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Videokonferenzen blockieren Kreativität

07:22 Minuten
Mann sitzt mit Laptop auf dem Schoß auf dem Boden. Neben ihm: Kaffeetasse, Zettel, Buch.
Gemeinsam Neues entwickeln und Ideen austauschen: Nicht immer gelingt das per Videocall genauso gut wie im gemeinsamen Büro. (Symbolfoto) © imago images / Shotshop
Von Matthias Finger · 28.05.2022
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In Videokonferenzen sind wir weniger kreativ als bei analogen Treffen. Zu dem Schluss kommt eine Studie der New Yorker Columbia University. Dafür spielen digitale Zusammenkünfte bei anderen Aufgabenbereichen ihre Stärken aus.
Auch wenn die ständigen Videokonferenzen nerven: Unsere kollektive Lernkurve in Sachen Bürokommunikation war in den letzten beiden Jahren enorm hoch. Digitale Treffen funktionieren, aber nicht für alle Aufgaben. Bei der Nutzung von Zoom, Teams und Skype haben wir weniger kreative Ideen als beim gemeinsamen Brainstorming im Büro.
Melanie Brucks von der New Yorker Columbia University hat mit einem Partner aus Stanford Experimente mit 300 Zweierteams durchgeführt. „Die Teilnehmer waren entweder zusammen in einem Raum oder sie saßen in zwei verschiedenen Räumen, die durch Videokonferenztechnik verbunden waren, und mussten kreative Aufgaben lösen“, sagt sie.
„Bei der analogen Zusammenarbeit kamen im Schnitt 16 bis 17 Lösungen heraus. Bei der digitalen Kooperation lag die Zahl der Lösungen zwischen 13 und 15.“ Die Versuchskaninchen mussten innerhalb von fünf Minuten neue Verwendungsideen für Frisbeescheiben und Blisterfolie entwickeln.

Digitale Netiquette behindert Austausch

Erwartbar war das, findet Alexandra Groß von der PR-Agentur Fink und Fuchs in Wiesbaden. Ihr fehlt ein wichtiger Baustein. „Zwar ist das die Dynamik, die man erzeugt, wenn man sich gemeinsam in einem Raum nonverbal und auch ein Stück emotionaler an einer Idee hochschaukelt. Das findet digital in der Form gar nicht statt, weil der digitale Kreativprozess das Nonverbale komplett ausblendet.“
Digital gemeinsam auf eine gute Idee zu kommen, sei mühsam. Der direkte Blickkontakt mit Mitstreitern fehle – genauso wie das schnelle Wort, das im Raum hin- und hergeht.
Unsere mühsam erarbeitete, brave Netiquette für Videokonferenzen würge kreativen Austausch ab. „Das ist wesentlich formaler als der Austausch, den man persönlich hat“, so Groß. „Da ist schon sehr viel Zufall mit dabei. Sehr viele spontane Ideen kann man gar nicht digital auffangen. Das ist auch ein Kulturelement im Kreativprozess – ein ganz wesentlicher Faktor, dass es auch mal drunter und drüber gehen darf.“

Verengung der visuellen Wahrnehmung

Doch welche wissenschaftliche Erklärung hat die BWL-Juniorprofessorin Melanie Brucks für das Phänomen der verminderten Kreativität gefunden? Mangelndes Vertrauen zwischen den Videopartnern konnte – aufgrund einer Befragung – ausgeschlossen werden. Vielleicht, vermutete Brucks, fokussieren wir uns bei Videokonferenzen zu stark auf unsere Gesprächspartner?
Brucks verfolgte deshalb die Blicke der Teilnehmer und wollte wissen: Schauen sie den Gesprächspartner, die Umwelt oder die Aufgabe an? „Die Leute glauben intuitiv, dass sie bei persönlichen Treffen mehr mit ihrem Partner interagieren. Aber genau das Gegenteil stimmt. Bei virtuellen Meetings schauen die Menschen ihre Gesprächspartner doppelt so oft an – und achten weniger auf Dinge in ihrem Umfeld.“ Brucks schlussfolgert: Die Verengung der visuellen Wahrnehmung wirkt wie eine Kreativitätsbremse.
Wer kreativ sein will, muss den Blick schweifen lassen, weiß die Forschung. Erst dann kommen Assoziationen auf. Die Ideenfindung findet immer im Wechselspiel zwischen Konzentration und Zerstreuung statt.
„Tatsächlich kann man auch neurobiologisch zeigen, dass das Kreative immer in einem Wechselspiel von konvergenten und divergenten Denken stattfindet – also einerseits dieses fantasievolle Blicken in den morgendlichen grauen Himmel und auf der anderen Seite das Zurückkommen in seinen Text“, sagt Kreativitätsforscher Rainer Holm-Hadulla von der Universität Heidelberg. Er bezweifelt indes, dass Macher der Studie – zwei Marketingexperten – das Zeug zu medizinisch und psychologisch fundierter Kreativitätsforschung haben.
Aber auch er verweist das darauf: Die Grundlage für kreative Prozess sei zunächst das konzentrierte Arbeiten. „Man geht davon aus, dass wenn – sagen wir mal – 200 Neuronen gleichzeitig feuern, so eine Art Muster entsteht, das abgespeichert werden kann. Das können sie vielleicht mit einer Vorform von einer Idee gleichsetzen. Das Kreative besteht darin, dass sie diese Muster immer wieder bilden, aber neu verknüpfen“, in den nur sekundenlangen Abschweifungsphasen, die kreativitätstheoretisch aber sehr kostbar sind.

Kamera ausschalten, den Blick schweifen lassen

Um eine kognitive Einengung durch starkes visuelles Fokussieren zu verhindern, hat Melanie Brucks auch eine andere Lösung parat. „Ich habe dafür keine Beweise, aber bei der Ideenfindung schalte ich jetzt immer die Kamera aus. So kann ich trotzdem umherlaufen und den Blick schweifen lassen.“
Einfach wieder zurück zum guten alten Telefonieren? Für die Werbebranche scheint dies keine gangbare Lösung zu sein: PR-Profi Alexandra Groß empfindet ausgeschaltete Kameras als schwarze Löcher, die – in Kombination mit dem formalisierten Redefluss einer digitalen Konferenz – der Kreativität ebenfalls nicht zuträglich sind.
Man habe kein Feedback, sehe keine Reaktion. „Man sieht nicht: Greift hier jemand was auf? Es stellt keiner Zwischenfragen, was auch ein dynamischer Prozess und wichtig ist. Aber so ist es tot. Dieses Entstehen lassen von Gedanken, indem man Bälle hin und her spielt, das hat man gar nicht.“

Besser für Entscheidungsfindung

Allerdings schließt Groß Videokonferenzen nicht prinzipiell aus. Sie seien für Besprechungen von bis zu 30 Minuten geeignet. Das hat Melanie Brucks auch mit einem weiteren Versuch – nach der Ideenfindung – belegt.
„Wir baten die Teilnehmer auch, die kreativste Lösung auszuwählen. Da muss man sagen, dass Videokonferenzen nicht per se schlechter sind: Im Gegensatz zum Brainstorming klappt die Entscheidung für eine Idee in digitalen Meetings besser.“ Auch für Aufgaben, die eine starke Konzentration erfordern, seien digitale Konferenzen empfehlenswert.
Deshalb werden sie uns – in einem gewissen Umfang – wohl erhalten bleiben. Eine genaue Abstimmung von Aufgabe und Kommunikationsform ist allerdings empfehlenswert.

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