Bessere Worte statt voreiliger Taten
In der Ukraine sterben Protestler - und Brüssel setzt lediglich auf Gespräche mit Präsident Janukowitsch. Das klingt nach Ohnmacht - doch in Wahrheit machen die Europäer bislang alles richtig, kommentiert Kai Küstner.
Auf den ersten Blick macht die Europäische Union einen ohnmächtigen Eindruck: In der Ukraine sterben Protestler, das Land scheint auf einen blutigen Bürgerkrieg zuzusteuern - und was macht die EU? Sie will lieber weiter mit dem Mann, der für all das verantwortlich ist - Präsident Janukowitsch nämlich - reden, anstatt ihm ein erbostes "Basta" entgegenzuschleudern.
Doch wenn man genauer hinsieht, machen die Europäer bislang alles richtig: Es gibt derzeit leider keine andere Möglichkeit, als den letzten Rest Einfluss, den man auf "Mr. Unberechenbar" alias Janukowitsch noch hat, zu nutzen.
So ist denn in diesen und auch in den nächsten Tagen ein intensiver Reiseverkehr zwischen Brüssel und Kiew zu verzeichnen. Zum einen dient der dem Versuch, die ukrainische Regierung und die Opposition immer wieder an den Verhandlungstisch zu geleiten. Was schon deshalb nicht ganz unwichtig ist, weil die Anti-Regierungskräfte in Kiew – so sehr Box-Legende Klitschko in westlichen Medien zum "Herrn des Rings" hochgejazzt wird – in keiner Weise einen einstimmigen Gesprächpartner darstellen. Zum anderen verringert die Anwesenheit europäischer Offizieller die Chancen, dass der Präsident allzu große Brutalität im Umgang mit den Demonstrierenden walten lässt.
Aus Osten droht die tödliche Umarmung Russlands
Wer in dieser Situation also nach sofortigen Sanktionen schreit und fordert, der EU-Kommissions-Präsident möge den Hörer doch lieber mal wütend gegen die Wand werfen, als Janukowitsch gut zuzureden, wenn sie das nächste Mal telefonieren, riskiert zu viel: nämlich den sofortigen Abbruch des Dialogs mit Kiew. Janukowitsch hätte dann gar keine andere Wahl mehr, als sich in Ermangelung anderer Partner vollends der tödlichen Umarmung Russlands zu ergeben. Putin hätte sein Ziel erreicht. Das kann nicht im Interesse der Pro-Europa-Demonstranten sein. Und deren Haut zu retten – darum geht es zum jetzigen Zeitpunkt.
Schon lange nicht mehr um Europa selbst und sein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Symbolträchtig die so lange offen gehaltene Tür jetzt krachend zuzuschlagen, wäre schon deshalb wirkungslos, weil auf der anderen Seite gar kein Präsident mehr steht, der darauf wartet, hindurchzugehen. Von diesem Plan hat sich Janukowitsch schon länger verabschiedet. Also: Mit Strafmaßnahmen zu drohen, ist richtig. Sie anzuwenden, wäre nur beim Scheitern aller Vermittlungsversuche angebracht. Handelskriege gar anzuzetteln - das hieße, sich auf eine Ebene mit Russland herabzubegeben.
Harte Worte gegenüber Puten wären nötig
Was die sogenannte "soft power", die "weiche Macht" Europa, in jedem Fall tun sollte, ist: endlich ein paar harte Worte in Richtung Russland zu verlieren. Dass die Pro-EU-Demos in der Ukraine letztlich Anti-Putin-Demos sind, macht dem Mann im Kreml Angst. Nicht wenige in Brüssel vermuten daher auch, dass es Putin war, der seinem Amtskollegen in Kiew zu verstehen gegeben hat: Jetzt muss aber langsam mal Schluss sein mit dem revolutionären Treiben in der Ukraine.
Putin war es, der unlängst als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts den Zusammenbruch der Sowjetunion bezeichnete. Das spricht Bände. Europa sollte ihm deutlich zu verstehen geben, dass er kein Recht hat, das alte Imperium auf Kosten der Menschen in den Nachbarländern wieder zusammenzusetzen.