gestritten wird: Wie politisch war Thomas Mann? Unser Gesprächspartner hierzu ist Professor Manfred Görtemaker, er ist Historiker an der Universität Potsdam. Sein Buch "Thomas Mann und die Politik" ist soeben im Fischer-Verlag erschienen. Einen schönen guten Morgen, Herr Görtemaker!

Görtemaker: Einen schönen guten Morgen!

Hettinger: Herr Görtemaker, die Biographie von Thomas Mann wird begleitet von einer Vielzahl politischer Umbrüche, vom Kaiserreich, zwei Weltkriege hat er erlebt, bis hin zum geteilten Deutschland. Welche Stationen hat denn das politische Denken von Thomas Mann in dieser Spanne durchlaufen?

Görtemaker: Zunächst einmal war Thomas Mann eher unpolitisch. Die erste große Zäsur kam zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Er hat aber dann, als er sich politisch äußerte während des gesamten Ersten Weltkrieges und die "Betrachtung eines Unpolitischen" geschrieben hat, sehrwohl noch festgehalten an dem alten Gedankengut des 19. Jahrhunderts, auch des monarchischen Deutschland. Er ist eher das, was man vielleicht einen Reaktionär oder Extrem-Konservativen nennen würde. Das ändert sich dann zu Beginn der Weimarer Republik und zwar in erster Linie nach dem Mord an Walter Rathenau 1922. Das ist für ihn ein großer Schock. Er wandelt sich dann zu einem Vernunftrepublikaner und verteidigt die Republik und zwar sehr energisch, insbesondere dann, gegen die Angriffe von rechts, von den Nationalsozialisten. Und er wird dann, schon während der Weimarer Zeit, zu einem energischen Gegner der Nationalsozialisten und bleibt das natürlich auch nach 1933. Das eigentlich politisch bedeutende an Thomas Mann ist dann seine Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zwischen 1933 und 1945 und was er da an politischen Ideen entwickelt und wie scharf er auch mit den Nazis ins Gericht geht, vor allen Dingen dann aus Amerika in seinen Rundfunkansprachen über die BBC. Das ist absolut bemerkenswert und eindrucksvoll. Man hätte sich diese entschiedene Haltung auch von vielen anderen bürgerlichen Zeitgenossen damals erwartet, was leider nicht immer der Fall war. Nach 1945 dann kommt es noch einmal zum Bruch, er ist ja in dieser Phase im Exil, zunächst in der Schweiz und dann in Amerika, durchaus ein Verfechter auch der westlichen Welt. Aber dann, nach 1945, bricht er doch in gewisser Weise mit dem Nach-Roosevelt'schen Amerika, als der Kalte Krieg beginnt. Er kann dann mit dem Antikommunismus, etwa der McCarthy-Ära, nichts anfangen, und er geht dann relativ konsequent nach Europa zurück und stirbt 1955 in der Schweiz, in Zürich.

Hettinger: Ein langer Weg, der auch viele Umwege, viele Nebenwege beschreitet. Gibt es in der Biographie von Thomas Mann eigentlich ganz signifikante Punkte, entscheidende Momente, in denen er gefragt war in seiner politischen Haltung und die er dann auch vertreten musste?

Görtemaker: Ja, ich glaube, dass der entscheidende Punkt 1938 kommt mit dem Anschluss Österreichs und dann natürlich auch vor allen Dingen mit dem deutschen Überfall auf die Tschechoslowakei. Das sind für ihn traumatische Erlebnisse. Und hier besteht das, was er eigentlich schon vorher gesagt hat, nämlich dass die Nationalsozialisten nicht nur eine Bedrohung der deutschen Kulturen sind, sozusagen Pöbel, Abschaum, Verräter an der deutschen Kultur, sondern dass sie auch eine reale Bedrohung der Nachbarn sind, der Zivilisation überhaupt. Und das ist für ihn dann auch der Punkt, wo er dann - und zwar ganz im Sinne von Erika Mann und auch von Klaus Mann - beginnt, sich auch politisch zu artikulieren und das in einer Weise, wie sie an Schärfe und Deutlichkeit kaum zu überbieten ist.

Hettinger: Thomas Mann hat natürlich auch die entsprechende Bühne. Er ist im Exil in Amerika. Er hat die Möglichkeit, Rundfunkansprachen und Essays zu veröffentlichen. Wie artikuliert sich denn diese Bühne letztlich im Vergleich auf die Wirkung, die er hat in Deutschland und in der internationalen Welt?

Görtemaker: Diese Wirkung ist durchaus umstritten. Es ist natürlich von vielen gerade im Ausland als sehr positiv empfunden worden, dass es eine solche deutsche Stimme in dieser furchtbaren Welt noch gab. Allerdings wie die Wirkung in Deutschland selber war, das ist nicht so ganz eindeutig zu beantworten. Es gab auf der einen Seite diejenigen, die das als sehr wohltuend empfanden, dass von außen eine solche Geistesgröße wie Thomas Mann in dieser Weise zu ihnen sprach. Es gab aber auch viele, die Thomas Mann vorwarfen, überhaupt weggegangen zu sein. Diese Vertreter einer inneren Emigration haben ihm das nicht sehr gut abgenommen, dass er in dieser Weise Deutschland unter Anklage stellt, und damit auch diejenigen, die von innen heraus versuchten, auf das Regime mäßigend zu wirken. Also, da gibt es dann durchaus auch Konflikte mit denen, die dageblieben sind. Insofern ist es natürlich einerseits eine Emigrantenstimme. Auf der anderen Seite darf man eben nicht unterschätzen, welchen Ruhm, welche Bedeutung, welche moralische Instanz Thomas Mann aber eben auch besaß. Diese Bedeutung, die wird dann in seinen Rundfunkansprachen doch sehr klar, und das ist letztlich ausgesprochen positiv gewesen.

Hettinger: War er sich dieser Bedeutung und auch Verantwortung bewusst?

Görtemaker: Ja, er selber fühlte sich immer als eine wichtige Stimme. Da gibt es einen berühmten Spruch, "Wo ich bin, ist Deutschland", zu Beginn seiner Amerikajahre. Das sagt natürlich alles. Er war sich dieser Bedeutung immer bewusst. Und er hatte natürlich auch das literarische Standing, aus dem sich dann auch eine öffentliche Rolle ergab, was das rechtfertigte. Also insofern, er ist gehört worden und er wusste das selber auch sehr genau.

Hettinger: Eigentlich ein bemerkenswerter Wandel für jemanden, der in seiner Essaysammlung - Sie haben es eben erwähnt, Herr Professor Görtemaker - den "Betrachtungen eines Unpolitischen" von 1938, ja die These entwickelt hat, der Deutsche ist vom Grund her unpolitisch und es ist nicht seine Aufgabe, die Politik zu steuern, zu beeinflussen, sondern sie einfach nur wachsen zu lassen. Dann diese aktive Rolle in den Rundfunkansprachen. 1940 hat Thomas Mann gesagt: "I am an american" - ich bin ein Amerikaner. Eigentlich doch überraschend für jemanden, der deutsche Traditionsmuster und Tugenden so sehr in sich führt.

Görtemaker: Das darf man nicht allzu wörtlich nehmen. Ich glaube ihm das einfach nicht. Er ist nie ein Amerikaner geworden. Er ist es natürlich auf dem Papier geworden, weil er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Aber er ist natürlich so sehr Deutscher geblieben, wie man überhaupt nur Deutscher sein kann. Und alles, was Thomas Mann über die Politik geschrieben hat, hat er letztlich auch über sich selbst geschrieben. Also, die "Betrachtungen eines Unpolitischen" waren im Grunde ein Selbstbekenntnis eines elitären Künstlers aus dem Kaiserreich, der diese Welt, die ihm eben die äußere Sicherheit bot, um sein literarisches Schaffen eben tatsächlich fertig stellen zu können, gewährt hat. Und diese Welt brach eben dann zwischen 1914 und 1918 zusammen. Und das war ein großer Schock. Die Tatsache, dass er sich dann eben zu einem Vernunftrepublikaner gewandelt hat, darf man aber auch nicht missverstehen. Er bekennt sich ganz deutlich zur Weimarer Republik, er wird aber nicht zu einem Demokraten. Er bleibt im Grunde der Patrizier, als den ich ihn beschreibe, der er vorher gewesen war. Und er kann mit Wahlen oder Mehrheitsbildungen oder demokratischen Verfahren eigentlich sein Leben lang nichts anfangen. Also, er bleibt im Grunde ein sehr der Tradition, der Autorität verhafteter Mensch, wobei man das eher literarisch interpretieren muss, als politisch. Denn der Geniegedanke, von dem er getrieben ist, der sich direkt von Goethe ableitet, der ist natürlich mit Demokratie nicht vereinbar. Also, Literatur oder auch Kunst allgemein ist für ihn ein elitäres Projekt. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Man kann über die Demokratie keine große Literatur, keine große Geisteskraft erwarten, das kommt aus ganz anderen Quellen, für die er selber eben repräsentativ ist.

Hettinger: Sie haben sich für Ihr Buch "Thomas Mann und die Politik" sehr intensiv, sehr lange mit Thomas Mann beschäftigt. Nun ist Thomas Mann ja auch eine Figur, die man zu kennen glaubt, die einem vertraut zu sein scheint, ohne es jetzt wörtlich zu sein. Haben Sie im Zug dieser Ermittlungen den Menschen Thomas Mann neu kennen gelernt?

Görtemaker: Also, es ist über Thomas Mann so viel geschrieben worden. Ich glaube, dass ich auch so ziemlich alles oder fast alles gelesen habe. Natürlich ist es eine Annäherung an einen Menschen, über den man schon sehr vieles weiß. Und wenn man eben nicht nur seine literarischen Werke und seine Essays nimmt, sondern auch das, was über ihn geschrieben worden ist an Biographien, zur Kenntnis nimmt, dann kommt man dem Menschen schon relativ nah. Überraschend ist es dennoch, wie sehr er - oder für mich war es etwas überraschend - wie sehr er dennoch ein Mensch geblieben ist, der sich selber in einer bestimmten deutschen Tradition sah. Deswegen ist auch dieser Spruch "I am an american" eben nicht wörtlich zu nehmen. Er ist ein Vertreter des deutschen Geistes aus dem 19. Jahrhundert, und er ist es eigentlich bis in die 50er Jahre hinein auch geblieben. Insofern ist er eben vielleicht auch der letzte bürgerliche Schriftsteller - ein Relikt, wenn man so will - der aber natürlich dadurch, dass er eben diese ungeheure Geisteskraft eben besaß, natürlich ungemein bedeutend gewesen ist.

Hettinger: Der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker über Thomas Mann als homo politicus. Das neue Buch von Manfred Görtemaker hat den Titel "Thomas Mann und die Politik". Es ist im Fischer-Verlag erschienen, hat 284 Seiten und kostet Euro 19,90.
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