Umberto Eco: "Auf den Schultern von Riesen"

Eine Vorliebe für das Verborgene

06:33 Minuten
Buchcover zu "Auf den Schultern von Riesen"
In "Auf den Schultern von Riesen" sind viele Vorträge von Umberto Eco gesammelt und auf Deutsch übersetzt. © Carl Hanser Verlag / Deutschlandradio
Von Michael Opitz · 12.07.2019
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Der Autor Umberto Eco ist vor drei Jahren gestorben. Seine Vorträge gibt es nun gesammelt in einem Band - ausgestattet mit viel Bildmaterial, das Eco selbst aussuchte. Die Themen des intellektuellen Weltstars sind weitgefächert.
Selbst Zwerge sehen weiter, wenn sie auf den Schultern von Riesen sitzen. Mit diesem markanten Bild umschreibt der italienische Romanautor, Kunsthistoriker und Semiotiker Umberto Eco (1932–2016) das Verhältnis zwischen Tradition und Moderne im ersten von insgesamt zwölf Vorträgen. Gehalten hat er sie zwischen 2001 und 2015 auf dem Mailänder Kulturfestival La Milanesiana.
Dabei vergleicht Eco den Kampf des Neuen gegen das Alte mit dem Aufbegehren der Söhne gegen ihre Väter, die rebellieren und Grenzen überschreiten müssen. Die Parallelen zu den Avantgarden in Literatur und Kunst sind für Eco naheliegend, allerdings plädiert er dafür, dass sich gerade diejenigen (Zwerge) der Tradition bewusst sein sollten, die meinen, sie würden weiter als Riesen sehen können.

Großes thematisches Spektrum

Das thematische Spektrum der einzelnen Vorträge ist weitgefächert. Bedenken, sich an die ganz großen Themen zu wagen, kennt Eco nicht und so finden sich denn Vorträge zum Schönen, zum Hässlichen – zu beiden Themen liegen eigenständige Bücher von Eco vor – und auch zum Heiligen.
Immer wieder bieten diese Themen Eco Gelegenheit, seine überaus beeindruckenden Kenntnisse in Philosophie, Kunst und Literatur zu präsentieren, wobei er oft ein Zitat an das nächste reiht. Manchmal kommen dann allerdings die eigenen interpretierenden Kommentare etwas zu kurz und gelegentlich unterlaufen ihm auch Zitatwiederholungen.

Wendet sich der Semiotiker allerdings den Zeichen in den verschiedensten Zusammenhängen zu, dann eröffnen sich, wie etwa in seinen Vorträgen über das Unsichtbare, zum Falschen oder über das Geheimnis, durchaus spannende Perspektiven.

Spiel zwischen realer und fiktiver Welt

Deutlich wird, dass der Autor des Erfolgsromans "Im Namen der Rose" eine ausgesprochene Vorliebe für das Verborgene hat. Besonders interessieren ihn die Dinge, die nicht ohne Weiteres sichtbar sind, sondern von einem Rätsel umgeben sind.
Im Vortrag über das Unsichtbare fällt auf, dass sich Eco nicht – was bei diesem Thema nahe liegen würde – etwa auf Geister und Gespenster einlässt, sondern er sich dafür interessiert, wie literarische Figuren, die unsichtbar sind, sichtbar werden. In diesem Zusammenhang verweist er auf Anna Karenina, eine Figur, die man aus verschiedenen Verfilmungen kennt.
Literarische Figuren führen, zu diesem Schluss kommt Eco, außerhalb ihrer Ursprungstexte ein Eigenleben. Des Weiteren beschäftigt ihn das Phänomen, dass wir als Leser falsche Behauptungen (Böhmen liegt am Meer) unwidersprochen hinnehmen. Wir sind es gewöhnt, so Eco, zwischen realer und fiktiver Welt zu unterscheiden und machen das Spiel des Autors mit, dem wir einiges, wenn auch nicht alles, durchgehen lassen.
Eco hat seine anspruchsvollen Vorträge, um sie anschaulicher zu gestalten, stets mit sehr viel Bildmaterial ausgestattet, das nun auch im Buch zu sehen ist. Deutlich wird so, worauf sich Autor bezieht, wenn er etwa im Vortrag über das Feuer vom Feuerdieb Prometheus spricht.
Eco ist einer der bedeutendsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts. Manchmal aber steht ihm bei der Anlage seiner Vorträge sein überaus reiches Wissen im Wege, wenn er etwa auf Nebenwege abbiegt und seine Leser dann das vermeintliche Ziel aus den Augen verlieren. Anregend sind seine Ausführungen allemal und einzeln zur Kenntnis genommen lohnt die Lektüre auf jeden Fall.

Umberto Eco: "Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis"
Aus dem Italienischen von Martina Kempter und Burkhart Kroeber.
Carl Hanser Verlag, München 2019
413 Seiten, 32 Euro

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