"Wo ich bin, ist deutsche Kultur"

Von Joachim Scholl · 12.08.2005
Er ist wohl der bekannteste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann. Mit Romanen wie "Buddenbrooks", "Der Zauberberg" oder "Felix Krull" hat er sich ein Millionenpublikum erobert. Aber Thomas Mann war auch eine politische Größe, in der Zeit des Nationalsozialismus eine bedeutende öffentliche Stimme der deutschen Emigration. Am 12. August 1955, heute vor 50 Jahren ist er gestorben.
Aus "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull":
"Der Oberstabsarzt war zurückgetreten, noch immer das Wasserglas in der Hand. "Sind Sie bei Sinnen?", fragte er mit einer Mischung von Ärgerlichkeit und Teilnahme in der Stimme... "Zu Befehl, Herr Kriegsarzt", erwiderte ich in diensteifrigem Tone. "Und bewahren Sie eine Erinnerung an das eben Durchlebte?" "Ich bitte", war meine Erwiderung, "gehorsamst um Vergebung. Ich war einen Augenblick etwas zerstreut." Kurzes, gewissermaßen bitteres Lachen antwortete mir vom Sitzungstische her. Man wiederholte murmelnd das Wort "zerstreut"."

Das war sein letzter großer Erfolg, und mit großem Vergnügen hat er daraus gelesen, aus den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull". Fast achtzig Jahre war Thomas Mann alt, als der Roman 1954 erschien: ein heiteres Buch als Schlusspunkt eines großen ernsten Werks und Lebens. Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor hatte der Weltruhm begonnen, mit den "Buddenbrooks", jenem literarischen Wunder des 25-Jährigen, das bis heute Millionen von Lesern entzückt und dem Autor 1929 den Nobelpreis eintrug.

Zu dieser Zeit war Thomas Mann längst eine Institution, "Der Tod in Venedig", "Der Zauberberg" hatten ihn zu einem lebenden Klassiker gemacht. Politisch wandelte er sich vom stramm nationalen Konservativen zum energischen Verfechter der Demokratie, Hitlers Machtübernahme zwang ihn in die Emigration. Er wurde zum wichtigsten Repräsentanten der deutschen Exil-Literatur.

Thomas Mann: " Das Geheimnis der Sprache ist groß. Ein deutscher Schriftsteller, an Verantwortung gewöhnt durch die Sprache und sollte schweigen, ganz schweigen zu all dem unsinnbar Schlechten, was in meinem Lande an Körpern, Seelen und Geistern, an Recht und Wahrheit, an Menschen, an dem Menschen täglich begangen worden und ist?"

Thomas Mann hatte durchaus gezögert, im Exil Stellung zu beziehen, er wollte seine deutschen Leser nicht verlieren - man kann ihm das vorwerfen. In der Schweiz, in Frankreich, schließlich in den USA setzte er seine literarische Arbeit zunächst unbeirrt fort, er schrieb die "Joseph"-Tetralogie, "Lotte in Weimar", den großen Musik- und Epochenroman "Doktor Faustus".

Daneben aber engagierte er sich unermüdlich im Kampf gegen die Nationalsozialisten, er half bedrängten Kollegen, sein Einfluss reichte bis zum amerikanischen Präsidenten, der ihn ins Weiße Haus einlud. Über die BBC wurde Thomas Manns Stimme auch in Deutschland hörbar, in 55 Radio-Ansprachen, die letzte erklang im Mai 1945:

Thomas Mann: " Es ist eine große Stunde, die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit. Sie ist hart und traurig, weil Deutschland sie nicht aus eigener Kraft herbeiführen konnte. Furchtbarer, schwer zu tilgender Schaden ist dem deutschen Namen zugefügt worden, und die Macht ist verspielt. Aber Macht ist nicht alles, sie ist nicht einmal die Hauptsache. Und nie war deutsche Würde eine bloße Sache der Macht. Deutsch war es einmal und mag es wieder sein, der Macht Achtung und Bewunderung abzugewinnen durch menschlichen Beitrag, den freien Geist!"

Doch nach Deutschland kehrte Thomas Mann nicht zurück. In der hässlichen Debatte über die Rolle der Exilanten warf man ihm vor, er habe das Vaterland im Stich gelassen, das böse Wort von den "Logenplätzen des Auslands" machte die Runde. Thomas Mann war tief verletzt und wurde mit dem West-Deutschland Konrad Adenauers nicht mehr warm.

1949 kam es zu weiteren Angriffen, als er der Einladung folgte, in Frankfurt am Main anlässlich des Goethe-Jahres zu sprechen – und ebenfalls nach Weimar, in die "Zone" reiste. Nun galt er als Kommunistenfreund; Ost-Deutschland empfing den Schriftsteller wie einen Staatsgast: Schulkinder mit Fähnchen an den Straßen, Übertragung live im Radio...

Radio-Reportage: "Anlässlich der Verleihung des Goethe-Nationalpreises an Thomas Mann hielt der große Schriftsteller in Weimar eine Begrüßungsansprache.... Sie lauschen jetzt der Rede Thomas Manns....(eingeblendet) "...gemäß sind. Worte des Dankes natürlich müssen es sein, für alles, was mir in Weimar an Güte und Ehre geboten wird, und solche Worte eben, die dem Gebotenen gerecht werden, sind schwer zu finden.""

Seine letzten Jahre verbrachte Thomas Mann in der Schweiz. Mit Genugtuung notierte er den internationalen Gratulationssturm zum achtzigsten Geburtstag und empfing die Huldigungen wie ein Fürst. Zwei Monate später, am 12. August 1955, starb Thomas Mann an den Folgen einer Thrombose friedlich im Schlaf.