Ukraine

Oligarchen haben "ihre Marionetten" in der Politik

A single protester stands behind a barricade of tires during another day of anti-government protest in Kiev, Ukraine, 28 January 2014. Ukraine's parliament in an extraordinary session on 28 January has repealed a series of laws that have been criticized as stifling dissent and free speech. Ukraine has seen violent protests since November 2013. The demonstrations have been led by pro-Europe activists angry that President Viktor Yanukovych had decided against an association agreement with the European Union in favour of closer relations with Russia.
Wie geht es weiter in der Ukraine? © dpa/picture-alliance/Maxim Shipenkov
Viktor Timtschenko im Gespräch mit Julius Stucke · 29.01.2014
Viktor Timtschenko rechnet nicht mit einem schnellen Systemwechsel in der Ukraine. Selbst wenn es zu einem Machtwechsel komme, bleibe der Einfluss der Oligarchen bestehen, sagt der ukrainische Journalist.
Julius Stucke: Die Regierung hat sich bewegt in der Ukraine. Der Ministerpräsident und sein Kabinett sind gestern zurückgetreten. Der Opposition reicht diese Bewegung aber noch nicht. Die Ukraine wird sich verändern, soviel ist wohl klar. Das Land ist überall in Bewegung. Aber wohin sich die Situation genau bewegt, wo das Ganze am Ende ein Ende findet, das ist noch offen. Von vielen Seiten her ziehen unterschiedliche Beteiligte an unterschiedlichen Seilen, von innen und außen.
Russland und Wladimir Putin, die EU, die sogenannte prowestliche Opposition und nationalistische Demonstranten. Und eher im Hintergrund an den Fäden ziehen, so heißt es immer wieder mal, die Oligarchen des Landes, die superreichen Wirtschaftslenker, die auch auf die Politik ihren Einfluss ausüben. Wer zieht da gerade welche Fäden? Darüber spreche ich mit Viktor Timtschenko, Ökonom, Schriftsteller und Journalist. Er stammt aus der Ukraine und ist seit den 90er-Jahren hier in Deutschland. Guten Morgen, Herr Timtschenko!
Viktor Timtschenko: Guten Morgen!
Stucke: Herr Timtschenko, wird die Politik in der Ukraine gesteuert von wenigen reichen Oligarchen?
Timtschenko: Ich denke nicht. Das war früher die Zeit, aber jetzt spielen sie natürlich eine gewichtige Rolle, aber wenn wir die letzten Tage nehmen, da wird das vom Majdan sehr stark gesteuert, aber die Oligarchen spielen natürlich eine ganz gewichtige Rolle. Erstens mit ihrem Geld, aber auch mit Einfluss auf die Regierung.
"Es gibt da verschiedene Vorstellungen, was Oligarch bedeutet"
Stucke: Bevor wir genauer über die Rolle sprechen, die Macht der Oligarchen, das wirft man so schnell hin. Über wen sprechen wir denn da in der Ukraine überhaupt? Wie viele wirklich mächtige, reiche Oligarchen zählen Sie?
Timtschenko: Es gibt da verschiedene Vorstellungen, was Oligarch bedeutet, aber die Frau Timoschenko, die selber eine Oligarchin ist, hat irgendwann mal neun Mann gezählt in der Ukraine, beziehungsweise auch andere so bleiben unter zehn Mann.
Stucke: Und diese Menschen, sie üben Einfluss aus, auch wenn sich das, wie Sie gesagt haben, verändert. Lässt sich denn sagen, sie ziehen alle in eine Richtung, haben alle dasselbe Interesse, oder gibt es da Unterschiede?
Timtschenko: Es gibt gewichtige Unterschiede. Also erstens gibt es zum Beispiel einen bekannten Oligarchen, Petropo Roschenko, der auf der Seite der Opposition steht, der als Schokoladenkönig in der Ukraine gilt. Aber es gibt natürlich auch andere, die auf der Seite von der Regierung stehen. Das ist vor allem Rinat Achmetow, der reichste Mann in der Ukraine, beziehungsweise sehr reich ist inzwischen auch der Sohn von Präsident Janukowitsch, Alexander, geworden, und da weiß keiner, wer heute reicher ist, Achmetow oder der Sohn von Janukowitsch. Beziehungsweise es gibt einen Oligarchen namens Dmitri Firtasch, und dieser Dmitri Firtasch hat nicht die Interessen, die Rinat Achmetow hat zum Beispiel, weil der von russischem Gas profitiert. Deshalb, es gibt schon verschiedene Richtungen, in die man die Ukraine zieht.
Stucke: Ist das denn so ein unveränderlicher Teil des Systems, dieser Reichtum, diese Machtausübung, an denen auch die Umbrüche nichts ändern? Sie haben zwar gesagt, es wandelt sich, aber irgendwo sind es immer wieder reiche Menschen, die Einfluss nehmen auf die Politik.
Timtschenko: Ja, das ist in der Tradition in den letzten Jahren in allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, dass die Leute, die an ehemaligem sozialistischem Eigentum sich reich gemacht haben, natürlich versuchen, ihre Ma zu sichern. Und sie sichern das über die Politik. Das heißt, sie kaufen sich Abgeordnete, und diese Abgeordnete im Parlament lobbyieren dann die Interessen dieser Oligarchen.
Stucke: Wenn jetzt aber die einen eher in die eine Richtung ziehen, die anderen in die andere, dann ist am Ende klar, ein Teil der Oligarchen wird nicht bekommen, was er sich erhofft gerade, oder?
Timtschenko: Ja, das ist richtig. Aber jetzt, gerade in dieser Zeit suchen sie einen gemeinsamen Nenner. Und dieser gemeinsame Nenner, so wie es scheint, ist die unblutige Lösung in der Ukraine. Also, die Oligarchen fürchten schon die Bewegung, einige fürchten die Bewegung nach Russland, andere fürchten die Bewegung Richtung EU, aber was alle gemeinsam fürchten: dass eine politische Krise dann auch eine wirtschaftliche Krise nach sich ziehen wird, erstens, und zweitens: Wenn die Veränderungen in der Gesellschaft noch tiefer gehen als nur ein Elitewechsel, dann können manche Oligarchen auch ihr ganzes Eigentum verlieren. Das ist auch nicht ausgeschlossen.
"Ich hoffe stark, dass die Ukraine nicht zerissen wird"
Stucke: Das heißt, darum geht es ihnen eigentlich, um ihr Eigentum, um ihren Reichtum, den zu sichern.
Timtschenko: Ja, natürlich. Die haben politische Interessen nur so weit, dass diese Politik ihre Besitztümer schützt. Politische Ambitionen - keiner von den Oligarchen will Präsident werden oder Ministerpräsident des Landes. Dafür haben sie einfach ihre Marionetten, die im Parlament sitzen beziehungsweise in der Regierung von Viktor Janukowitsch arbeiten.
Stucke: Nun haben Sie gesagt, der Einfluss der Oligarchen wirkt einerseits auf die Politik. Dann gibt es aber noch die Demonstranten auf der Straße. Das heißt, da ziehen jetzt verschiedene in verschiedene Richtungen. Glauben Sie denn, das Ganze führt zu einem politischen Umbruch, zu einem gesellschaftlichen Umbruch, dass es sich verändert? Oder ziehen einfach alle so, dass die Ukraine am Ende zerreißt?
Timtschenko: Na, ich hoffe stark, dass die Ukraine nicht zerrissen wird, weil das wäre eine Tragödie für das ukrainische Volk. Weil, diese Zerrissenheit kennen die Deutschen, diese Situation vielleicht am besten, wenn ein Teil der Familie in einem Land lebt und der andere Teil im anderen - das ist eine Tragödie für viele, viele Menschen, und das ist überhaupt nicht wünschenswert. Das gilt es zu vermeiden.
Aber ob das so schnell mit den Systemänderungen geht, da habe ich gewisse Zweifel, weil - natürlich, es ist etwas leichter, obwohl das nicht so scheint, die Regierung auszuwechseln oder sogar den Präsidenten des Landes auszuwechseln. Aber das System auszuwechseln beziehungsweise so die Gesellschaft zu gestalten, dass die Oligarchen weniger oder gar keinen Einfluss auf die Politik haben, das dauert, und das braucht gewisse Zeit.
Stucke: Sagt Viktor Timtschenko, ukrainischer Ökonom, Schriftsteller und Journalist zur Frage, welche Fäden ziehen die Oligarchen im Hintergrund der politischen Umbrüche in der Ukraine. Ich danke Ihnen für das Gespräch! Ihnen einen schönen Tag!
Timtschenko: Ja!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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