Toleranz

Religionsfreiheit verlangt Selbstkritik

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Die Spitze des Minarett der Yavus Sultan Selim Moschee mit dem Halbmond und das Kreuz auf der Kirchturmspitze der Liebfrauenkirche in Mannheim. © picture alliance / dpa / Ronald Wittek
Von Ahmad Mansour · 10.11.2015
Es sei an der Zeit, in einen Dialog über Extremismus und Religionsfreiheit zu treten - sowohl unter Muslimen, als auch in der Gesellschaft, meint Ahmad Mansour. Der Diskurs werde nicht leicht und nicht kurzfristig zu führen sein, aber er sei überfällig, so der Psychologe.
Toleranz – ein schönes Wort, ein schöner Anspruch. Wer würde etwas gegen sie haben, da sie helfen kann, den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten. Natürlich hat sie Grenzen. Intoleranz darf man nicht tolerieren. Auch da sind sich die meisten einig. Spielregeln müssen sein, allen voran die Achtung des Grundgesetzes.
Allerdings ist mein Eindruck, dass diese Debatte nur oberflächlich geführt wird. Mal wird Toleranz wie ein Kampfbegriff benutzt, mal mit Laisser-faire verwechselt. Aber beide Male dominiert letztlich ein Desinteresse: an der Person des Andersdenken, an einem gemeinsamen Wertekanon oder im britischen Sinne an einem "Common Sense".
Toleranz darf nicht diskriminieren
Sicher stimmt jeder ohne Zögern zu, dass es nicht zu tolerieren ist, wenn ein Bruder seine Schwester ermordet, weil sie in seinen Augen oder in denen der Eltern "die Ehre der Familie" beschmutzt hat. Aber ist es tolerant, wenn die Schule ein muslimisches Mädchen vom Schwimmunterricht befreit, weil die Eltern dies aus religiösen Gründen verlangen?
Ich meine ganz klar: Nein. Das macht keinen Sinn. Dulden Lehrer oder Erzieher, dass ein junger Mensch irgendetwas nicht lernt, treffen sie Entscheidungen gegen das Kind. Sie entscheiden sich für Diskriminierung, nicht für Toleranz. Warum denn soll es weniger lernen als seine nicht-muslimischen Klassen- und Spielkameraden? Weder rechtlich noch logisch ist das zu begründen.
In der Mitte finden sich die Ursachen des Extremismus
Ursachen für intolerante, ja radikale Phänomene werden zu Recht in der Mitte der Gesellschaft gesucht, beispielsweise an ihren rechten Rändern. Nach dem Extremismus von Muslimen wird aber nicht in der Mitte ihrer Community geforscht. Vielmehr wird diese Suche mit dem beliebten Satz abgespalten: Extremismus habe mit dem Islam nichts zu tun.
Dabei haben Islamisten nichts Neues erfunden. Sie greifen auf ein Religionsverständnis zurück, das jedem Mustafa-Normal-Muslim als Mainstream geläufig ist. Extremisten verschärfen nur bekannte Inhalte – weiter nichts. Mit diesen Glaubensinhalten muss sich demnach kritisch befassen, wer die Generation Allah für die Demokratie gewinnen will.
Allgegenwärtig in religiöser Erziehung war und ist die Höllenangst vor einem strafenden Gott, auch der Glaube, jeder Buchstabe des Koran sei heilig. In der Überlieferung finden sich die Trennung der Geschlechter, primitive Opferbilder, auch Feindbilder, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus – und ebenso eine Tradition manipulativer Exegese. All das muss ausgesprochen werden.
Muslime sollten Diskurs nicht verweigern
Man schützt eine Glaubensgemeinschaft nicht, indem man unangenehme Kontexte verleugnet. Im Gegenteil. Ausländerhass, Islam-Aversion, Rassismus sind ernste Probleme, aber selbst sie dürfen nicht als Ausrede herhalten, einen kritischen Dialog zu verweigern, den wir als Muslime so dringend brauchen. Aufklärung tut immer gut! Daher würde ich sogar sagen: Wer Kritik an Religion, Fanatismus und Islam verbieten will, weil sie unzumutbar sei, da sich gläubige Menschen rasch beleidigt fühlen, der verhält sich nicht anders als derjenige, der Muslime gesellschaftlich ausgrenzen will. Er ist ein Rassist.
Wir Muslime sind keine geschützte Tierart, sondern wollen als mündige, gleichberechtigte Gesprächspartner ernst genommen werden – in einem offenen, fairen und vor allem überfälligen Diskurs.
Nein, er wird nicht überall, nicht leicht und nicht kurzfristig zu führen sein. Ja, man wird in der Debatte auch angegriffen werden. Doch genau darum geht es, sich endlich gemeinsam auf den steinigen Weg der Religionsfreiheit zu machen und dabei zu klären, was es bedeutet, tolerant zu sein.
Ahmad Mansour, geboren 1976 als arabischer Israeli, lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus, unter anderem bei "Heroes - Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung", und bei Hayat, einer Beratungsstelle für De-Radikalisierung. Außerdem ist er Programm-Direktor bei der "European Foundation for Democracy". Für sein Engagement erhielt er den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz. Er schreibt zu den Themen "Salafismus" und "Antisemitismus". Sein jüngstes Buch: "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen." (S. Fischer Verlag, 2015)
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Ahmad Mansour© Pamela Haling
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