Belarusische Autorin Volha Hapeyeva

Die lyrische Nomadin

12:57 Minuten
Volha Hapeyeva
Volha Hapeyeva lebte schon in Belarus im Exil, wie sie sagt: im inneren. © Nina Tetri
Moderation: Joachim Scholl · 14.11.2022
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Die belarusische Lyrikerin und Autorin Volha Hapeyeva lebt seit 2020 außerhalb ihres Landes. Doch von Exil und Migration will sie nicht sprechen, denn das sei Staatssprache. Mit dieser hat sie sich in einem ausgezeichneten Essay befasst.
Volha Hapeyeva ist eine der bekanntesten Lyrikerinnen und Schriftstellerinnen aus Belarus, sie hat dort über ein Dutzend Bücher veröffentlicht. Hapeyeva lebt aber nicht mehr in ihrer Heimat: Im Sommer 2020, als die Proteste gegen das diktatorische Regime von Staatschef Lukaschenko immer brutaler niedergeschlagen wurden, beschloss sie, nicht zurückzukehren in ihr Land.
Sie war damals gerade Stadtschreiberin in Graz und berichtet rückblickend, wie diese schwierige Entscheidung ihr Denken verändert hat. Damals habe sie sich das Prinzip zu eigen gemacht, zu leben und nicht zu viel über die Zukunft nachzudenken. "Das war die einzige Möglichkeit, diese Situation durchzustehen", sagt sie.

Poesie als Rettung

Die Linguistin lebte danach als Stipendiatin in München, inzwischen ist sie als Fellow des Berliner Künstlerprogramms 2022 des DAAD in der deutschen Hauptstadt unterwegs und mitten im Prozess des Ankommens. Schreiben könne sie zwar überall, aber der Alltag sei noch schwierig, betont sie. Viele ihrer Freundinnen und Freunde hätten Belarus inzwischen verlassen, seien den gleichen Schritt gegangen – unter anderem ihr Verleger, der nun auch in Berlin lebt.
Hapeyeva vermeidet, sich als Exilant oder Flüchtling zu bezeichnen, bevorzugt stattdessen den Begriff der Nomadin – aus linguistischen Gründen, wie sie sagt, "weil Wörter wie Exilanten und Emigranten aus der Sicht von Staaten verfasst sind. Ich will nicht so über mich denken."
Vielleicht liege es an ihrem Background, dass sie dem Staat nicht vertraue, sagt die Schriftstellerin. Auch in Belarus habe sich schon im Exil gelebt, im inneren Exil, so wie viele andere Künstler und Schriftsteller. "Es gab eine offizielle Kultur und dann unabhängige Initiativen und Kultur." Diese beiden Kulturen hätten sich nicht sehr gut verstanden, deshalb sei es auch schwierig gewesen, sich zuhause zu fühlen.

Für die Seele, für das Herz

In einem auf Deutsch geschriebenen Essay hat sich Hapeyeva mit der Rolle der Sprache in der Welt und mit deren Missbrauch durch Staaten befasst: „Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils“ wurde im Sommer mit dem Wortmeldungen-Literaturpreis ausgezeichnet.
Die Jury hob hervor, Hapeyeva setze "despotischen Machtstrukturen ein poetisches, nomadisches Denken entgegen". Dabei ziele die 1982 geborene Autorin vor allem auf die Kraft der Sprache ab: "Sie zeigt, dass Diktaturen Sprachpolitik für ihre Zwecke nutzen, dass sie ihre eigene Sprache etablieren, dass Worte töten können. Und dass Diktaturen Kunst und Poesie unterdrücken, weil sie Mittel des kritischen Denkens sind, die ihnen gefährlich werden können."
"Für mich ist die Poesie der Punkt, wo die Sprache am besten funktionieren kann", sagt Hapeyeva. "Wenn ich sage 'am besten', dann meine ich, am besten für uns Menschen, für unsere Seelen und für unsere Herzen." In der Poesie könne man mit Sprache etwas Schönes zeigen, diese sei ein Rettungsmittel.
(mfu)

Volha Hapeyeva: "Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils"
Verbrecher Verlag, Berlin 2022
72 Seiten, 14 Euro

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