Afghanen im Ukrainekrieg

Für und gegen Russland

21:27 Minuten
Archivfoto aus 2015. Spezialeinheiten der afghanischen Nationalarmee feuern einen leichten M224 60 mm Mörser während einer Übungsdemonstration im US amerikanischen Camp Morehead am 19. November 2015 nahe Kabul, Afghanistan.
Spezialeinheiten der afghanischen Armee bei einer Übung 2015: Russland versucht, die durch die USA ausgebildeten Kämpfer als Soldaten im Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen. © Imago / ZUMA Wire
Von Emran Feroz |
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In der Ukraine kämpfen auf beiden Seiten der Front auch Afghanen: Die einen werden gezielt von Russland rekrutiert und wollen es als Ex-Soldaten den USA heimzahlen. Die anderen leben in der Ukraine und verteidigen ihre zweite Heimat gegen Russland.
„Ich kämpfe bereits zum zweiten Mal gegen Russland, auch 2014 nahm ich an dem Krieg teil“, sagt Jalal Noori. „Damals kämpfte ich ein Jahr und zwei Monate. Wann der aktuelle Kampf ein Ende finden wird, ist unklar.“ Der Afghane wohnt seit 1998 in der Ukraine und ist Kommandant in der ukrainischen Armee. Seit Beginn der russischen Invasion kämpft Noori vor allem in der Region Kiew, wo er zahlreiche Gräueltaten der russischen Armee miterlebt habe.
Ein Soldat inspiziert die teilweise beschädigte Moschee in Mariupol nach dem Einschlag von Raketen am 20. April 2022.
Auch die Moschee in Mariupol wurde im Krieg gegen die Ukraine beschädigt: Etwa 5000 Afghaninnen und Afghanen leben in der Ukraine.© picture alliance / AA / Leon Klein
In den letzten Monaten wurde der Afghane auch über soziale Medien bekannt, auf TikTok oder Twitter. In kurzen Clips und Interviews sprach er über seine Beweggründe für den Kampf, zum Beispiels in einem Interview mit der BBC, was sich auf Twitter findet. Er spricht auch darüber, wie Russland seine Heimat schon einmal zerstörte. Das lasse er mit der zweiten Heimat nicht nochmal geschehen.

Russlands Invasion in Afghanistan 1979

1979 überfielen sowjetische Spezialeinheiten Kabul, um ihren eigenen Verbündeten, den kommunistischen Diktator Hafizullah Amin, zu ermorden. In den Augen der Sowjets handelte der Diktator nicht mehr im Interesse Moskaus, unter anderem, weil er Tausende von Afghanen foltern und ermorden ließ und damit praktisch selbst einen Aufstand anzettelte. Im Anschluss wurde ein gehorsamer Statthalter der Sowjetunion installiert, und die insgesamt zehnjährige sowjetische Besatzung des Landes begann.
Der afghanische Präsident Hafizullah Amin hält nur wenige Tage nach dem Sturz des früheren Präsidenten Nur Mohammad Taraki eine Pressekonferenz ab. Amin, dessen linksgerichtete Politik beim afghanischen Volk unpopulär war, blieb nur vier Monate im Amt, da er im Dezember 1979 während der sowjetischen Invasion getötet wurde.
Der afghanische Präsident Hafizullah Amin. Er blieb nur vier Monate im Amt, da er im Dezember 1979 während der sowjetischen Invasion getötet wurde.© Getty Images / Bettmann Archive
Die Sowjetunion war aber auch schon vorher in Afghanistan aktiv. Die sich als links verstehende Demokratische Volkspartei Afghanistans wurde jahrelang von Moskau unterstützt. Führende Parteifunktionäre standen auf der Gehaltsliste des KGB.
1978 hatte die Demokratische Volkspartei Afghanistans einen blutigen Putsch durchgeführt und ihr Schreckensregime errichtet. Ihre Verbrechen trieben Hunderttausende Afghanen in die Hände der islamistischen Mudschaheddin-Rebellen, die damals von den USA, Saudi-Arabien, Pakistan und zahlreichen weiteren Staaten unterstützt wurden.
Die sowjetische Besatzung sowie der damit verbundene Stellvertreter- und Bürgerkrieg kostete zwischen ein und zwei Millionen Afghaninnen das Leben und trieb Millionen in die Flucht.
Viele Afghanen sehen im Putsch der Demokratische Volkspartei Afghanistans, sowie in der sowjetischen Besatzung den Beginn jener Konflikte, die bis heute nicht aufhören.
Archivfoto zeigt die Ankunft der sowjetischen Truppen und Panzer in Kabul am 29. Dezember 1979.
Ankunft der sowjetischen Truppen und Panzer in Kabul am 29. Dezember 1979.© Getty Images / Gamma-Rapho / Francois Lochon

Muslime auf beiden Seiten der Front

Auch die Familie von Jalal Noori floh in den 1990er-Jahren vor der Gewalt in Afghanistan in die Ukraine. Inzwischen musste sie erneut ins Ausland, schildert der Soldat. „Das ist besser. Ich weiß, dass sie in Sicherheit sind und kann mich so auf den Kampf konzentrieren.“
Etwa 5000 Menschen umfasste laut offiziellen Angaben die Zahl der afghanischen Diaspora in der Ukraine Anfang 2022. Viele Afghanen nahmen im Laufe der Zeit aber auch die ukrainische Staatsbürgerschaft an oder verheiraten sich.
Jalal Noori wird von seinen Kameraden aber immer noch „der Afghane“ genannt. Er erzählt, dass bei den Ukrainern auch andere muslimische Minderheiten kämpfen, wie Tschetschenen und Tartaren: „Ich möchte nicht nur meinen afghanischen Brüdern, sondern auch anderen Muslimen eine Sache klarmachen: Wer für Putin kämpft, kommt sicher nicht ins Paradies! Ihr seid auf der Seite des Aggressors und Unterdrückers!“

Aus Rache an den Amerikanern

Samim ist ein afghanischer Ex-Soldat, der sich in einer WhatsApp-Gruppe mit mehreren Dutzend seiner ehemaligen Kameraden austauscht: „Lasst uns in die Ukraine ziehen. Dort können wir uns an den Amerikanern, die uns verraten haben, rächen! Wir haben sowieso nur gelernt, wie man kämpft. Etwas anderes können wir nicht!“
Die meisten der Männer in der Gruppe gehörten einst den Kommandoeinheiten der afghanischen Armee an. Spezialeinheiten, die ausrücken mussten, wenn die Taliban einen Distrikt erobert hatten.
Nach der Rückkehr der Taliban und dem Abzug der internationalen Truppen im August 2021 sind viele dieser Soldaten in den Iran geflüchtet, wo sie frustriert und verarmt ihr Dasein verbringen. Eine Rückkehr nach Afghanistan kommt für sie nicht in Frage. Aus Sicherheitsgründen.
Im Iran werden sie inzwischen rekrutiert von Russland, schildert auch ein Afghane aus der WhatsApp-Gruppe, der nicht namentlich genannt werden will: „Das Internet im Iran funktioniert zurzeit nicht so gut, aber die Rekrutierung geht voran. Der Papierkram vieler Kameraden ist bereits erledigt. Bald können sie abreisen.“

Anwerbung im Iran durch die Gruppe Wagner

In den letzten Wochen haben russische Akteure sich mit den Ex-Soldaten der afghanischen Armee und ihren einstigen Vorgesetzten im Iran in Verbindung gesetzt. Das Angebot: Wer wieder kämpfen will, sei herzlich willkommen und zwar in jenen Gebieten der Ukraine, die von Russland besetzt werden. Der versprochene Sold: rund 3000 US-Dollar pro Monat, mehr als die meisten Afghanen im eigenen Land erhielten.
Konkret ging es um Vertreter der Gruppe Wagner, die sich mit afghanische Ex-Militärs getroffen haben. Interessenten müssen nur ein Verbindungsbüro aufsuchen und ein Formular ausfüllen. Als Vermittler fungieren Männer, die einst selbst Teil der afghanischen Armee waren: Ex-Militärs mit höheren Rängen.
Sie waren im August 2021 auch einer der Gründe für den Zusammenbruch des afghanischen Sicherheitsapparates: Der war zersetzt von Korruption. Nun scheinen manche von ihnen erneut die Chance zu wittern, schnelles Geld zu verdienen.
Auch den Gegner der USA zu unterstützen spiele eine Rolle, erzählt Mustafa, ein 26-jähriger Ex-Soldat der afghanischen Armee, der im Land versteckt lebt und noch viel Kontakt zu seinen ehemaligen Kameraden im Iran hat: „Viele wollen nun für Russland kämpfen, gegen die Ukraine. Sie fühlen sich von den USA seit dem Abzug verraten und wollen es ihnen auf diese Art und Weise heimzahlen. Dabei können viele von ihnen die Ukraine nicht einmal auf der Landkarte finden. Manche hoffen, so nach Europa zu gelangen.“

Hoher Sold und russische Aufenthaltsdokumente

Laut Mustafa und anderen Soldaten, die mit mir sprechen, stehen auf den Listen der potenziellen Rekruten mindestens 3000 Namen. Ähnliches behauptete jüngst auch General Abdul Raouf Arghandiwal in einem Interview mit Radio Free Europe.
Laut Arghandiwal, der einst für das afghanische Verteidigungsministerium in führender Position tätig war und selbst die Kommandoeinheiten anführte, will die Gruppe Wagner mindestens 2000 afghanische Ex-Soldaten in zwei Phasen rekrutieren.
Die iranischen Behörden stellten die afghanischen Ex-Militärs vor die Wahl: Entweder sie kämpfen für Russland, oder sie kehren nach Afghanistan zurück, und Männern, die erfolgreich Anwerber rekrutieren, wurde nicht nur ein hoher Sold versprochen, sondern auch russische Aufenthaltsdokumente.
Jalal Noori, „der Afghane“ in der ukrainischen Armee, ruft seinen Landsleuten zu: „Wenn ihr unbedingt kämpfen wollt, kommt und schließt euch uns an! Ich habe hier zwar keine hohe Position, doch ich finde einen Weg, damit ihr hier kämpfen könnt, wenn ihr das unbedingt wollt.“
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