Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik 2021

Neue Musik - kaum gedruckt schon aufgenommen

Notenblätter liegen auf einem Pultpult eines Flügels vor dem schemenhaft Personen sitzen.
Frisch gedruckt und gleich aufgenommen beim Festival Ultraschall Berlin. © Deutschlandradio / Simon Detel
Moderation: Volker Michael · 26.01.2021
Frisch eingespielt, exklusiv für das Radiofestival: die Beiträge des SWR-Experimentalstudios, des Notos Quartetts und des Bratschers Nils Mönkemeyer zum Festival für Neue Musik Ultraschall Berlin 2021.
Ultraschall Berlin hat auch dieses Jahr stattgefunden, allerdings nur als Radiofestival mit Studiokonzerten und Aufnahmen, die extra für das Festival entstanden sind. In dieser Sendung erleben Sie das Notos Quartett und das Ensemble Experimental mit dem SWR Experimentalstudio. Den Anfang macht der Bratscher Nils Mönkemeyer.
Der Bratscher steht mit seinem Instrument in einem historischen Hauseinang mit aufwendig gearbeiteten Türen. 
Nils Mönkemeyer wollte eigentlich Geiger werden, doch durch Zufall entdeckte er seine Leidenschaft für die Viola.© Nils Mönkemeyer / Irene Zandel
Er hat ein neues Werk der Münchner Komponistin Konstantía Gourzí kombiniert mit einem Gesang der Hildegard von Bingen. Beiden Stücken ist eigen, dass sie die Bratsche über einem von ihr selbst eingespielten ostinaten Quintakkord spielen lassen. Zwischen ihnen liegen rund neunhundert Jahre musikalischer Entwicklung.
Nähere Informationen zu den Werken und Interpreten erhalten Sie hier auf der Festivalseite:
Ein weiterer quasi-Spielort war das Experimentalstudio des SWR in Freiburg im Breisgau. Von dort kamen insgesamt vier neue und neuere Stücke ins Festivalprogramm. Ein Werk des Studioleiters Detlef Heusinger zu Beginn - "Ver-Blendung für Bassflöte, Akkordeon und Live-Elektronik". Vorlage und Inspiration war ein Gemälde Gerhard Richters mit dem Titel "Seestück (bewölkt)".
Darin sieht man, wie ein tiefhängender Wolkenhimmel und der grau-zerwühlte Meereshorizont ineinander-fließen. Diese Art Verblendung möchte Detlef Heusinger parallel mit den Klängen der Bassflöte und des Akkordeons erreichen.
Acht junge Musiker und Musikerinnen stehen um und hinter einem Flügel, vor dem ein Mann lässig in die Kamera blickend sitzt.
Das Ensemble Experimental versteht sich als Solistenensemble für Musik mit Live-Elektronik.© Ensemble Experimental / Anja Limbrunner
Mittels der Elektronik verwischt der Komponist auch die traditionelle Zuschreibung der Flöte als Melodieinstrument und des Akkordeons mit einer Funktion, die schon der Name sagt: Akkordlieferant oder Begleiter.

Rollenwechsel dank Elektronik

Der Komponist des zweiten Stücks ist sportbegeistert und spielt selbst Tennis: der slowenische Künstler Vito Žuraj. Er ist ein häufiger Gast bei Ultraschall Berlin. Aus dem Tennis stammt auch der Titel "Round-Robin".
Ein Rundtournier, bei dem jeder gegen jeden antreten muss. Mitspieler gibt es in diesem Fall aber nur zwei, ein Akkordeon und Live-Elektronik.

Faltung im Raum

Ebenfalls eingespielt haben das Ensemble Experimental und das SWR Experimentalstudio ein Stück des in Berlin lebenden Mark Andre. Der religiös empfindende Künstler gibt seinen Werken oft rätselhafte wie einfache Titel – in diesem Fall "…hoc…", lateinisch für "hier".
Ein Mann mit kurzem, dunklen Haar schaut mit leicht geneigtem Kopf freundlich in die Kamera in einem Park.
Der 1964 in Paris geborene Komponist Mark Andre lebt seit vielen Jahren in Deutschland.© Mark Andre / Manu Theobald
Mark Andre wollte mit seinem 15 Jahre alten Werk die Grenzen von analogen Cello-Tönen und elektronischen Klängen in kleinsten Bestandteilen ausleuchten. Dazu arbeitet er mit der elektronischen Technik der Faltung – Klangimpulse des akustischen Instruments Cello werden mit elektronischen Mitteln in den Raum hinein verlängert, erweitert und so auch modifiziert.
Sie sind keine synthetischen, aber auch keine natürlichen Klänge, sondern gewissermaßen Zwitterwesen. Diese Faltung repräsentiert "klanglich, räumlich, morphologisch eine Art (Zwischen)Stand und Raumwechsel. "

Alles hat seine Zeit

Die slowenische Komponistin Petra Strahovnik schrieb fürs Lutherjahr 2017 ihr Werk "Appulse" für Klavier und Elektronik. Sie wählte als Ausgangspunkt das berühmte Bibelzitat aus dem Prediger Salomo: "Ein Jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde."
Doch mit religiösen Aspekten hat sich Petra Strahovnik nicht befasst, sondern das Phänomen Zeit mittels der Mathematik auf ihre Musik übertragen. Musik ist eine Zeitkunst sondergleichen, die nur erklingt, wenn Zeit vergeht. Zeit ist aus menschlicher Perspektive heraus stark endlich, aus mathematischer Sicht nicht. Dafür steht die Kreiszahl Pi.
Ein mit Neonlicht beleuchteter Betontunnel zeigt an einer Wand eine extrem lange Zahlenreihe.
An "Pi" kann man in der Wiener U-Bahn vorbeilaufen: Der Künstler Ken Lum hat die Zahl für sein Projekt verwendet.© IMAGO / imagebroker
Darüber formulierte die Komponistin: "Das Faszinierende an der Zahl π ist, dass es keine Wiederholungen in der Ziffernfolge gibt." Der Titel wiederum – Appulse – bezeichnet in der Astronomie das Phänomen, dass zwei Himmelskörper eng beieinanderstehen, von der Erde aus betrachtet. In Wirklichkeit sind sie natürlich weit voneinander entfernt. Jede Menge Phänomene also in diesem Werk für Klavier und Elektronik.

Heavy Metal und Indie-Rock für Klavierquartett

Beim US-Amerikaner Bryce Dessner und beim Österreicher Bernhard Gander hat das Notos Quartett neue Werke in Auftrag gegeben. In beiden Werken kommen Stilrichtungen des Pop in Spiel, die nicht so selbstverständlich zum Kanon der Neuen Musik gehören: Indie-Rock- und Heavy-Metall.
Der Titel des Werks von Bernhard Gander "Schwarze Perlen" hat erst einmal nichts mit Heavy Metal zu tun. Er bezieht sich nämlich auf die Mythologie Ozeaniens. Schwarze Perlen gelten da als Geschenk der Götter und Teil einer Schöpfungser-zählung. Sein Werk, so Bernhard Gander wörtlich, "überträgt diese mythische Gabe und lässt die virtuos perlenden Musiker des Notos Quartetts in einem dunklen, schimmernden Glanz erscheinen." Die musikalischen Ereignisse sind auf jeden Fall wie auf einer unendlich langen und dichten Perlenschnur aufgereiht.
Die Mitglieder des Klavierquartetts sind von einer Galerie aus fotografiert worden, während sie in einem Saal mit Holzparkett musizieren.
Das Notos Quartett fand sich 2007 zusammen.© Deutschlandradio /Simon Detel
Unser vierter Ultraschall-Abend endet mit einem weiteren Auftragswerk. Diesmal erging die Einladung des Notos Quartetts an den US-amerikanischen Rockgitarristen und Komponisten Bryce Dessner.
Er hat für Sindri Lederer, Andrea Burger, Philip Graham und Antonia Köster ein Werk geschrieben, das ein breites stilistisches Bouquet aufmacht und den Interpretinnen und Intrepreten dankbare Aufgaben stellt.
Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik mit exklusiven Studioproduktionen

Studioproduktion von rbbKultur für Ultraschall Berlin
Hildegard von Bingen
"O Ecclesia" (Fassung für Viola und Ostinato)
attacca
Konstantia Gourzi
"messages between the trees" für Viola und Ostinato op. 84 (2020) Uraufführung

Nils Mönkemeyer, Viola


Detlef Heusinger
"Ver-Blendung" für Flöte, Akkordeon und Elektronik (2016)
Vito Žuraj
"Round-robin" für Akkordeon und Elektronik (2014)
Mark Andre
"…hoc…" für Violoncello und Elektronik (2006)
Petra Strahovnik
"Appulse" für Klavier und Elektronik (2017)

Ensemble Experimental
SWR Experimentalstudio

Studioproduktion des Ensemble Experimental für Ultraschall Berlin

Bernhard Gander
"Schwarze Perlen" für Klavierquartett (2020) Uraufführung
Bryce Dessner
"Spirals" für Klavierquartett (2020) Uraufführung

Notos Quartett:
Sindri Lederer, Violine
Andrea Burger, Viola
Philip Graham, Violoncello
Antonia Köster, Klavier

Studioproduktion von rbbKultur für Ultraschall Berlin
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