Tschernobyl

Gigantische Schutzhülle gegen Radioaktivität

Gigantischer Schutzmantel in Tschernobyl, Ukraine: die größte überirdische Konstruktion der Welt.
Neuer Schutzmantel in Tschernobyl: die größte überirdische Konstruktion der Welt. © imago / Ukrainian News / Maksym Polischuk
Von Florian Kellermann · 29.11.2016
Die Abmessungen der Konstruktion sind beeindruckend: Ihre Grundfläche entspricht der von sechs Fußballfeldern. Der neue Schutzmantel von Tschernobyl, in der Ukraine schlicht "Bogen" genannt, wurde jetzt über Reaktor Nummer 4 geschoben. Die alte Hülle hatte bereits Risse.
Das Projekt war nur durch eine Großanstrengung internationaler Geldgeber möglich. Vor allem die G7-Staaten und Russland sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung finanzierten den neuen Schutzmantel. Der Vorsitzende des Tschernobyl-Fonds in der Entwicklungsbank Simon Evans schwärmt in höchsten Tönen:
"Der neue Sarkophag ist eines der kompliziertesten Projekte, das Ingenieure je umgesetzt haben. Es ist die größte überirdische Konstruktion auf der Welt. Noch nie hat es auch ein derart großes internationales Unternehmen im Bereich der atomaren Sicherheit gegeben."
Die Abmessungen des neuen Schutzmantels sind beeindruckend: Dessen Grundfläche entspricht der von sechs Fußballfeldern, in der Mitte ist das bogenförmige Stahlgerüst 110 Meter hoch. Es wurde in den vergangenen Jahren direkt neben dem Unglücksreaktor 4 errichtet. Eigentlich hätte die Konstruktion schon viel früher fertig werden sollen. Aber der Ukraine ging immer wieder das Geld aus.

Risse an der alten Schutzhülle

Nun wurde es höchste Zeit: Der alte Sarkophag aus Stahl und Beton, vor 30 Jahren in aller Eile errichtet, wies schon erhebliche Risse auf. Vor knapp vier Jahren brach eine Stützmauer zusammen.
Die neue Schutzkonstruktion soll mindestens 100 Jahre halten, heißt es. In den vergangenen Tagen wurden der Koloss auf Spezialschienen über den Reaktor 4 geschoben. Auch das eine Mammutaufgabe, immerhin wurde für die Hülle fast dreimal so viel Stahl verwendet wie für den Pariser Eiffelturm, sagt Viktor Salysetskyj, stellvertretender Leiter des Projekts:
"Schienen ist eigentlich nicht das richtige Wort. Die Konstruktion ist vielmehr über Platten mit einer Teflon-Beschichtung geglitten. Die Geschwindigkeit betrug zehn Meter pro Stunde. Wir waren in jedem Moment in der Lage, die Position der Konstruktion zu korrigieren, ohne dass das Fundament abgesackt wäre."
Die 1.500 Arbeiter mussten teils gefährliche Aufgaben am Unglücksreaktor erfüllen, um die Einhüllung durch den neuen Sarkophag vorzubereiten. Im Maschinenraum des Reaktors durften sie sich jeweils nur fünf Minuten pro Tag aufhalten und arbeiten - wegen der radioaktiven Strahlung dort.

Internationale Geldgeber sind zufrieden

Mit dem Resultat sind die Geldgeber des Projekts zufrieden. Allerdings liefen die Bauarbeiten nicht ohne Skandale ab. Die Staatsanwaltschaft an einem Kiewer Gericht beschuldigt den Direktor des stillgelegten Atomkraftwerks Igor Gramotkin, er habe beim Bau des neuen Sarkophags Geld veruntreut. Die Summe von knapp 700.000 Euro steht im Raum.
Gramotkin wies die Vorwürfe zurück:
"Wir haben nicht nur nach den höchsten internationalen Standards gearbeitet, sondern auch im Management ausländische Spezialisten hinzugezogen. Sie hatten die technische und die finanzielle Kontrolle. Alles, was wir gemacht haben, war für die Geldgeber völlig transparent. Sie wissen, welche Entscheidungen warum gefallen sind."
Mit dem neuen Sarkophag sind die Arbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks längst nicht abgeschlossen. Die Konstruktion schützt nicht nur vor radioaktivem Staub. In ihrem Inneren sind Kräne montiert. Mit ihrer Hilfe soll nun das weiterhin hoch radioaktive Uran aus dem Reaktor geborgen werden. Direkt neben dem ehemaligen Kraftwerk ist in den vergangenen Jahren ein Zwischenlager für Atommüll entstanden.
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