Uwe Ritzer, Markus Balser: "Lobbykratie"

Anrüchig, aber legal

Lasst den Lobbyisten die Luft raus! steht auf einem Transparent vor dem Bundestag in Berlin.
Protest gegen Lobbyismus in Deutschland (Archivbild 2005) © imago/Rolf Zöller
Von Florian Felix Weyh · 04.06.2016
Ist Lobbyismus eine Gefahr für die Demokratie? Zwei SZ-Journalisten haben quellenreich zusammengetragen, wie Wirtschaftsvertreter die Gesetzgebung beeinflussen. Das ist oft anrüchig, aber nicht verboten. Ihr Lösungsvorschlag ist eher dünn.
Wie bringt man eigentlich einen knochentrockenen politisch-soziologischen Stoff in einem Publikumsverlag an den Mann?
"Ein böiger Wind bläst durch die deutsche Hauptstadt, als Heino Wiese an einem Novembertag 2015 kurz nach 12 Uhr die 'Peking-Ente' betritt."
...um mit einem dicken Geldbündel bewaffnet einen deutschen Hauptstadtparlamentarier zu bestechen? Falsch! Er trifft dort zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung, um ihnen sein Berufsfeld als "Unternehmensberater" zu erläutern. Daran ist gar nichts Sinisteres – er redet ja mit der Presse. Freiwillig.

Skandal? Völlig legal!

"Ein Berliner Altbau, eine Privatwohnung. Und ein Manager, der der SPD nahesteht. Ein Gespräch und eine Warnung: 'Wenn Sie sich Wiese zum Feind machen, haben Sie einflussreiche Feinde', sagt der Partei-Insider. Auch in Russland. Vor allem, wer die Verbindungen Wieses nach Russland beleuchte, müsse fürchten, ins Visier des russischen Geheimdienstes zu geraten."
Trommelwirbel, Spannungsmusik – beides würde erklingen, wäre das vorliegende Buch ein Dokumentarfilm. In Markus Balsers und Uwe Ritzlers Recherchedokumentation über Lobbyisten in Deutschland wirken solche Thrillerpassagen allerdings eher wie verrutschte Lektoratseingriffe, die darüber hinwegtäuschen sollen, dass Lobbyismus eine komplexe und schwer zu skandalisierende Materie ist. Gewiss, man kann ihn prinzipiell als undemokratisch brandmarken, dann wäre die schiere Existenz von Lobbyisten ein Skandal. Aber genau das tun die beiden Autoren nicht:
"Generelle Verbote wären die falsche Antwort. Niemand kann und darf verbieten, dass sich die Wirtschaft in die Politik einmischt. Und niemand sollte verlangen, dass Politiker sich nach ihrer Karriere nicht mehr mit den Themen beschäftigen, die sie über Jahre geprägt haben. Aber es braucht auch dafür klare und saubere Regeln."
Cover - Uwe Ritzer, Markus Balser: "Lobbykratie"
Cover - Uwe Ritzer, Markus Balser: "Lobbykratie"© Droemer-Verlag

Wer 2.800 Euro am Tag verdient, kann kein Unschuldslamm sein

Im Sinne eines Sachbuchreißers ist das nicht besonders sexy – deswegen steht diese Grundeinschätzung auch etwas verschämt als Resümee am Schluss des Buches. Zuvor müssen Akteure wie Heino Wiese – enger Freund von Altkanzler Schröder und Kontaktschaltstelle in einem durchaus zweifelhaften Dreieck Schröder-Putin-Erdogan – als Dunkelmänner herhalten. Aber eben nur in stilistischen Spannungswölkchen, denn Heino Wiese tut nichts Verbotenes, wenn er deutschen Unternehmen Kontakte zu russischen Machtzirkeln vermittelt. Keiner der befragten und kritisierten Lobbyisten tut etwas Verbotenes, niemand ist kriminell, nirgendwo lässt sich Bestechung nachweisen. Um die Schieflage zu zeigen, in die der Lobbyismus den Parlamentarismus bringt, muss man aufs Finanzielle ausweichen, etwa bei Heino Wiese:
"Der Honorarsatz des Lobbyisten liegt nach seinen eigenen Angaben bei stattlichen 2.800 Euro pro Tag."
Stattlich! Wir schlucken kräftig und denken: Wer so viel für seine Arbeit nimmt, kann kein Unschuldslamm sein. Wenig später aber steht eine viel größere Zahl im Buch, die den SPD-Lobbyisten als kleinen Fisch erscheinen lässt:
"Versierte Wirtschaftsanwälte berechnen schon mal 1.000 Euro pro Stunde."

Kein typisches Anklagepamphlet

Und diese Wirtschaftsanwälte sind die eigentlichen Platzhirsche im Geschäft – nur, dass man sich mit ihnen nicht mal schnell in der "Peking-Ente" treffen kann. Klipp und klar: "Lobbykratie" von Markus Balser und Uwe Ritzler krankt an einem unlösbaren Zielkonflikt. Um als Buch landen zu können, muss Zuspitzung her, doch die beiden Autoren wollen das lieber vermeiden. Sie erzählen genau, langatmig, quellen- und faktengesichert, ja nachgerade ausgewogen – womit die Basis für ein genretypisches Anklagepamphlet fehlt.
"Lobbyisten geht es stets darum, gesellschaftliche Interessen durchzusetzen – die Interessen ihrer Gesellschaft."
...sagt zwar der SPD-Abgeordnete Lothar Binding, aber neben der Bemerkung eines CDU-Mannes, Lobbyismus sei "Lepra für die Demokratie", ist das so ziemlich die galligste Aussage des Buches.

Transparenz als Mindestgebot

"'Der Lobbyist bricht nicht über uns herein', sagt Binding. 'Er will bisweilen über Jahre und Jahrzehnte Wahrnehmungen und Meinungen verändern, subtil, aber wirksam, so lange, bis sie sich in den Köpfen als vermeintliches Allgemeingut festgesetzt haben.'"
Das ist das Wesen des "Deep Lobbying", der Steuerung großer gesellschaftlicher Debatten im Sinne der Wirtschaft. Auch im konkreten politischen Geschäft macht Geld einen großen Unterschied. Nur wer sich die horrenden Stundensätze von Lobby-Kanzleien leisten kann, erhält durch sie Zugang zu Abgeordneten und Fraktionen. Einen sehr direkten und gleichzeitig gut verborgenen Zugang – denn diese Kanzleien schreiben zwar nicht selten an Gesetzesvorlagen mit, stehen aber nicht im 850-seitigen Lobbyverzeichnis des Bundestags. Das müsse sich ändern, fordern Balser und Ritzler, größtmögliche Transparenz sei das Mindestgebot für eine funktionierende Demokratie mit Lobbyistenbeteiligung. Wer sich durch die 360 Seiten der redlichen Aufklärungsschrift gekämpft hat, wird die insgesamt eher schmale Forderung nach besseren Regeln jedoch als Ausdruck der Ratlosigkeit empfinden. Regeln sind leicht formuliert, ihre Einhaltung ist auf diesem Gebiet aber besonders schwer kontrollierbar. Es fehlt wohl eher an einem grundsätzlichen demokratischen Ethos, das sagt: Meine politische Haltung lasse ich mir nicht abkaufen. Nur damit wäre Lobbyismus kein Problem.

Uwe Ritzer, Markus Balser: Lobbykratie. Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft
Droemer, München 2016
360 Seiten, gebunden 19,99 Euro, E-Bbook 17,99 Euro

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