Erziehung

Die Kunst, als Eltern die richtigen Grenzen zu setzen

Ein Mädchen läuft seinem Vater entgegen.
"Liebe heißt nicht Regellosigkeit", meint Ralf Fücks, früherer Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. © Imago Stock & People
Ralf Fücks im Gespräch mit Anke Schaefer · 22.10.2018
Der Wandel zur gewaltfreien Erziehung von Kindern ist für Ralf Fücks eine der größten kulturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Seine eigenen Kinder hat er nie geschlagen, sagt er. "Trotzdem würde ich sagen, dass es nicht gewaltfrei war."
Heutzutage ist den allermeisten Eltern klar: Man schlägt seine Kinder nicht. Vor 40 Jahren war das offenbar noch nicht so. In ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erzählt die Preisträgerin Astrid Lindgren die Geschichte eines kleinen Jungen, der von seiner Mutter losgeschickt wird, um selbst einen Stock zu suchen, mit dem er geschlagen werden soll. Weil er keinen Stock findet, bringt er einen Stein mit und schlägt der Mutter vor, doch diesen zu benutzen. Darauf bricht die Mutter in Tränen aus und schwört sich, nie wieder Gewalt gegen ihr Kind auszuüben.

Einen Auszug aus der Rede Astrid Lindgrens können Sie hier nachhören: Audio Player

"Eine schöne und gleichzeitig schreckliche Geschichte", sagt Ralf Fücks, ehemaliger Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Vater zweier Töchter. "Wer je selbst geschlagen worden ist, kann das, glaube ich, nachempfinden."
Hat er es selbst erlebt? "Ja, ich kenne das", so der frühere Grünen-Politiker. "Das macht extrem Angst, und das geht an den Kern des Selbstbewusstseins. Wer systematisch geschlagen wird, der droht daran zu zerbrechen."
Ralf Fücks, früherer Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung.
Ralf Fücks, Zentrum für die liberale Moderne© imago/Metodi Popow
Dass Gewalt gegen Kinder inzwischen als etwas Illegitimes angesehen werde, halte er für eine der größten kulturellen Veränderungen, die es in unserer Gesellschaft gegeben habe. In seiner Volksschulzeit beispielsweise seien körperliche Züchtigungen noch an der Tagesordnung gewesen. "Und das ist schon eine grundlegende und sehr positive Veränderung."

Liebe ist nicht gleich Laisser-faire

Gewalt sei allerdings nicht nur eine Frage physischer Misshandlung. Das hat Fücks bei der Erziehung seiner Töchter erlebt. "Ich habe sie nie geschlagen, und trotzdem würde ich sagen, dass es nicht gewaltfrei war", sagt er. "Es gibt auch verbale Gewalt. Kinder anzuschreien in Situationen, in denen man selbst die Nerven verliert oder außer sich gerät."
Letztlich gehe es darum, Liebe statt Härte gegenüber seinen Kindern walten zu lassen, betont Fücks. Wobei Liebe nicht mit Laisser-faire gleichzusetzen sei: "Liebe heißt ja nicht Grenzenlosigkeit und Regellosigkeit. Ich sehe das jetzt auch bei meiner großen Tochter, sie hat zwei Jungs, ist mit einem britischen Mann verheiratet und der macht das auf eine sehr konsequente Weise. Der ist sehr liebevoll zu den Kindern und setzt eben doch gleichzeitig klare Grenzen." Das hinzubekommen sei allerdings eine Kunst.
(uko)

Die ganze Sendung "Der Tag mit Ralf Fücks" können Sie hier nachhören: Audio Player

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