Naturzerstörung

Das Problem mit der menschlichen Allmacht

Schwarzweiß-Druck von Adam und Eva
Die biblische Tradition symbolisiert unseren Abstand von der Natur durch die Erzählung vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies. © imago images / Olaf Krüger
Gedanken von Gesine Palmer |
Wir Menschen sind Teil der Natur. Wir brauchen sie fürs Überleben und zerstören sie doch. Die Religionsphilosophin Gesine Palmer sucht in den Weltreligionen nach Erklärungen - und nach Ansätzen, wie sich unser desaströses Verhalten durchbrechen lässt.
Dass Menschen im Vergleich zu anderen Arten sozusagen „unterdeterminiert“ sind, ist ihnen früh aufgefallen. Sie haben mehr Entscheidungsspielraum als andere Tiere – und sie fanden das, wenn man alte Mythen unter diesem Aspekt liest, nicht wirklich gut. Denn Menschen treffen oft dumme Entscheidungen und bringen sich und andere in gewaltige Schwierigkeiten.
Da kann man schon mal am guten Sinn unserer durch Instinkte erstaunlich wenig beschränkten Lernfähigkeit verzweifeln.
Überall versuchte man entsprechend, Ersatzbeschränkungen aufzubauen. Die indische Karmalehre etwa erzählt von der Wiedergeburt und versucht so, den menschlichen Gerechtigkeitssinn in der Natur zu verankern.

Gesetz Gottes als Leitfaden in der Bibel

Die biblische Tradition symbolisiert unseren Abstand von der Natur durch die Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies - und lässt uns zunächst mit der Behauptung allein, dass wir uns die fatale Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, selbst zuzuschreiben haben. Nach einigen Ereignissen kommt dann aber Gott und sagt seinen Menschen in einem Gesetz, was sie tun sollen.
Viele jüdische und christliche Gelehrte haben sich den Kopf zerbrochen über die seltsame Antwort der Israeliten auf die Gabe des Gesetzes. Sie lautet nämlich: „Naasseh ve nischmah“ (Ex 24/7) - “Wir wollen es tun und hören“. Es ist anstößig formuliert, denn müsste man sich nicht erst anhören, was man tun soll, und dann entscheiden, ob man es tut?

Aufklärung feiert Entscheidungsfreiheit

So fragen wir Modernen. Spätestens mit der Epoche der Aufklärung hat man ja in Europa angefangen, die menschliche Entscheidungsfreiheit auch zu feiern. Nach Johann Gottfried von Herders berühmtem Ausspruch ist der Mensch der „erste Freigelassene der Schöpfung; er steht aufrecht. Die Waage des Guten und Bösen, des Falschen und Wahren hängt in ihm; er kann forschen, er soll wählen.“
Demnach soll der Mensch erstmal klar sehen, dann einen Plan machen, den dann bitte umsetzen. Mit der Feier der menschlichen Fähigkeit zur Naturerkenntnis und zur Gestaltung seiner Lebenswelt nach seinen Bedürfnissen verbanden sich große Hoffnungen auf technischen, aber auch auf sozialen Fortschritt.

Menschliche Fähigkeit der Veränderbarkeit

Freilich, der mit Begeisterung frei forschende westliche Mensch hat sich in einem Ausmaß „die Erde untertan“ gemacht, dass wir heute nur noch entsetzt sagen können, es muss ganz schnell alles ganz anders werden, wenn die menschliche Welt nicht schon zu Lebzeiten unserer Kinder durch kollektive eigene Schuld untergehen soll.
Bevor wir nun aber nach einer „Ökodiktatur“ rufen und gegen die Freude an der Freiheit polemisieren, lohnt es sich, sich ein bisschen mit der menschlichen Verfasstheit aufzuhalten. Weder Gewalt noch Tugendappelle haben es jemals vermocht, Menschen komplett füreinander oder für sich selbst kontrollierbar zu machen. Etwas in ihnen bleibt immer für sie selbst und für andere unberechenbar. Wir tun gut daran, auf eben dieses Element des Nichtfestgelegten unsere Hoffnungen zu setzen.
Was, wenn nicht letztlich die Fähigkeit der Menschen, ihre Ansicht zu ändern, was, wenn nicht ihre Freiheit, sich noch einmal umzuentscheiden, soll denn in sturen Anhängern des Schneller, Weiter, Höher etwas ändern?

Rücksichtnahme der Einsichtigen

Und, andersherum gefragt: Kann es denn das eine großartige neue Naturschutzgesetz geben, das allen einleuchtet, weltweit eingeführt wird und dann machen wir plötzlich alle alles richtig? Alle bisherigen Erfahrungen mit den großen Plänen und zwanghaften Umerziehungen sprechen dagegen.
Das Wissen um die Überlastung der Natur durch die entfesselte moderne Bewirtschaftung ist allgemein zugänglich und bekannt. Es bedarf keiner dogmatischen Verkündung. Und vielleicht ist eher ein modernes, ein kleinteiliges „Naasseh ve nischma“ die richtige Antwort?
Dann nehmen die Einsichtigen, die, die eine Zukunft für ihre Kinder wollen, einfach erst einmal in allen unseren je eigenen privaten und politischen Entscheidungen Rücksicht auf die Begrenztheit ihrer Ressourcen – und unserer Allmacht. Haben wir diese Entscheidung einmal getroffen, in einem Akt der freien Selbstbindung, werden wir, je auf eigene Weise, unverfügbar, aber unverdrossen, imstande sein, ihr immer wieder abzulauschen, was als nächstes geboten ist.

Gesine Palmer, geboren 1960, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. 2007 gründete sie in Berlin das „Büro für besondere Texte“ und arbeitet seither als Autorin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihre Themen sind Religion, Psychologie und Ethik.

Porträtaufnahme der Religionsphilosophin Gesine Palmer
© Gaëlle de Radiguès
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