Umarmungen nach dem Lockdown

Zurück zu Bussi-Bussi? Bitte nicht!

02:06 Minuten
Unter Bayern: Uli Hoeneß begrüßt Team-Managerin Kathleen Krüger mit den München-typischen Bussis.
Uli Hoeneß und Kathleen Krüger vom FC Bayern machen es vor: Bussi-Bussi....Das geht vielleicht bald wieder. Aber wollen wir das wirklich? (Symbolbild) © picture alliance / augenklick / firo Sportphoto / Sebastian El-Saqqa
Von Vladimir Balzer · 15.06.2021
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Die Infektionszahlen gehen zurück. Dürfen wir bald wieder alle herzen und küssen? Lieber nicht, meint Vladimir Balzer, den es beim Gedanken an die Rückkehr einer Bussi-Bussi-Gesellschaft gruselt. Und: Das Küsschen-Ritual ist sowieso nur geklaut!

Erstens

Es geht schon damit los, dass die Idee der Alltags-Umarmungen eine Geschichte von alltagskulturellem Diebstahl ist. So wie Cappuccino oder Croissant – alles geklaut. Wir Deutschen wollten mit den Umarmungen ein bisschen mediterranes Piazza-Feeling importieren und haben einfach gnadenlos bei den Italienern und Franzosen geklaut. Denn uns Deutschen, die wir zuweilen mittags noch ernsthaft "Mahlzeit!" nuscheln, wären Herzlichkeiten und Nähe nie von allein eingefallen. Und: Gestohlenes gibt man am besten immer zurück.

Zweitens

… waren Luft-Bussi-links-Luft-Bussi-rechts schon immer sozial sehr ungenau. Streuverluste würde man das im Marketing nennen. Im Laufe der letzten Jahre begannen wir inzwischen schon jeden zu umarmen, der nicht bei drei auf dem Baum war. Eine Art der Eingemeindung und Besitzergreifung, die sagen sollte: Du gehörst ein bisschen auch mir, du entkommst mir nicht. Darauf kann ich ebenso gerne verzichten.

Drittens

… gab es nie klare Codes in Deutschland, wie genau man sich denn nun umarmen soll. Mit beiden Händen an den Oberarmen des anderen haltend, seinen Kopf mal links, mal rechts am Kopf des Umarmten vorbei schieben und "Wie schön dich zu sehen!" flöten? Gab es da klare Abstufungen, die jeder gleich verstand? Bei welchen Gelegenheiten durfte man den anderen wirklich an sich drücken, sodass sich der Brustbereich berührte? War doch alles unklar! Anlass für sozialen Stress und Quelle für gefährliche Missverständnisse! Ganz zu schweigen von leichten Sommerkleidern der zu Umarmenden, was für mich eine automatische Umarmsperre nach sich zog und gleichzeitig unhöflich wirken konnte.

Viertens

… sind Nähe und Umarmungen natürlich wichtig und lebensnotwendig, aber doch bitte nur mit einer kleinen persönlichen Gefühlselite. Wahre Freunde, der Partner, die Kinder. So etwas. Bitte nicht Leute, deren Namen man sich kaum merken kann.

Fünftens

Und nicht zuletzt war und ist die Alltags-Umarmung ein soziales Distinktionsmerkmal. Es soll zeigen: Wir fremdeln nicht, wir sind nähefähig, körperlich selbstbewusst, wir gehören dazu. Wir können Kommunikationskompetenz simulieren.
So gesehen kann uns der Verzicht auf unverbindliche Alltagsumarmungen befreien. Ich will hier nicht zu viel versprechen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es uns dann besser gehen wird.
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