Ukrainische Filmemacher in Deutschland

Der Krieg bleibt am Set allgegenwärtig

05:53 Minuten
Daria Onyshchenko am Mikrofon mit Ukraine-Flagge um die Schultern.
Regisseurin und Drehbuchautorin Daria Onyshchenko lebt schon seit Jahren in Deutschland. © IMAGO / aal.photo / Michael Lucan
Von Christian Berndt  · 16.07.2022
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Ukrainische Filmemacher bekommen die Möglichkeit, in Deutschland zu drehen. Die Fachleute sind in der Regel gut ausgebildet. Manche erzählen direkt von den belastenden Erfahrungen des Krieges - und wollen so schnell wie möglich wieder zurück.
Zwei junge Menschen treiben durch Kiew. Marina Stepanskas Filmdrama „Falling“ von 2017 erzählt von einer jungen Generation zwischen den Welten. Der Film ist auf der Plattform „Filmmakers for Ukraine“ zu sehen, die mit dem Online-Verleih ukrainischer Filme Spenden sammelt.
Die ukrainische Filmproduktion steht kriegsbedingt im Moment so gut wie still. Ein Teil der ukrainischen Filmschaffenden dokumentiert mit der Kamera in der Hand den Krieg, andere suchen vorübergehend woanders Arbeit, unter anderem in Deutschland. Für sie hat die Filmproduktionsgesellschaft ARD Degeto ein Programm initiiert:
"Wir sagen 'train to work', wir haben versucht, das Wort Praktikum zu vermeiden", sagt Degeto-Herstellungsleiterin Kirsten Frehse. Es gehe darum, Netzwerke zu schaffen und die Filmbranche kennenzulernen. "Menschen, die in das Programm gehen, ersetzen keinen deutschen Filmschaffenden an irgendeiner Stelle, sondern sie laufen mit. Damit sie in einem zweiten Turnus gegebenenfalls den Job dann auch selber machen können, dann auch unter ganz regulären Bedingungen wie zum Beispiel tarifvertraglichen Einigungen und ähnlichem."

International ausgerichtete Fachleute

Die Ukrainer sind in der Regel sehr gut ausgebildet, sagt Frehse. Das Programm soll ihnen vor allem Einblick in deutsche Arbeitsabläufe ermöglichen. „Wir wissen aus vielen osteuropäischen Ländern wissen, dass sie sehr international ausgerichtet sind und das amerikanische Drehsystem in der Regel sehr gut kennen", sagt sie. "Wir sind in Deutschland sehr auf Effizienz getrimmt. Wir haben im Vergleich zu amerikanischen Drehstäben zum Beispiel deutlich kleinere Stäbe. Wir haben in der Regel auch weniger Drehzeit als amerikanische Serien, auch weniger Budget." Deshalb sei es eine Kernaufgabe, dieses "Kleinerdenken" zu vermitteln.
Die Degeto vermittelt ukrainische Filmschaffende an von ihr beauftragte Produktionen. 50 Ukrainer haben sich bisher über die vom Filmnetzwerk "Crew United" initiierte Kontakt-Plattform gemeldet. Direkt beim Dreh einsteigen, können Ukrainer dagegen bei der Filmreihe „Himmel und Erde“, die gerade für die ZDF-Mediathek und ZDFneo gedreht wird.

Wie eine ukrainische Produktion

In Berlin-Tempelhof dreht das fast komplett ukrainische Team gerade eine Folge der fünfteiligen Reihe. „Das ist eine Kinderfolge über eine Oma und ihre Enkelin, die als Flüchtlinge hierhergekommen und beim Sozialamt mit der deutschen Bürokratie kämpfen müssen", sagt Daria Onyshchenko zum Drehpensum. "Es ist ein bisschen eine lustige Geschichte.“
Alle Geschichten werden geschrieben und gedreht von Ukrainerinnen, die gerade geflohen sind oder, wie Onyshchenko, schon länger in Deutschland leben: „Dadurch, dass wir alle Gewerke hier konsequent mit Ukrainerinnen besetzt haben, fühlt es sich doch sehr wie eine ukrainische Produktion an", sagt Lasse Schapen.

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Produziert werden die Folgen von Studio Zentral, dem Initiator des Projekts. Die Filmproduktionsgesellschaft verfolgt generell einen gesellschaftspolitischen Anspruch, sagt Schapen. „Wir sind hier spezialisiert auf kurze, zeitliche Abläufe - das hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren bei uns so herausgebildet, auch durch Corona. Das heißt, wir sind in der Lage, in wenigen Wochen eine kleine Serie zu entwickeln und zu realisieren.“

Aufarbeitung von Traumata

Für den Dreh habe Studio Zentral professionelle Beratung engagiert. Denn die Drehsituation könnte für Menschen mit Kriegserlebnissen traumatisch wirken: „Die erzählen ihre eigenen Geschichten, ihre eigenen Erlebnisse von vor wenigen Wochen jetzt direkt nochmal nach. Das muss wahnsinnig belastend sein“, so Schapen.
Ein ukrainischer Kameramann zum Beispiel war erst vor Kurzem noch an der Front und durfte per Sondergenehmigung für die Dauer des Drehs nach Deutschland. So ist der Krieg am Set allgegenwärtig:
„Jeder von uns kennt jemanden, der jemanden verloren hat, oder hat selbst schon schon Freunde verloren an der Frontlinie. Oder es gibt sehr, sehr viele Menschen, die verletzt sind oder die Häuser verloren haben", sagt Onyshchenko. "Ich glaube, das ist das Schwierigste: Diese Nachrichten immer zu lesen und nicht zu wissen, was morgen noch Schlimmeres passieren wird.“

Hang zur Improvisation und Emotionalität

Trotzdem wollten fast alle so schnell wie möglich wieder zurück, sagt Onyshchenko. Auch sie plant, ab September in Kiew ein Biopic über den ukrainischen Maler Kasimir Malewitsch zu drehen. So belastend die Situation für die Ukrainer sei, die Arbeit hier helfe, meint die Filmemacherin.
Aber genauso wichtig ist ihr ein anderer Aspekt des Projekts: „Arbeit zu schaffen, ist ein sehr guter Zweck an diesem Projekt. Aber die Geschichten zu erzählen, über die Ukrainer in Deutschland während des Krieges, das bringt auch der europäischen Gesellschaft unsere Sorgen und Probleme näher. Ich glaube, das ist tatsächlich sehr wichtig bei diesem Projekt.“
Die Dreharbeiten laufen jedenfalls gut, auch wenn sich ukrainische und deutsche Arbeitsweisen unterscheiden: „Wir sind nicht so gewöhnt, könnte man sagen, uns an alle Regeln zu halten, eins zu eins alles zu machen, wie es im Protokoll steht", sagt Onyshchenko. "Wir sind gewöhnt, mehr zu improvisieren, und wir sind vielleicht chaotischer. Aber dadurch sind unsere Filmarbeiten immer sehr emotional. Die Leute sind sehr kreativ. Wir sind auch sehr - wie sagt man? Stressresistent.“
Das glaubt man sofort, so entspannt, wie man hier während der Dreharbeiten herumlaufen und dem Team Fragen stellen kann. Das Resultat des Projekts kann man im Oktober in der ZDF-Mediathek und auf ZDFneo begutachten.
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