Ulla Hahn über "Tage in Vitopia"

Eine leichte Utopie

12:19 Minuten
Ulla Hahn blickt lächelnd in ein Bücherregal
Auf die Idee mit dem Eichhörnchen kam Ulla Hahn, als sie ein Eichhörnchen in ihrem Bücherregal gefunden hat. © Julia Braun
Ulla Hahn im Gespräch mit Joachim Scholl · 29.08.2022
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Für ihren neuen Roman versetzt sich Ulla Hahn in ein Eichhörnchen, das die Menschen für ihren Umgang mit der Natur kritisiert. Das Eichhörnchen Wendelin habe es ihr ermöglicht, "mal so richtig vom Leder zu ziehen", sagt Hahn.
Die Idee, ein Eichhörnchen zum Protagonisten zu machen, kam Ulla Hahn letzten Winter, als eins dieser Nagetiere auf ihrem Balkon auftauchte. Über die Zeit wurde es immer zutraulicher, sprang irgendwann durch das offene Fenster und saß dann in den Bücherregalen der Schriftstellerin.
In "Tage in Vitopia" kann das Eichhörnchen Wendelin dank eines Translators mit Menschen sprechen. Es ist sehr fasziniert von Menschen, mag Musik von Schubert und liest sehr gerne. Gleichzeitig hat es kein Verständnis dafür, was Menschen mit der Erde gemacht haben. Die Perspektive des Eichhörnchens hat Hahn viele Freiheiten ermöglicht:
"Der Wendelin hat diesen verfremdenden Blick, der mir erlaubt, mal so richtig vom Leder zu ziehen, ohne immer diese Schwere dabei zu haben. Ich kann mich auch über die Menschen lustig machen."

Naturwissenschaft und poetisch-religiöses Wissen

Das "Vitopia" aus dem Romantitel ist dabei eine Anspielung auf "Utopia". Doch im Gegensatz zur Utopie sei die Vitopia kein imaginärer Ort, sondern unsere tägliche Aufgabe, das Leben zu schützen. Doch so ernst und bedrohlich, wie dieses Konzept klingt, ist das Buch dabei nicht. Das war Hahn beim Schreiben sehr wichtig:
"Ich wollte aber das mit einer Leichtigkeit versehen, damit wir eben keinen Grund haben, zu verzweifeln. Sondern im Gegenteil: Dass wir froh sein dürfen, dass wir jetzt und hier auf der Erde leben, solange sie noch so wunderwunderschön ist. Man muss keine Kreuzfahrt machen, um zu wissen, wie wunderbar ein Meer rauscht oder auch nur ein Bächlein plätschert."

Ulla Hahn: "Tage in Vitopia"
Penguin, München
256 Seiten, 24 Euro

"Tage in Vitopia" ist außerdem ein Versuch, die Kluft zwischen naturwissenschaftlichem und poetisch-religiösem Wissen zu schließen. Um dieses Ziel zu erreichen, versammelt die Autorin die größten Geister aus beiden Welten in dem Roman.
Hahn ist dabei klar, dass die Botschaft einigen Menschen an manchen Stellen zu viel sein könnte. Deshalb sagt das Eichhörnchen Wendelin auch, dass man ruhig ein paar Seiten überspringen kann. Auch die Schriftstellerin selbst hat schon viele Bücher auf diese Art gelesen, zum Beispiel Thomas Manns "Zauberberg."
(hte)
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