"Corona-Cave-Syndrome"

Ängste lassen sich nicht so schnell wieder ablegen

08:22 Minuten
Ein Kind kniet auf einer Fensterbank und schaut aus dem Fenster. (Symbolbild)
Doch nicht zum Spielen rausgehen? Es kann ein wenig dauern, bis wir unsere antrainierten Ängste überwinden. (Symbolbild) © imago / fStop Images / Isabella Stahl
Claas-Hinrich Lammers im Gespräch mit Nicole Dittmer · 09.06.2021
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In den Biergarten oder Shoppen: Manche Menschen haben Probleme, sich an die neuen Freiheiten zu gewöhnen. Dieses "Cave-Syndrome" sei nicht ungewöhnlich, meint Psychiater Claas-Hinrich Lammers, denn uns seien die Ängste antrainiert worden.
Das Wetter ist schön, die Corona-Inzidenz sinkt, die Impfquote steigt und immer mehr Coronamaßnahmen werden gestrichen: In vielen Bereichen unseres Lebens kehrt ein Stück Alltag zurück. Bei manchen Menschen führt das aber nicht zu Erleichterung. Im Gegenteil. Sie haben weiterhin Angst vor dem Miteinander. Die Angst, wieder in das frühere Leben vor der Coronapandemie zurückzukehren, bezeichnet man als "Cave-Syndrome".

Antrainierte Angst

"Das klingt so wie eine Erkrankung, das ist aber erst einmal eine vollkommen normale Erscheinung", sagt der Psychiater und Psychotherapeut Claas-Hinrich Lammers. Schließlich sei uns diese Angst vor der Nähe anderer Menschen – vor dem Händeschütteln oder Umarmungen – quasi antrainiert worden. "Wir haben eineinhalb Jahre mit dieser Angst gelebt, mit der Vorsicht gelebt, das kann man nicht sofort ablegen."
Sorgen müssen wir uns deswegen aber meist nicht machen, so Lammers. Bei den meisten Menschen würden diese antrainierten Ängste mit der Zeit wieder weichen – bei mutigen Persönlichkeiten schneller. "Die Menschen, die ängstlicher sind, brauchen länger." Zudem sei die Pandemie auch noch nicht vorbei, Vorsicht also weiterhin angebracht.

Logik und Vernunft helfen nicht immer weiter

Dass wir nicht einfach so, durch Vernunft und Logik, einen Schalter umlegen und zum Alltag zurückkehren können, sei ebenfalls normal. "Ängste können bis zu einem gewissen Grad irrational sein", betont Lammers. Beispielsweise fürchteten sich die meisten Menschen sehr viel mehr vor einer Flugreise als vor einer Autofahrt, obgleich die Fahrt im Pkw sehr viel gefährlicher sei.
Insofern könne man seinen Ängsten nicht immer mit Logik begegnen. Stattdessen müsse man sie sich abtrainieren. Dafür sollten sich Betroffene in die vermeintlich gefahrvolle Situation begeben.
(lkn)
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