Über das Ende einer Hochschule 1968

"Eine betont antifaschistische Schule"

HfG-Studenten demonstrieren in Stuttgart am 4. Mai 1968 gegen die drohende Schließung der HfG
HfG-Studenten demonstrieren in Stuttgart am 4. Mai 1968 gegen die drohende Schließung der HfG © © Ulmer Museum, HfG-Archiv Ulm; Herbert Kapitzki
Christine Wachsmann im Gespräch mit Shanli Anwar · 03.08.2018
Die bekannte Hochschule für Gestaltung in Ulm fand im politisch turbulenten Jahr 1968 ihr Ende. In der Tradition des Bauhauses hatte sie Design-Kultur geprägt. Kaum bekannt ist, dass es die Schule ohne Sophie und Hans Scholl nicht gegeben hätte.
Vor 50 Jahren endete die Ära einer Hochschule, deren Einfluss bis heute zu spüren ist: Die Ulmer Hochschule für Gestaltung, gegründet im Jahr 1955, war die erste Design-Hochschule, die sich ausdrücklich auf das Bauhaus der Weimarer Jahre bezog und den Anspruch vertrat, nicht nur schöne und funktionale Gegenstände zu produzieren, sondern auch durch eine moderne Gestaltung gleichsam in die Lebenswelt hineinzuwirken.
Renommee erlangte die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) durch legendäre, bis heute bekannte Schöpfungen, etwa das Lufthansa-Logo oder die Sportarten-Piktogramme der Olympischen Spiele in München 1972.

Gründung aus dem Trauma der Hinrichtung

Kaum bekannt sind hingegen die Umstände ihrer Gründung, an die Christine Wachsmann auf Deutschlandfunk Kultur erinnert. Sie ist Kuratorin im Museum Ulm, hat das Archiv der HfG aufgebaut und viele Jahre geleitet.
So war Inge Aicher-Scholl eine der Gründerinnen der HfG. Sie ist die Schwester von Hans und Sophie Scholl, die beide wegen ihres Engagements gegen den Nationalsozialismus 1943 hingerichtet worden waren.
Wachsmann beschreibt den Gründungsimpuls so:
"Und diese Hinrichtung war eigentlich für die Familie und für den Freundeskreis ein Trauma, aus dem heraus sie nach dem Krieg wirklich etwas gemacht haben. Sie hatten beschlossen, eine Hochschule für politische Bildung zu gründen, sind dann aber auf diese Gestaltung gekommen, über Max Bill, einen Schweizer Architekten."
Geschirr, das von dem Designer Nick Roericht an der HfG für seine Diplomarbeit entworfen wurde. Das Geschirr wird bis heute produziert.
Geschirr, das von dem Designer Nick Roericht an der HfG für seine Diplomarbeit entworfen wurde. Das Geschirr wird bis heute produziert.© picture alliance / dpa
Es ging den Gründern um "diese Idee der Moderne", wie Wachsmann sagt, das Versprechen eines guten Lebens für alle - "in Freiheit und Demokratie, aber eben auch mit guten Dingen". Die HfG habe sich als "eine betont antifaschistische Schule" verstanden.

Gestalter für die neue Gesellschaft

Die US-amerikanische Regierung unterstützte das Projekt finanziell, mit einer klaren politischen Absicht, wie Wachsmann sagt:
"Es war eben diese politische Hochschule, die den Amerikanern sehr gut gefiel, weil sie das Gefühl hatten, sie haben jetzt keinen Einfluss mehr auf die jungen Leute in dem neuen deutschen Staat, und Inge Scholl und Otl Aicher, ihr späterer Mann, wollten ja gerade diesen jungen Leuten eine Perspektive geben."
Die Gebäude der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Aufnahme vom 2. Oktober 1955; der Bildtitel lautete: "Die Ausbildungsabteilungen der neuartigen Hochschule umfassen Produktform, Architektur, Stadtbau, Information und visuelle Gestaltung."
Die Gebäude der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Aufnahme vom 2. Oktober 1955; der Bildtitel lautete: "Die Ausbildungsabteilungen der neuartigen Hochschule umfassen Produktform, Architektur, Stadtbau, Information und visuelle Gestaltung."© picture alliance / dpa
Der Schweizer Architekt Max Bill, der auch das Hochschulgebäude entwarf, fasste das Bildungskonzept seinerzeit so zusammen:
"Die gesamte Tätigkeit an der Hochschule ist darauf gerichtet, am Aufbau einer neuen Kultur mitzuarbeiten, mit dem Ziel, eine mit unserem technischen Zeitalter übereinstimmende Lebensform schaffen zu helfen. Also alle jene Gestaltungen, von der Kaffeetasse bis zur Wohnsiedlung, die dazu da sind, diesen Planeten für unser Leben so gut wie möglich einzurichten."
Später wurden dann die Wissenschaftler immer wichtiger, erläutert Wachsmann. Die Idee war, dass Design eben nicht nur intuitiv und künstlerisch entsteht. Daher wurden auch Disziplinen wie Soziologie, Wissenschaftstheorie und mathematische Operationsanalyse gelehrt, um den Designer bei seiner Arbeit zu unterstützen.

Konflikte zwischen Studierenden und Dozenten

Schon vor dem Jahr 1968 habe die HfG große finanzielle Probleme gehabt, sagt Wachsmann, weil sie eben eine private Gründung war und unabhängig vom Staat sein wollte. Dass die baden-württembergische Landesregierung, damals unter Hans Filbinger, diese fortschrittliche Hochschule habe schließen wollen, sei nicht richtig. Allerdings habe die Landesregierung eine tragfähiges Zukunftskonzept verlangt. Studierende und Dozenten konnten sich aber auf ein solches Konzept nicht einigen. So störten sich die Studierenden unter anderem am Geschäftsmodell, den Aufträgen für die Industrie.
Metallwerkstatt der HfG Ulm, 1958
Metallwerkstatt der HfG Ulm, 1958© © Ulmer Museum, HfG-Archiv Ulm
Viele der Ulmer Dozenten und Studierenden wirkten an der Hochschulen weiter, zudem wurden ähnliche Design-Hochschulen in Indien oder Südamerika gegründet, wo Lehre und Ideen eine Fortsetzung fanden. Bis heute habe sich die "Idee der Moderne" nicht überlebt, sagt Wachsmann:
"Ich finde es ganz wichtig, dass man jetzt wieder darüber nachdenkt: Muss Design nur dafür da sein, dass die Gegenstände sich besser verkaufen und noch ein bisschen schöner sind oder besser funktionieren? Oder kann Design nicht auch noch was ganz anderes? Denn das war die Idee der Hochschule."
(huc)

Eine Ausstellung mit dem Titel "wir demonstrieren! linksbündig bis zum schluss. hochschule für gestaltung ulm 1968" ist noch bis zum 4.11. im Museum Ulm, Am Hochsträß 8, zu sehen.

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