"Nullnummer" von Umberto Eco

Der moralische Niedergang Italiens als Klamauk

Silvio Berlusconi steigt am 9. Mai 2014 in ein Auto ein und zeigt eine grüßende Geste.
Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Mai 2014 © afp / Giuseppe Cacace
Von Maike Albath · 26.09.2015
Der neue Roman von Umberto Eco spielt im Medien-Business Italiens. Nur logisch, dass einer der Protagonisten in "Nullnummer" auf den Medienfürsten Silvio Berlusconi anspielt. Doch der Plot dieser Politsatire mit Krimi-Elementen konnte unsere Kritikerin nicht überzeugen.
Da ist er wieder, der Professor für Zeichentheorie, umtriebig, unermüdlich und immer überraschend. Wie ein Zauberer zieht Umberto Eco ein neues Kaninchen in Form eines Buches aus dem Hut. Nach lässig fabrizierten Mittelalter-Bestsellern, Romanen mit historischem Tiefgang, autobiographischen Erkundungen, semiotischen Theorien und philosophischen Studien schien jetzt wieder ein aktueller Stoff an der Reihe zu sein. Umberto Ecos Produktivität ist zweifellos ehrfurchtgebietend, genauso wie sein analytischer Scharfsinn und seine Gelehrsamkeit. Sein neuer Roman ist allerdings eher enttäuschend.

"Nullnummer" heißt er, und im Mittelpunkt steht ein Held namens Colonna, der wie eine glücklose Variante von Eco selber wirkt. Als abgebrochener Germanistikstudent hat der wackere Lohnschreiber trotz enormer Bildung nur wenig zustande gebracht: eine Handvoll Übersetzungen, ein paar Verlagsgutachten und Rezensionen, schließlich einige Krimis unter falschem Namen. Deshalb kommt ihm ein Angebot, das ihm ein Mailänder Chefredakteur im April 1992 macht, ganz gelegen.
Ein windiger Geschäftsmann plant eine neue Zeitung
Dieser Simei plant im Auftrag des Verlegers Vimercate, eines windigen Geschäftsmannes und Provinzmedienfürsten, eine neue Zeitung. Ein Jahr lang sollen Probeausgaben erscheinen, Nullnummern voller Enthüllungen, mit denen sich Vimercate (hinter dem sich niemand anders als Berlusconi verbirgt) Zugang zu den Kreisen der Entscheidungsträger verschaffen will – mit dem Hinweis auf mögliche Indiskretionen.
Akzeptiert man ihn, könnte er im Gegenzug das Zeitungsprojekt wieder fallen lassen. Colonna wird von dem schreibscheuen Simei als Ghostwriter engagiert und mit einem Buch beauftragt, in dem es aber gerade nicht um die erpresserische Geschäftspraxis des Verlegers gehen soll. Simei bestellt eine Heldensaga über sich selbst als unerschrockenen Blattmacher.
Der investigative Reporter kommt Komplotten auf die Spur

So weit, so mittelwitzig. Zu Beginn wirkt "Nullnummer", dessen Titel auf die Probephase der Zeitung anspielt, wie eine Mischung aus Mediensatire und Krimi. Colonna, der seine Geschicke schmissig zu schildern weiß, beklagt einen Einbruch und vermutet, jemand sei seinem brisanten Material auf der Spur. Dann rollt der Ich-Erzähler die Geschehnisse aus der Retrospektive auf, und die Sache mausert sich zum Agententhriller. Colonnas Kollege, der investigative Reporter Braggadocio kommt einer Fülle realer Komplotte auf die Spur.
Die Kapitel sind mit Daten versehen, und wer Italien kennt, weiß, dass im Frühjahr 1992 eine Zeitenwende anstand. Der Parteispendenskandal wurde nach und nach aufgedeckt, außerdem kamen die Verbindungen zwischen Geheimdienst, hochrangigen Politikern, der Geheimloge P2, der Mafia und der Bank des Vatikans ans Licht. Braggadocio vertraut Colonna seine Erkenntnisse an, die er mit einer haarsträubenden Verschwörungstheorie garniert: Mussolini sei 1945 gar nicht hingerichtet worden, sondern nach Argentinien geflohen.
Sympathische Haltung. aber kein analytischer Tiefgang
Für derartige Vermutungen muss er mit einem Messer im Rücken büßen, weshalb nun auch Colonna um sein Leben fürchtet. Schon bald ahnt er allerdings, dass Korruption, Mord und Prostitution längst Teil des politischen Gewerbes sind und nicht einmal mehr für einen Skandal sorgen.

Dass Umberto Eco die Verrohung seines Landes und den moralischen Niedergang hier in komischer Verzerrung beklagt, ist äußerst sympathisch. Überzeugen kann "Nullnummer"dennoch nicht. Halb Milieustudie, halb Agententhriller, halb Politsatire, aber ohne analytischen Tiefgang.

Umberto Eco: "Nullnummer"
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber
Carl Hanser Verlag, München 2015
230 Seiten, 21,90 Euro

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