Überangebot der Streaming-Dienste

Die Online-Piraterie nimmt zu

06:40 Minuten
Blick auf das Angebot des Streamingdienstes Amazon Prime
Das Überangebot der vielen Streamingdienste sorgt für die Qual der Wahl. Manche User wenden sich auch von legalen Angeboten ab. © Imago
Von Hagen Terschüren  · 22.05.2021
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Die Zahl der Streamingdienste wächst immer weiter: Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Co. Wer heute alle Serien schauen will, braucht mehrere Abonnements. Das Überangebot führt dazu, dass Online-Piraterie wieder attraktiver wird.
Die meisten von uns haben dank der Pandemie sehr viel mehr Zeit Zuhause verbracht, als ihnen lieb ist. Medial waren wir für das Stubenhocken sehr gut gerüstet: Schließlich gibt es so viele Inhalte wie nie zuvor.
Die US-amerikanische Comedy-Fernsehserie "Ted Lasso" auf Apple TV+ sollten alle gesehen haben! Oder "Gangs of London" auf Sky! Weitere Empfehlungen meiner Freunde "Halt and Catch Fire" auf Amazon Prime, "Chilling Adventures of Sabrina" bei Netflix oder "WandaVison" auf Disney+.

Wo ist die Mediathek für alle Lieblingsserien?

Ich hoffe, Sie haben entweder 52 Euro im Monat übrig für all die Streamingdienste zusammen oder die Muße, die Abos regelmäßig zu kündigen und neu abzuschließen. Dann sind da noch die ganzen Shows, die hierzulande gar nicht im Programm sind.
Die simple Vision von "Alles an einem Ort" ist also vorbei. Zumindest für die, die ihre Serien legal gucken wollen. Für Tobias, der eigentlich anders heißt, sind illegale Downloads die Lösung.
"Wenn ich mich schon entschieden habe, dass ich sie gucken will, mache ich meinen Sonarr-Tab auf. Schreibe den Namen der Serie rein. Ich warte, bis es auf meinem Server gelandet ist und dann gucke ich über meinen Plex-Server, indem ich die Plex-App öffne und da ist es dann einfach."

Anstieg der Film-Piraterie um 36 Prozent

Ein aufgeräumtes Interface, das wie bei Netflix aussieht, sich den Wiedergabestatus merkt und auch sonst alle Komfortfeatures bietet. Mit den unübersichtlichen Dateinamen und unbeschrifteten Rohlingen von früher hat moderne Piraterie nichts mehr zu tun.
"Die Sache ist einfach pure User Experience", sagt Tobias. "Ich möchte gerne Amazon Prime benutzen, um darüber 'The Expanse' zu gucken, weil ich 'The Expanse' von ganzem Herzen liebe. Ich möchte die Serie unterstützen über die offiziellen Wege. Aber die Amazon Prime App ist so ranzig."
Jeder Download von Serien und Filmen, für die man keine Nutzungslizenz hat, ist eine Urheberrechtsverletzung und damit illegal. Doch immer mehr Nutzerinnen und Nutzer scheinen das Risiko einer Abmahnung in Kauf zu nehmen.
Das Industrie-Institut Muso hat 2020 in Deutschland einen Piraterie-Anstieg von zwölf Prozent bei Serien und von 36 Prozent bei Filmen verzeichnet – das ist im internationalen Vergleich noch wenig.

Netflix will die Preise erhöhen

Aber warum stellen sich die Streamingdienste mit ihren singulären Bezahl-Plattformen gerade selbst ein Bein? Ganz einfach: Es ist schlicht unmöglich, dass ein Anbieter alle Shows für 15 Euro im Monat zeigen kann.
Warum sollte Disney seine Filme an Netflix lizensieren, statt selber das Geld zu verdienen? Wenn ein riesiger Konzern meine Bequemlichkeit gegen sein Bankkonto abwägen muss, ist die Entscheidung ziemlich einfach.
Diese Abwägung muss auch dringend passieren. Denn bislang wird in der Branche mehr investiert als verdient. Netflix will zum Beispiel erst dieses Jahr endlich weniger Schulden machen, als der Streamingdienst einnimmt.
Einerseits, indem der Anbieter die Preise anzieht, aber auch indem er genau den Weg verhindern will, auf dem ich zum Beispiel Netflix gucke: Statt mich um ein eigenes Konto zu kümmern, war es einfacher, den Account einer Freundin mitzubenutzen.

Dienste spekulieren auf bequeme Nutzer

Der Streaminggigant testet ein neues Tool, das 'Wenn du nicht mit dem Besitzer dieses Accounts zusammenwohnst, musst du dir einen eigenen erstellen, um weiterzuschauen' einblendet. Die Idee ist, Leute zum Zahlen zu bewegen, die bislang nicht für Netflix zahlen.
Jetzt ist aber mein Problem: Auf Netflix gucke ich aktuell nur die Serie "Sex Education". Da lohnt es sich für mich nicht, einen Account zu erstellen. Natürlich könnte ich den nach einem Monat wieder kündigen, theoretisch. In der Praxis werde ich das vermutlich vergessen. Genau auf diese Bequemlichkeit spekulieren die Dienste, um sich zu finanzieren.
"Wenn der Dienst wirklich, wirklich alles tut, was ich will, würde ich auf zwanzig bis dreißig Euro im Monat hochgehen. Aber dafür muss er schon wirklich gut sein, um mir wirklich viel an anderer Arbeit sag ich mal sparen", sagt Tobias.

Wer überlebt, hat die Chance auf viel Geld

Von zwanzig bis dreißig Euro im Monat leben, das wäre vor ein paar Jahren möglich gewesen, als Streamingdienste nur die Zweitverwertung vom Fernsehprogramm waren. Doch in der Zukunft werden die Onlineangebote zur Haupteinnahmequelle der Unternehmen und müssen deshalb mehr Geld abwerfen.
Das ist der Grund, weshalb so viele neue Dienste aus dem Boden sprießen und jeder von ihnen hat DIE EINE Show, die ich unbedingt sehen muss.
Den Anbietern dürfte dabei klar sein, dass sie Nutzerinnen und Nutzer an die Piraterie verlieren werden, denen alles zu unübersichtlich, unbequem oder teuer wird. Ihre Spekulation ist einfach, dass sie am Ende trotzdem mehr verdienen werden, als Netflix ihnen für eine Lizenz bietet.
Denn bei allen Streamingangeboten gilt: Für die aktuellen Preise lässt sich unser Entertainment nicht auf Dauer finanzieren. Aber wer das aktuelle Überangebot überlebt, hat die Chance auf richtig, richtig viel Geld.
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