Victoria Steiner: "Enkelfähig wirtschaften"

Schwurbelige Glorifizierung

06:54 Minuten
Weißes Buchcover mit blauer Schrift, "Enkelfähig wirtschaften" von Victoria Steiner
© Hanser

Victoria Steiner

Enkelfähig wirtschaften. Familienunternehmen in DeutschlandHanser, Berlin 2022

184 Seiten

20,00 Euro

Von Paul Stänner · 05.03.2022
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Sie sind die Zierde der deutschen Wirtschaft und werden von Politikern gern lobend herausgestellt: Familienunternehmen. Dass sie sich auch gerne selbst verherrlichen, zeigt ein neues Buch, das vieles anreißt, aber nicht gegenprüft.
Familien, das weiß jeder, der nicht im Waisenhaus aufgewachsen ist, sind spannungsgeladene Zusammenrottungen. Familienunternehmen, das weiß jeder, der die Berichterstattung über die britische Königsfamilie verfolgt, sind Unternehmen mit ganz eigenem Risikopotenzial.
Die Laufschuhbrüder Rudolf und Adolf Dassler sind als getrennte Brüder in die Medien gekommen ebenso wie die Aldi-Geschwister, die in ein übernationales Unternehmen den sogenannten Aldi-Äquator zwischen Nord und Süd einziehen mussten, weil sie nicht zusammenbleiben konnten. Familienunternehmen beleuchtet und berät jetzt ein Buch unter dem Titel „Enkelfähig wirtschaften“ mit der Unterzeile „Familienunternehmen in Deutschland“. 

Familie und Geschäft folgen unterschiedlichen Logiken

"Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s", so unkt der Volksmund – nicht ganz ohne Weisheit. Denn: Familienunternehmen sind besondere und herausfordernde Unternehmenstypen, weil sie zwei Logiken in sich vereinen müssen, die nicht zwingend zusammengehören: die Familie und das Geschäft.
Der Verlag Hanser, in dem das Buch unlängst erschien, ist eigentlich dafür bekannt ist, hoch- und höchstwertige Romane und Erzählwerke zu verlegen, ebenso wie auch Sachbücher. Daneben fährt Hanser noch auf einer weiteren Schiene, genannt „Hanser Corporate“. Was bedeutet, dass hier der Verlag zurücktritt und seine technischen Fähigkeiten einem Produkt zur Verfügung stellt, das andere initiiert und in Ausführung und Ausrichtung gestaltet haben. Wo Hanser drauf steht, ist nicht notwendig Hanser drin.
In diesem Fall ist es so, dass die Autorin Victoria Steiner, die ansonsten in einem anderen Verlag für Publikationen über mittelständische Verlage zuständig ist, den Text geschrieben und durch Interviews mit vier Gesprächspartnern aus Wissenschaft und Unternehmen angereichert hat.
Die Bedeutung der Familienunternehmen ist wohl kaum zu überschätzen: 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse finden sich laut „Enkelfähig wirtschaften“ in Familienunternehmen. Oft sind sie die sogenannten Hidden Champions, mittelgroße Unternehmen mit Spezialprodukten, die eine Nische besetzen – und zwar auf dem Weltmarkt.

Hilft eine "Familienverfassung"? 

Familienunternehmen haben ein strukturelles Problem, dem sie nicht entgehen können – die Familie. Je nachdem wie groß der Kreis der in der Familie zusammengefassten Verwandtschaft ist, sind die Unterschiede im individuellen Wollen, in den persönlichen Lebensentwürfen und den Zielvorstellungen für das Unternehmen sehr divergierend, manchmal einander ausschließend.
Eine Methode, solche Bruchlinien zu überbrücken, sind so genannte Familienverfassungen, also ein übergreifendes Regelwerk, dem sich die Familienmitglieder zu unterwerfen haben: "Eine Familienverfassung stellt Familien und ihre Unternehmen auf ein festes Fundament, weil sie der Familie nicht einfach oktroyiert, sondern gemeinsam festgelegt wird."
Das mag helfen, die Nachfolgeregelungen zu verbessern und zu erleichtern. Wenn der Vater seinem Sohn sagt, er halte ihn nicht für geeignet, die Firma zu führen, oder auch andersherum, der Sohn dem Vater erklärt, dass mit der Firma sei echt nicht so sein Ding. Solche in der Familie hoch belastenden Bemerkungen könnten über eine Familienverfassung leichter und mit weniger Emotionen abgewickelt werden.
Man findet in dem Buch viele wichtige Themen, wie zum Beispiel damit umzugehen sei, wenn die jüngere Generation einfach mehr weiß als die Besitzergeneration (Stichwort Elektronik, Internationalität) oder andere ethische Vorstellungen von nachhaltigem Wirtschaften und ökologischer Verantwortung vertritt.
Lösungen kann man in diesem Buch nicht erwarten, eher allgemeine Hinweise wie: "Diese (Probleme und Konflikte) zu verhindern fordert sehr viel Vertrauen zwischen den verschiedenen Generationen." Was irgendwie wohl wahr ist.

Der Mörder ist immer der Fabrikant?

Die Generationenfrage ist aber nur ein Thema. Ein anderes ist das Image des Unternehmers. Dem Klischee folgend gilt er als geldgierig und selbstbezogen. Zum Beweis wird ein Zitat aus dem "Handelsblatt" angeführt: "In mehr als tausend 'Tatort'-Krimis stellt die Berufsgruppe der Unternehmer und Selbständigen die meisten Mörder."
So ein Satz wäre natürlich nur sinnvoll, wenn gesagt würde, in wie viel Prozent oder Promille der tausend "Tatorte" der Mörder nicht der Gärtner, sondern sein Arbeitgeber war. „Die meisten“ ist eine Aussage aus dem Ungefähren und somit nur ein Stimmungsprodukt.
Das Buch hält dagegen mit einer wiederum geschwurbeligen Glorifizierung: „Familienunternehmen haben (also) nicht nur Familie und Unternehmen im Blick, sondern auch alles, was sie umgibt: die langjährigen und zukünftigen Beschäftigten, die Kunden, die Umwelt. Das ist gerade für deutsche Familienunternehmen signifikant, diese Verwurzelung, dieses Engagement findet man in anderen Weltregionen nicht."

Skandalfrei sind Familienunternehmen auch nicht

Das wäre ein rührend schöner Satz, wenn er in Stein gemeißelt so stehen würde, aber das müsste noch einmal gegengeprüft werden. Nicht allein Wursthersteller Tönnies geriet wegen seiner zweifelhaftes Umgangs mit Beschäftigten und der Umwelt ins Gerede. Oder die Unternehmerfamilie Schlecker, die ihre Belegschaft – wie es nachsichtig heißt – „nicht marktüblich“ entlohnt hat.
Skandale hin oder her – der Wirtschaftswissenschaftler Tom A. Rüsen fordert: "Warum kann man das nicht sagen: Ich bin glücklich, in Deutschland groß geworden zu sein, ich bin stolz auf Goethe, Schiller, Porsche, Mercedes und die Familienunternehmen! Wir müssen doch mal sehen, (...) woher das Wachstum, woher die Wertschöpfung und gesellschaftliche Stabilität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommt.“
„Enkelfähig wirtschaften“ ist ein Mutmach-Buch, ein Coffee Table Book, das man vielleicht im Vorzimmer des Chefs auf den Tisch legt, für den Fall, das der Vertreter des Zulieferers mal wieder länger warten muss, oder der örtliche Bundestagsabgeordnete. Die Queen sollte es auf jeden Fall lesen.

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