Umstrittener Film "Elternschule"

"Wir versuchen der Arbeit der Klinik gerecht zu werden"

Szene aus dem Dokumentarfilm "Elternschule" über die Behandlung von Kindern mit Ess- und Schlafstörungen in der Jugendklinik Gelsenkirchen.
Szene aus dem Dokumentarfilm "Elternschule" über die Behandlung von Kindern mit Ess- und Schlafstörungen in der Jugendklinik Gelsenkirchen. © dpa / Zorro Film
Jörg Adolph im Gespräch mit Dieter Kassel  · 03.11.2018
Der Regisseur Jörg Adolph verteidigt seinen umstrittenen Dokumentarfilm "Elternschule" gegen massive Vorwürfe. Er würde sich freuen, wenn die geplante TV-Ausstrahlung mit einer Fernsehdebatte verbunden würde.
Die Kino-Dokumentation "Elternschule" sorgt seit Wochen für Diskussionen über die Therapieformen einer Kinder- und Jugendklinik in Gelsenkirchen. Inzwischen ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft und es gibt eine Online-Petition, die fordert, den Film nicht mehr zu zeigen. Einer der beiden Filmregisseure Jörg Adolph sagte jetzt im Deutschlandfunk Kultur, er habe in den Film sehr bewusst die Perspektive der Klinik gewählt und deren Umgang mit den Patienten für richtig befunden. Die Dokumentation könne nur Schlaglichter der sehr komplexen Therapieformen beleuchten. Adolph sagte, er würde es begrüßen, wenn die TV-Ausstrahlung damit verbunden werde eine Fernsehdiskussionsrunde zu organisieren - als Filmemacher wünsche er sich, dass darüber geredet werde.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Schon seit über drei Wochen läuft der Dokumentarfilm "Elternschule" von Ralf Bücheler und Jörg Adolph in den deutschen Kinos. Er zeigt, wie in einer Kinder- und Jugendklinik Eltern und Kinder geholfen wird, wenn die Kinder zum Beispiel nicht essen wollen, nicht schlafen, ständig schreien oder auch im Gegenteil völlig antriebslos sind. Nun gibt es Vorwürfe, die Methoden dieser Kinder- und Jugendklinik in Gelsenkirchen seien inakzeptabel. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Vorwurfs der Kindesmisshandlung, und eine Onlinepetition fordert ein Aufführverbot für den Film. Was sagen die Autoren dazu? Mit einem der beiden wollen wir jetzt sprechen, mit Jörg Adolph. Schönen guten Morgen, Herr Adolph.
Jörg Adolph: Schönen guten Morgen.
Kassel: Hatten Sie bei der Arbeit an diesem Film je das Gefühl , die Methoden, die sie da sehen, seien heikel?
Adolph: Nein, überhaupt nicht. Wir haben uns ja auch in der Recherche für den Film lange damit auseinandergesetzt, was dort passiert und wie das gemacht wird. Wir haben auch bewusst in unserem Film die Perspektive der Klinik eingenommen und nicht noch sonstige Experten oder Gegenstimmen versucht einzufangen, sondern man versucht, so einen Film ja perspektivisch aus einer Sichtweise zu erzählen. Das war für uns die Klinik, und insofern wussten wir, was passiert, und waren damit auch einverstanden.

Richtige Methoden der Klinik

Kassel: Wir beide haben hier im Deutschlandfunk Kultur zum Filmstart miteinander gesprochen über den Film, deshalb hab ich ihn natürlich auch gesehen – dieses Gespräch kann man übrigens über Deutschlandfunk Kultur jederzeit nachhören im Internet. Ich hab damals gar nichts gefragt in Bezug auf diese Methoden, ob sie heikel seien oder nicht, weil ich auch beim Sehen des Films überhaupt nicht das Gefühl hatte, man müsse solche Fragen stellen. Aber jetzt bei dieser ganzen Diskussion, also ich persönlich verliere langsam so das Vertrauen in mein eigenes Urteilsvermögen. Sind Sie sich immer noch ganz sicher, dass alles in Ordnung ist?
Adolph: Ich kann das gut verstehen, dass man, wenn einem das so vehement entgegenkommt, dass man dann anfangen kann zu zweifeln, aber nein, ich bin ganz sicher, dass wir das richtig gemacht haben, den Film richtig gemacht und vor allen Dingen auch, dass die Methoden der Klinik die richtigen sind für die Fälle, die wir dort zeigen.
30.10.2018, Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen: Das Foto zeigt die Zufahrt zur Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Einrichtung nach der Filmdoku «Elternschule» Ermittlungen aufgenommen. Foto: Roland Weihrauch/dpa | Verwendung weltweit
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Klinik in Gelsenkirchen © Roland Weihrauch/dpa
Kassel: Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Schon relativ früh in dem Film – es ist ein bisschen aufgeteilt, was die Probleme angeht. Es geht um nicht essen, nicht schlafen, generell nicht ruhig sein wollen, dann geht es auch am Schluss um Antriebslosigkeit. Es gibt eine Szene, da sitzen mehrere Kinder in einem relativ großen Raum, der mit Matten ausgelegt ist – mehrere heißt vier, glaube ich, sind es, oder fünf –, und es sind Betreuerinnen dabei, und die Kinder müssen einfach nur ruhig sitzen.
Niemand redet, und wenn die Kinder sich bewegen, auch nur einen Arm, wird der Arm einfach leicht zurückgeschoben. Ich hab das als Geduldsprobe für alle Beteiligten empfunden. Ich hab jetzt mit einer Kollegin geredet, die gesagt hat, sie hat es gesehen und sie hat es als unglaublich kalt und gefühllos empfunden.
Adolph: Dadurch, dass der Film ja nichts kommentiert und nicht sagt, was man dazu jetzt denken soll, gibt es natürlich diese beiden Möglichkeiten, das zu sehen. Ich glaube aber, dass in der Verhaltenstherapie wahnsinnig wichtig ist, dass die Schwestern und Pädagogen dort nicht das Verhalten der Eltern quasi kopieren und ähnlich aktiv oder aufgeregt reagieren, sondern einfach mit einer gewissen Distanz und Klarheit.
Und das ist das, was die Schwester dort macht. Sie geht einfach ganz klar hin und sagt, nimm die Hand wieder runter oder hör auf, hier zu kratzen. Das sagt sie gar nicht, weil Worte wären da auch völlig falsch. Es geht ja in der Situation wirklich um das gemeinsame Zur-Ruhe-Kommen, Ruhigsein, sondern sie nimmt einfach die Hand und legt sie wieder behutsam zurück. Das hat nichts mit Kühle zu tun, sondern ist einfach eine professionelle verhaltenstherapeutische Maßnahme.

Entspannung erreichen

Kassel: Was Sie gerade gesagt haben, therapiert, das ist Teil der Kritik. Einige, auch Fachleute, sagen, das sei keine Therapie, weil die Kinder nicht begreifen, warum sie ihr Verhalten ändern sollen, das sei eine Art Dressur. Die Kinder machen einfach nur, was man von ihnen verlangt, weil sie dem Druck nachgeben. Wieder so ein Fall: Hätte ich selber nicht gedacht, als ich den Film sah, nachdem ich es gehört hab, bin ich verunsichert.
Adolph: Ja, kann ich verstehen, dass man verunsichert ist, aber eigentlich wird den Kindern nur die Möglichkeit gegeben, dass sie einmal durch diese Stresskurve wirklich durchlaufen und dadurch ihr Verhalten auch verändern können. Sie merken dann zum Beispiel, dass es nicht schlimm ist, wenn Mami jetzt mal nicht sofort angerannt kommt, sobald sie brüllen, dass auch Trennung nicht gefährlich ist. So was lernen die Kinder sehr, sehr schnell und nehmen es auch sehr schnell an.
In unserem Film gibt es eigentlich nur Szenen, die auch immer genau das zeigen: Man sieht, wie der Stress aufgebaut wird, aber man sieht auch immer, wie die Kinder in die Entspannung und in die Handlung kommen. Handlung heißt in dem Fall dann spielen oder dass sie entspannt sind. Wenn man sich den Film mit offenen Augen anguckt, dann sieht man das in jeder einzelnen Szene, wie diese Stresskurve durchlaufen wird.
Kassel: Der Film zeigt nicht die komplette Therapie, der Film zeigt nicht das ganze Angebot, das es gibt an dieser Klinik für Eltern und Kinder. Das haben Sie bewusst gemacht, das haben Sie mir auch in dem ursprünglichen Interview zu dem Film schon erzählt vor drei Wochen. Aber ist das vielleicht ein Fehler, weil jetzt der Eindruck entsteht, gerade diese kalt wirkenden, auch manche brutal wirkenden Szenen sind drin und die anderen nicht?
Adolph: Das ist ja eine Therapie, die, sagen wir mal, im Schnelldurchlauf drei Wochen dauern würde, und jetzt frag ich mich, wie soll ein Film so etwas darstellen. Die Komplexität dieser Therapie können wir nur andeuten. Der Vorwurf kommt mir jetzt ein bisschen so vor, als würde man sagen, oh, Sie haben diesen Roman verfilmt, aber haben die Seiten 500 bis 800 vergessen.
Ein Film kann das gar nicht leisten, die Komplexität dieser Therapie darzustellen, er kann sie nur anreißen und schlaglichtartig beleuchten. Wir versuchen natürlich, der Arbeit der Klinik mit unserem Film gerecht zu werden, aber wir können nicht alles erklären, wofür die Klinik selbst drei Wochen braucht.

TV-Ausstrahlung mit Debatte

Kassel: Es gibt auch den Versuch, per Onlinepetition dafür zu sorgen, dass der Film nicht mehr aufgeführt wird. Der Film ist eine Koproduktion unter anderem mit dem Südwestrundfunk, und grundsätzlich ist natürlich eine Fernsehausstrahlung geplant, Termin gibt es noch nicht, so viel ich weiß. Normalerweise, das deutsche Fernsehen macht da ja immer Folgendes: Der Film wird dann zwar gezeigt, wenn irgendwas umstritten ist, aber er wird eingebettet. Dann gibt es vielleicht noch eine kleine andere Doku und danach eine Diskussionsrunde mit Fachleuten. Würden Sie das begrüßen oder würden Sie sagen, dann geht ja eigentlich die Idee unseres Films, dass er komplett ohne Kommentare auskommt, kaputt?
Adolph: Nein, das würde ich auf jeden Fall begrüßen, das halte ich für eine gute Möglichkeit, dass über den Film auch weiterführend gesprochen wird, weil letztlich macht man ja Filme, damit darüber geredet wird.
Kassel: Jörg Adolph. Gemeinsam mit Ralf Bücheler, Regisseur des Films "Elternschule", der massiv in die Kritik geraten ist, wobei im Grunde genommen vor allen Dingen die Methoden, die da gezeigt werden, in die Kritik geraten sind. Deshalb haben wir mit ihm noch mal geredet, und wie gesagt, das ursprüngliche Gespräch zum Film können Sie im Internet auch jederzeit nachhören. Herr Adolph, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit heute Morgen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir haben schon einmal vor dem Kinostart mit dem Regisseur Jörg Adolph gesprochen. Das Interview hören Sie hier:
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