Russische und ukrainische Filme

Wie der Krieg den Blick verändert

05:58 Minuten
Schwarzweißaufnahme von einem jungen Mann und einer jungen Frau, die im Gebüsch sitzen
Erzählt vom Leben in einem russischen Dorf nahe der ukrainischen Grenze: "Krai" von Aleksey Lapin. © sixpackfilm / Diagonale / Aleksey Lapin
Von Christian Berndt · 16.04.2022
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Nicht alle Festivals boykottieren Filme, die mit Russland zu tun haben. Beim Filmfestival Diagonale in Graz zeigt sich: Die vor dem Krieg entstandenen Filme aus Russland und der Ukraine erscheinen jetzt in neuem Licht.
Aleksey Lapins in Schwarz-Weiß gedrehter, ebenso schöner wie lakonischer Dokumentarfilm „Krai“ zeigt das Leben in dem russischen Dorf Jutanovka. Die Jungen diskutieren zwar über Revolution, sind zugleich aber in einer Art melancholischem Stillstand gefangen. Zu sehen war der Film vor kurzem auf der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films in Graz.
Einen Film, der in Russland spielt oder von einem Russen gedreht wurde, aus dem Programm zu nehmen – wie andernorts geschehen – wäre Co-Intendant Peter Schernhuber nicht in den Sinn gekommen.

Ich halte es wirklich für eine wahnsinnig falsche Entscheidung, dass Filme von Filmschaffenden ausgeladen werden, die sich der Opposition nahe fühlen und in Russland mittlerweile persona non grata sind. Dass diese nun in Europa geächtet werden, halte ich tatsächlich für eine falsche Entscheidung.

Peter Schernhuber, Co-Intendant der Diagonale

Die Filme sollen für sich selbst sprechen, meint Schernhuber. Aber natürlich sieht man einen Film wie „Krai“ nach Kriegsausbruch anders – das geht auch dem Regisseur des Films so: "Ich sehe das jetzt nostalgischer, so in der Art: Damals war es so."

Die Sorge, ausgeladen zu werden

Lapin kennt sich aus in Jutanovka, er war dort seit Kindheit oft bei seinen Verwandten zu Besuch. Geboren ist Lapin zwar in Russland, aber er ist in der Ukraine aufgewachsen, hat in Rom Abitur gemacht, ist italienischer Staatsbürger und lebt in Wien.
Trotzdem erwartet auch er, dass sein Film in Zukunft nicht mehr auf Festivals eingeladen wird:
"Ich habe vor zwei Tagen von einem Kollegen, einem Moldawen, gehört. Er hat einen Film über Russland gemacht. Natürlich kritisch, das kann man so sagen. Aber sein Agent hat gesagt, er kann den Film mindestens für ein Jahr in die Schublade stecken. Kein Programmer wird den Film progammieren."

Teenager ziehen in den Krieg

Am Tag des russischen Angriffs war Lapin in Jutanovka, das nahe der ukrainischen Grenze liegt. Frühmorgens hat ihn sein Cousin geweckt: "Er kam in mein Zimmer gelaufen und schrie ‚Krieg! Krieg!‘ Wir haben auf der anderen Seite der Grenze Explosionen gehört."

Krieg in der Ukraine - über die aktuellen Entwicklungen informieren wir Sie in unserem Newsblog.

Lapin hatte bis zuletzt nicht mit dem Angriff gerechnet, besonders nicht nach seiner Zugfahrt Richtung Jutanovka kurz vor Kriegsbeginn:
"Ich bin mit Soldaten gefahren. Die waren tatsächlich sehr, sehr jung, vielleicht 18, 19 Jahre, wirklich Teenager. Ich habe damals gedacht: 'Okay, das ist nur eine Militärübung. Das kann nicht sein, dass sie in den Krieg geschickt werden.'"

Die russische Propaganda wirkt

Anfangs war der Schock groß in Jutanovka. Aber auch dort, meint Lapin, wirkt die Staatspropaganda, obwohl das Dorf nahe der Ukraine liegt und es enge Kontakte zum Nachbarland gibt – bis heute:
"Es gibt tausende Geschichten, in denen Ukrainer ihre russischen Familien anrufen und nicht kommunizieren können. Die eine Seite sagt: 'Nein, das sind nicht die russischen Soldaten, die euch bombardieren, das sind die Ukrainer selbst.' Und die Ukrainer sitzen im Bunker."
Der Film "Krai" wirkt zwar wie aus einer anderen Zeit. Aber er sagt auch viel über eine Gesellschaft aus, in der man damit beschäftigt ist, den Alltag zu bewältigen, und sich apathisch von der Politik fernhält.
Lapins regimekritische Freunde in Moskau dagegen haben zum Teil im Gefängnis gesessen. Wer von ihnen es sich leisten kann, ist inzwischen im Ausland.

Die Propaganda arbeitet mit langer Hand

Die Freunde des ukrainischen, in Wien lebenden Regisseurs Juri Rechinsky haben größere Sorgen: Die absolute Mehrheit seiner Bekannten in der Ukraine ist jetzt in Lebensgefahr.
Auch Rechinsky ist mit einem Dokumentarfilm auf der Diagonale vertreten, der von der Zeit scheinbar überholt worden ist. "Signs of War" erzählt vom Krieg in der Ostukraine 2014. Rechinsky lässt den französischen Pressefotografen Pierre Crom ausführlich zu Wort kommen, der den Krieg fotografisch und filmisch dokumentierte.
Seitenansicht einer Frau, die sich in einer kargen Küche um eine Pflanze auf dem Esstisch kümmert. Auf dem Herd neben ihr sind herabgefallene Trümmer zu sehen.
Trümmer in der Küche: "Signs of War" zeigt Ereignisse vor dem aktuellen Krieg. Dessen Verheerungen kündigen sich bereits an.© Diagonale / Pierre Crom
Rechinsky erscheinen die Bilder jetzt sehr weit weg: Was man im Film sieht, meint Rechinsky, fühlt sich jetzt nichtig an, denn heute seien Tod und Zerstörung in der Ukraine unvergleichlich höher. Aber eingebüßt hat "Signs of War" an Aktualität nichts. Man sieht, wie der jetzige Angriffskrieg schon damals propagandistisch vorbereitet wurde.

Der Krieg verschiebt die Perspektive

Wie viele andere ukrainische Regisseure will Rechinsky jetzt nur noch Filme über den Krieg drehen. Zwischen russischen Filmemachern und Russland als Aggressor zu unterscheiden, fällt ihm zunehmend schwer: "Vielleicht tragen Filmemacher Verantwortung für das, was in ihrem Land passiert."
Die Frage, ob man russische Filme oder auch Filme mit russischer Thematik boykottiert, kann er nicht eindeutig beantworten, aber zu sagen, Putin allein sei schuld und die Russen seien komplett unschuldig, ist ihm zu einfach.
Die zunehmende Brutalität des Krieges lässt viele Gewissheiten schwinden. Trennen lassen sich Filmkunst und Krieg jedenfalls nicht mehr, und russische Filme aus der Vorkriegszeit schaut man jetzt unweigerlich anders.

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