Vom falschen Hype um einen Begriff

Wenn der Shitstorm sich legt

39:09 Minuten
Auf einer ausgeschnittenen grauen Pappe steht "Ach. nö..."
Ach nö, denkt sich da vielleicht der geneigte User: „Nicht schon wieder ein sogenannter Shitstorm“. © Imago / photocase / Knallgrün
Von Karoline Scheer · 04.08.2019
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Wer sich im Internet bewegt, läuft Gefahr, zum Ziel eines Shitstorms zu werden. Doch nicht jeder raue Kommentar ist auch Hatespeech. Damit es gar nicht soweit kommt, haben sich Initiativen gegründet, um den Opfern beizustehen.
Dass ihr rosafarbene Rolex zur Frage führte, ob SPD Politiker teure Uhren tragen dürfen, findet Sawsan Chebli, die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, bis heute lächerlich. Ein Shitstorm wäre die Netzdebatte unter dem Hashtag "rolexgate" trotzdem nicht gewesen.
"Ich würde die ganze Debatte um Rolex gar nicht als Shitstorm empfinden, sondern eine gehypte Debatte um etwas, was normal sein müsste."
In der Stunde 1-Labor plädiert Chebli für eine neue Definition dieser Erregungsspiralen. Diese könnten auch positiv sein, weil sie überhaupt zu Diskussionen anregten.
Dunkelhaarige jüngere Frau in Bluse steht lächelnd und mit verschränkten Armen vor gräulichem Hintergrund
„Ein Shitstorm war das nicht“: Geärgert hat sich Sawsan Chebli trotzdem über das #rolexgate.© dpa
Wahrlich gilt das aber nicht für alle Debatten. Sawsan Chebli stellt in einigen Wochen 20 bis 30 Strafanzeigen gegen Hassbotschaften und Drohungen, die Sie im Netz erreichen.
"Es ist schon so, dass mir meine Eltern nach dem Fall Lübcke geraten haben, jetzt aus Twitter auszusteigen. Weil es gibt ja Drohungen. Es gibt ganz konkrete Drohungen. Natürlich lässt mich der Fall Lübcke, wie viele die sich engagieren, nicht kalt. Und ich frage mich auch, was ist eigentlich, wenn mal jemand zuschlägt."
So ein mulmiges Gefühl könnte sie aber nicht dazu veranlassen, sich im Netz nicht mehr gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulisten und Rechtsnationalismus zu stellen. Das tut sie in den sozialen Medien explizit und häufig auch sehr kontrovers. So ein Engagement sei alternativlos, sagt Chebli.
Für Personen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, steigt nach Einschätzung des Innenministeriums das Risiko, von politischen Gegnern ausgeforscht und im Internet angeprangert zu werden.

Der Shitstorm als Theaterstück

Da stimmt auch der ehemalige Werber und heutige Aktivist Gerald Hensel zu. Hensel wurde bekannt durch #keingeldfürrechts. Der ehemalige Werber wollte Werbetreibende dazu bringen zu überprüfen, ob ihre Werbung auf Webseiten geschaltet wird, die rechte Meinungen propagieren. Sein Leben musste er nach den dann folgenden Morddrohungen einmal komplett umkrempeln. Sein daraufhin gegründeter Verein "Fearless Democracy" und die frisch aus der Taufe gehobene HateAid GmbH sollen Opfern von Hassrede im Netz mit Beratung und Rechtsbeistand unterstützen.
"Man darf sich einen Shitstorm in dieser Form nicht wie eine ernsthafte Sache im engeren Sinne vorstellen. Das ist ein Theaterstück. Da versuchen Menschen, ein Theaterstück für andere Menschen aufzuführen. Das hat ein Anfang und ein Ende."
Das Theaterstück um ihn war nach zwei Wochen vorbei, sagt Hensel weiter. Allerdings kündigte er daraufhin auch seinen Job in einer großen deutschen Werbeagentur, die massiv unter Druck gesetzt wurde.

Onlineempörung ist kein funktionierendes Wut-Barometer

Datenanalyst Philip Kreißel engagiert sich bei einer Counterspeechgruppe #ichbinhier e.V. In seiner Analyse zu Shitstorms erinnert er daran, dass echte Hatestorms – hier kann man die auf den ehemaligen Werber Gerald Hensel, den Journalistin Georg Restle aber auch Aktivistinnen wie Greta Thunberg nennen – oft von winzigen Minderheiten organisiert werden.
"Es sind nicht viele Leute, die sich daran beteiligen. Sie machen es nur sehr, sehr oft. Es zeigt, dass vieles von der Empörung online überbewertet wird und man sehr vorsichtig sein muss, von Onlineempörung auf in der Bevölkerung vorhandene Wut zu schließen."
Für diese Erkenntnis zu Hatespeech und Shitstorms soll Kreißel in den vergangenen zwei Jahren nahezu jeden größeren Shitstorm auf Facebook ausgewertet haben. Und hier setzt die Initiative an, die er als Analyst unterstütz. Schon rechtzeitig wird hier mit positiver Gegenrede solidarisch in überhitze, beleidigende Debatten eingegriffen. User engagieren sich ehrenamtlich und konnten nach Angaben des Vereins schon in mehreren Fällen Shitstorms zum Abflauen bringen.

Ein Hoch auf den verbalen Peitschenhieb

Geht es um die Trennschärfe von Aufregungsspiralen in der Debattenkultur im Netz, kommt auch Sascha Lobo in der Stunde 1 zu Wort. Lobo kann als Early Adopter des Wortes "Shitstorm" bezeichnet werden. Den Begriff verwendete er in einem Blogbeitrag schon vor zehn Jahren. Salonfähig wurde er dann von anderen gemacht.
06.05.2019, Berlin: Sascha Lobo, Autor, spricht bei der Internetkonferenz "re:publica". Die Konferenz der Netzszene findet vom 06.05-08.05.2019 statt. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Es spricht nichts gegen einen verbalen Peitschenhieb in einer Debatte, meint Journalist Sascha Lobo© dpa / picture-alliance / Britta Pedersen
Beim Versuch, der aktuell rauen Diskussionskultur im Netz etwas Konstruktives abzugewinnen und Aufregungsspiralen und Hatespeech voneinander zu trennen, hat der Blogger Lobo vor zwei Jahren bei "Spiegel Online" seinen Debattenpodcast gestartet. Der feiert die kontroversen Themen und Kommentare und jüngst die 100. Folge.
"Wir haben hier einen besonderen Raum der Debatte, wo man eben nicht so priemelhaft – so pflänzchenhaft sein darf", heißt es darin. Sein Hoch auf den verbalen Peitschenhieb begründet Lobo so:
"Es ist gar nicht selten so, dass hinter diesen sehr emotionalen Regungen, die da kommen, aus denen eine Beschimpfung entsteht, manchmal Mechanismen stehen, wo man überhaupt erst versteht, worum geht es den Leuten eigentlich. Ich glaube, wir haben es ganz oft mit Menschen zu tun, gerade mit Männern, die nur sehr unzureichend in der Lage sind, mit eigenen Gefühlen so umzugehen, dass sie eine Aggression von einem Widerspruch so richtig trennen können."
Angesprochen auf eine neue Definition, die das Wort Shitstorm vertragen könnte, um den besonderen Debattenraum im Netz nicht herabzuwürdigen, aber klare Grenzen zu Hatespeech zu ziehen, meint Lobo:
"Ich glaube nicht, dass ich da jetzt die Kraft oder Macht habe, etwas ansatzweise umzudefinieren."
Vormachen muss man sich indes auch nichts. Auch Sascha Lobo, der einen besonderen vielleicht sogar innovativen Umgang mit seinen Hatern pflegt, kann nach Talkshowauftritten mit hunderten Beschimpfungen, Gewalt und Todesdrohungen rechnen.
"Wenn man, sagen wir, nach einer Maischberger Sendung mit 300 Todesdrohungen per Mail oder den sozialen Medien konfrontiert ist. Dann ist so ein dahin geworfenes Arschloch auf Twitter nicht mehr so wahnsinnig beeindruckend."

Unsere neue Sendung "Stunde 1 Labor" läuft ab dem 7. Juli 2019 in der Nacht von Samstag auf Sonntag um 0:05 Uhr. Sie ist Raum für Experimente und bietet eine Vielfalt an Formaten wie etwa Veranstaltungen, Magazine oder Gespräche.

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