Übertritt für russischsprachige Zuwanderer

Konversion light?

07:22 Minuten
Porträt von Yuriy Kadnyko in der Synagoge der Landeshauptstadt Schwerin. Der 40-jährige wurde 2011 zum Rabbiner berufen. Seit dem 01.04.2015 ist er der neue Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Mecklenburg Vorpommern. Kadnykov stammt ursprünglich aus der Ukraine und lebt heute in Berlin.
Yuriy Kadnykow, Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, betreut derzeit zehn Konvertiten. © imago / BildFunkMV
Von Jens Rosbach · 08.10.2021
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Nach dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, ist man nur dann jüdisch, wenn man eine jüdische Mutter hat. Tausende Menschen, die sich in der Ex-Sowjetunion als Juden angesehen haben, sind in jüdischen Gemeinden in Deutschland nun keine mehr.
Alexej Heistver wollte in die Synagoge. Als der jüdische Kontingentflüchtling 1991 nach Deutschland kam, bat er - im norddeutschen Wismar – um Aufnahme in die jüdische Gemeinde. Doch der Moldawier wurde wieder weggeschickt. Denn er konnte nicht beweisen, dass er eine jüdische Mutter hat. Heistver erzählt: "Wenn Du keine Papiere von Deiner jüdischen Mutter hast, hast Du keine Möglichkeit, in jüdische Gemeinde Mitglied zu werden. Danach hatte ich keinen Wunsch, keine Lust, zur jüdischen Gemeinde wiederzukommen. Es war sehr traurig."

Der 79-Jährige berichtet, seine Mutter sei einst im KZ ermordet worden – ohne dass es dafür Nachweise gab. Und in der Sowjetunion seien solche Dokumente für einen Juden nicht nötig gewesen. Die Ablehnung durch die jüdische Gemeinschaft in Deutschland habe ihn deshalb schockiert. "Es war für mich von Anfang an ein Problem, eine Kränkung. Aber was konnte ich ändern?"

Tausende können nicht Gemeindemitglied werden

Tausende Kontingentflüchtlinge hierzulande können keine jüdische Mutter vorweisen; viele haben nur einen jüdischen Vater oder einen jüdischen Ehepartner. Deshalb dürfen sie kein Gemeindemitglied werden – also weder an Gemeindewahlen teilnehmen noch religiöse Ämter ausüben noch jüdische Sozialdienste in Anspruch nehmen.
"Das habe ich schon häufig angesprochen, dass wir erleichterte Wege finden müssen, diesen Menschen den Zugang zum Judentum zu ermöglichen", sagt Sergey Lagodinsky. "Das heißt: Einfacherer Übertritt für Menschen, die eben familiär jüdisch geprägt sind."
Sergey Lagodinsky ist vor 27 Jahren als russischsprachiger Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen. Lange Zeit engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde zu Berlin, inzwischen ist er einer der wenigen jüdischen Abgeordneten im EU-Parlament. Den Grünen-Politiker treibt die Benachteiligung der Juden aus der Ex-Sowjetunion um.
"Das ist etwas, was in vielen Gemeinden verschlafen wurde als Thema. Und wir haben sehr viele Menschen eben verloren, weil sie sich abgestoßen fühlten von Gemeinden – nur weil eben nicht die Mutter, sondern der Vater jüdisch war."

"Wir machen keine Ausnahmen"

Der Knackpunkt: Mehr als 90 Prozent der Juden in Deutschland besuchen eine orthodox geprägte Gemeinde – und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland, kurz ORD, möchte keine erleichterte Konversion – keine "Konversion light" – für die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. ORD-Vorstand Zsolt Balla beharrt auf den traditionellen Regeln.
"Das orthodoxe Judentum legt Wert auf die konsequente Einhaltung der Halacha, der religiösen Gesetze. Wir können keine Ausnahmen machen, auch nicht bei besonderen Umständen, die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion erfahren haben."
Das orthodoxe Judentum verlangt von Menschen, die keine jüdische Mutter haben, eine aufwendige Konversion, die in der Regel zwei bis drei Jahre dauert. Dabei müssen die Kandidaten die jüdischen Gesetze lernen – und auch bereits bewusst leben, etwa koscher essen. Flexibler zeigt sich das liberale Judentum: Ihre Vertretung, die Allgemeine Rabbinerkonferenz, erlaubt einen erleichterten Übertritt für jüdisch geprägte Zuwanderer.
Yuriy Kadnykov, der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, wirkt in dem theologischen Gremium mit. "Wir haben schon ein Programm in unserer Allgemeinen Rabbinerkonferenz, man nennt es Statusklärung. Und dann schauen wir, weil wenn jemand schon sehr aktiv im jüdischen Leben teilnimmt, und nur sozusagen auf Papieren nicht koscher ist, dann korrigieren wir diese Sache, ja."
Und das heißt: Ein Kandidat, der keine jüdische Mutter hat, muss vor dem Beth Din – dem Gericht der Rabbinerkonferenz – seine jüdischen Bezüge darlegen: Etwa ob er oder sie einen jüdischen Vater oder einen jüdischen Ehepartner hat – oder bereits jüdische Bräuche pflegt. Auch eine antisemitische Verfolgung in der ehemaligen Sowjetunion kann hierbei eine Rolle spielen. Männliche Anwärter sollten zudem beschnitten sein – oder dies nachholen, bevor sie sich dem Rabbinatsgericht vorstellen.
"Am Ende, wenn der Status geklärt ist, jede Person, sei es eine Frau oder ein Mann, geht in ein Bad, das heißt Mikwe. Man sagt besondere Segenssprüche, man taucht rein", sagt Kadnykov. "Für diejenigen, die aus der Kirche kommen, sie kennen das mit Johannes dem Täufer, der hat auch dieses gemacht. Das genau kommt von dem jüdischen Prozedere: dass man eintaucht. Diese Person wird als neugeboren betrachtet."

Alles hängt vom Rabbiner ab

In der Praxis hängt aber auch die "Konversion light" vom jeweiligen Rabbiner ab. Yuriy Kadnykow aus Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, der derzeit zehn Konvertiten betreut, legt Wert auf ein Minimum an Hebräisch-Kenntnissen sowie auf Wissen über das wöchentliche Schabbat-Gebet, bei dem jeweils ein Abschnitt aus der Thora vorgetragen wird – also aus den fünf Büchern Mose. Anderen liberalen Rabbinern reicht es hingegen, wenn ein Kandidat eher kulturell als religiös geprägt ist. "Hier geht es um Identitätsbildung. Da gibt es keine pauschalen Regeln", sagt Yuriy Kadnykow.
Nun, da die Zahl der Juden in Deutschland wegen der Überalterung sinkt, würde auch der Zentralrat der Juden eine generelle Konversion light für Zuwanderer gern sehen. Ratspräsident Josef Schuster fühlt sich jedoch machtlos in dieser religiösen Frage.
"Der Vorschlag oder die Anregung – die ja nicht nur erst von mir kommt, auch meine Amtsvorgänger immer wieder ja fast eingefordert haben – findet – so habe ich das Gefühl – nicht so ganz den Widerhall bei der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, wie ich es mir eigentlich wünschen würde."
Die jüdische Spitzenorganisation ist froh, dass zumindest die liberalen Gemeinden einen vereinfachten Übertritt anbieten für Kontingentflüchtlinge, selbst wenn nur die liberalen Juden davon profitieren. Zentralratschef Schuster ist allerdings auch bei der schnellen Konversion eine religiöse Ernsthaftigkeit wichtig. "Der Wechsel einer Religion – oder der Übertritt von einer Religion zu einer anderen Religion, egal aus welchen Motiven, kann nicht sein, was man mal by the way mit einem Wochenendkurs ´Das Judentum in aller Kürze´ bewerkstelligt. So kann es sicher nicht funktionieren."
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